Die begründete Furcht des US-Präsidenten vor Justitia
Von Peter De Thier, WashingtonZum ersten Mal nach fast vier Jahren im Amt scheint der abgewählte US-Präsident Donald Trump die Tragweite seiner zahlreichen Fehltritte ansatzweise zu begreifen. Einen Tag nach der Erstürmung des Kapitols durch Anhänger des Präsidenten veröffentlichte Trump auf Drängen seiner Tochter Ivanka, seines Stabschefs Mark Meadows und seines Rechtsanwalts Pat Cipollone ein dreiminütiges Video. Darin verurteilte der Präsident jenen gescheiterten Putschversuch, den er zuvor mit seiner aufrührerischen Rede angezettelt hatte. Ausgelöst wurde die Geste aber wohl nicht durch Reue, sondern aus Angst vor den rechtlichen Folgen seines Handelns. Diese reichen mittlerweile von einer möglichen Amtsenthebung und Ermittlungen der Bundesstaatsanwaltschaft wegen Hochverrats bis hin zu einer langen Liste von Zivil- und Strafverfahren, die ihm als Privatmann drohen. Zwar plant der Präsident eine “Selbstbegnadigung” und will auch einige enge Vertraute und Familienmitglieder vor der Verfolgung der Justiz schützen. Doch die Wirksamkeit einer Selbstamnestie ist umstritten. Neben Geldbußen in Millionenhöhe könnten Trump und seinen Vertrauten daher selbst Gefängnisstrafen drohen.Da ist es wenig verwunderlich, dass sogar ein Donald Trump kalte Füße bekommt. Bislang loyale Republikaner laufen ihm in Scharen davon. Bis Freitag reichten zwei Kabinettsmitglieder und zahlreiche andere enge Berater ihren Rücktritt ein. Die verbliebenen Minister haben Beratungen aufgenommen über eine mögliche Amtsenthebung. Der 25. Zusatzartikel der US-Verfassung befähigt einen Vizepräsidenten und das Kabinett, einen Präsidenten im Falle von Amtsunfähigkeit zu entmachten. Trumps Stellvertreter Mike Pence hat zwar signalisiert, dass er auf einen solchen Schritt eher verzichten möchte. Ein beschleunigtes Impeachment-Verfahren bleibt aber möglich. Die Demokraten machen Druck. Oppositionschefin Nancy Pelosi forciert ein Amtsenthebungsverfahren, solange Pence die Anwendung des 25. “Amendments” ablehnt.Als sicher gilt, dass Trump während seiner verbleibenden Tage im Amt weitere Begnadigungen aussprechen wird. Bisher hat er nicht weniger als 94 Personen Straferlass gewährt, fast alle mit persönlichen oder finanziellen Beziehungen zum Präsidenten. Als sicher gelten eine Amnestie für Tochter Ivanka, Schwiegersohn Jared Kushner und seine beiden Söhne Donald Jr. und Eric. Auch zwei Rapmusiker will der Präsident entlasten.Rechtsexperten sind uneins in der Frage, ob der Präsident sich auch selbst vorbeugend begnadigen könnte. Insidern zufolge diskutiert Trump diese Frage mit Beratern. Harvard-Rechtsprofessor Jack Goldsmith meint, dass Trump hierzu befugt sei, “nicht aber, dass das Bidens Justizministerium eine solche Selbstbegnadigung anerkennen würde”. Selbst wenn die Selbstamnestie rechtlich Bestand hätte, bleibt unklar, ob diese auch für einen so gravierenden Anklagepunkt wie Hochverrat gelten könnte. Die Bundesanwaltschaft hat in diesem Punkt nach dem Sturm auf das Kapitol Ermittlungen aufgenommen.Aus Sicht einzelner Bundesstaaten wäre eine Begnadigung irrelevant. So ermittelt die Staatsanwaltschaft in Georgia gegen den Präsidenten wegen Verdachts auf Wahlbetrug. Brenzlig könnte es für Trump vor allem in New York werden, wo Staatsanwalt Cyrus Vance ihm seit über vier Jahren auf den Fersen ist. Dort reichen die möglichen Anklagepunkte von Schweigegeldzahlungen über Kreditbetrug bis hin zu Steuerhinterziehung. Vorgeladen hat Vance Mitarbeiter der Deutschen Bank, des Finanzdienstleistungsunternehmens Aon sowie des Wirtschaftsprüfungskonzerns Mazars USA, zu denen Trumps Firmenimperium Geschäftsbeziehungen unterhielt.Mitarbeiter der Deutschen Bank befragte die Staatsanwaltschaft zu ihren Kreditvergabekriterien, da sie vermutet, dass die Trump-Organisation falsche Angaben sowohl über die eigene Ertragslage als auch das Privatvermögen des Unternehmers gemacht hat. Nachgehen wollen Vance und sein Team aber auch der Frage, inwieweit Honorare in Millionenhöhe an die hauseigene Beratungsfirma TTT Consulting, für die Ivanka arbeitete, als illegaler Steuerabzug geltend gemacht wurden.Einige Rechtsexperten halten es zudem für möglich, dass Vance auch wegen Geldwäsche ermittelt. Anhaltspunkt hierfür könnten jene 420 Mill. Dollar an privaten Krediten des Präsidenten sein, die in den kommenden zwei Jahren fällig werden. Trump will jedoch weder die Gläubiger preisgeben noch seine Steuererklärungen veröffentlichen oder Geschäftsbeziehungen zu Moskau einräumen, von deren Existenz die New Yorker Staatsanwaltschaft offenbar überzeugt ist.