WIE GEHT ES WEITER MIT DER DEUTSCHEN KONJUNKTUR?

Die Belastungsfaktoren

Notkredite hemmen Investitionen - Rekord-Kurzarbeit schafft Unsicherheit

Die Belastungsfaktoren

ba Frankfurt – Gegen eine schnelle Erholung der Wirtschaft nach dem tiefen Einbruch infolge der Corona-Pandemie spricht vor allem die anhaltende Unsicherheit. Genauer: Die Unsicherheit über den weiteren Pandemieverlauf, mögliche neue Lockdowns sowie die wirtschaftlichen und sozialen Folgen.Zu diesen zählt etwa die sich verschärfende Liquiditätssituation vieler Unternehmen, die das Investitionsgeschehen belastet. Denn um den Umsatzausfall während des Lockdown zu überbrücken und die dennoch anfallenden Fixkosten zu decken – sprich: um ihr Überleben zu sichern -, haben viele Firmen Kredite aufgenommen, die es nun abzuzahlen gilt. Sparen statt investieren lautet für die kommenden Monate, wenn nicht gar Jahre die Devise.Auch die privaten Haushalte werden ihren Konsum einschränken. Sofern sie überhaupt können, wird lieber gespart. Zudem ist es nur sinnvoll, sich bei größeren Anschaffungen zurückzuhalten, wenn man um seinen Job bangt, ihn verloren hat oder dies befürchtet. Schon jetzt haben 30 % der Deutschen keine nennenswerten Rücklagen, und die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist nicht eben rosig. Die Zahl der offenen Stellen sinkt bereits seit geraumer Zeit. Coronabedingt sind die bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) gemeldeten Stellen im Juli insbesondere im Gastgewerbe (- 44 %), aber auch bei Verkehrs- und Logistikunternehmen (- 38 %) im Vergleich zum Juli 2019 erheblich zurückgegangen. Im zweiten Quartal 2020 gab es bundesweit 893 000 offene Stellen – das sind 35,7 % weniger als im Vorjahr.Zu dem starken Rückgang trägt auch der massive Einsatz der Kurzarbeit bei: Vom Zeitpunkt der Kurzarbeitsanzeige an die BA bis zum Ende der Kurzarbeitergeldphase gilt nämlich ein Einstellungsstopp. Anträge von Unternehmen auf Kurzarbeit liegen für rund 12 Millionen Arbeitnehmer vor. Zwar wird erfahrungsgemäß Kurzarbeit oft vorsorglich angemeldet, aber nicht verwirklicht – doch besteht für viele Kurzarbeiter das Risiko, später doch noch den Job zu verlieren. Die Zahl der Unternehmen, die mittels Kurzarbeit dringend nötige Fachkräfte sichern, geht nur langsam zurück. Im Juli waren es noch 42 % aller Unternehmen, die an der monatlichen Konjunkturumfrage des Ifo-Instituts teilnehmen, nach 46 % im Juni und 53 % im Mai. Laut Ifo waren im Juli noch 5,6 Millionen Arbeitnehmer in Kurzarbeit, nach 6,7 Millionen im Juni und 7,3 Millionen im Mai.Zum Vergleich: Auf dem Höhepunkt der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 lag die Zahl der Betroffenen bei 1,4 Millionen. Und auch wenn das Kurzarbeitergeld die Einkommensverluste für die Beschäftigten abfedert: Die Kurzarbeit führt zu sinkenden Monatsverdiensten. Im zweiten Quartal waren es im Vorjahresvergleich 2,2 % weniger, die bezahlte Wochenarbeitszeit ist um 4,7 % zurückgegangen. Der Bedarf an Schuldnerberatung steigt bereits. Für Herbst – wenn staatliche Coronahilfen auslaufen – wird eine Welle an Privatinsolvenzen erwartet.Bereits jetzt hätten 10 % der europäischen Haushalte ein ernsthaftes Schuldenproblem, wobei sich diese Zahl noch verdoppeln dürfte, schätzt das Schuldnerberatungsnetzwerk European Consumer Debt Network (ECDN). Bis der Arbeitsmarkt wieder ähnlich entspannt ist wie vor der Krise, wird es laut BA-Chef Detlef Scheele “sicherlich bis 2022 oder 2023 dauern”. Am Ende dieses Jahres, so prognostizieren Experten, werde die Zahl der Arbeitslosen um 1 Million über dem Vorkrisenniveau liegen.Die Zukunftssorgen der Konsumenten trifft vor allem die Automobilindustrie, also eine der Schlüsselbranchen, hart. Die Pkw-Nachfrage ist eingebrochen. Obendrauf kommt noch der Strukturwandel. Der Verband der Automobilindustrie (VDA) geht für 2020 von rund 2,8 Millionen Pkw-Neuzulassungen aus – einem Rückgang um 23 %. Unternehmen reagieren entsprechend mit Stellenstreichungen und stoppen Ausbaupläne. VW etwa baut nun doch kein Werk in der Türkei, BMW verschiebt den Bau des geplanten Werks in Ungarn um mindestens ein Jahr.Auch der Maschinen- und Anlagenbau – eine weitere wichtige Branche – wird sich nur langsam erholen, da er hauptsächlich Investitionsgüter herstellt. Reiseeinschränkungen und Abstandsgebote erschweren Vertrieb und Service, auch sind ausgefallene oder verschobene Messen als weiteres wichtiges Vertriebsinstrument nur schwer abzufedern. Getroffen werden die Maschinenbauer durch ihre starke Exportorientierung neben der coronabedingt schwachen Auslandsnachfrage auch durch Handelshemmnisse. Nicht nur durch Zölle, sondern auch durch staatliche Exportförderungen von Konkurrenten in deren Heimatländern. Laut einer vom VDMA beauftragten Studie der Universität St. Gallen stehen etwa in China, USA, Russland und den EU-Staaten teils zwischen 70 und 100 % der Maschinenexporte im Wettbewerb mit subventionierten Produkten. Verzögerte Pleitewelle drohtGlobal zunehmender Protektionismus ist aber auch in anderen Branchen ein Hemmschuh. Noch sind die von den USA ausgehenden Handelsstreitigkeiten ebenso wenig vom Tisch wie der harte Brexit zum Jahresende, der angesichts stockender Verhandlungen immer wahrscheinlicher wird. Noch unsichtbar rollt neben einer erneuten Coronainfektionswelle eine Pleitewelle an: Im Frühjahr wurde die Verpflichtung zu einem unverzüglichen Insolvenzantrag bis Ende September ausgesetzt. Die Bundesregierung debattiert eine Verlängerung – aber selbst dann dürften viele Insolvenzen nur aufgeschoben sein, was mit Verzögerung erneut Arbeitsmarkt und Privatkonsum belasten würde. Der Kreditversicherer Euler Hermes erwartet, dass die Zahl der Pleiten hierzulande bis Ende 2021 um insgesamt 12 % auf 21 000 Fälle zunehmen wird.