EUROPA HAT DIE WAHL - EUROPAWAHL 2019

Die Europäerin und der Kämpfer

Mit den Spitzenkandidaten Barley und Bullmann stemmt sich die SPD gegen einen weiteren Absturz und hofft auf Timmermans als neuen EU-Kommissionschef

Die Europäerin und der Kämpfer

Von Andreas Heitker, BrüsselDie Fußstapfen sind groß: Bei der letzten Europawahl 2014 hat der damalige Spitzenkandidat der SPD, Martin Schulz, noch gut 27 % der Stimmen in Deutschland für sich verbuchen können. 27 Abgeordnete konnten die Sozialdemokraten daraufhin in das Europaparlament schicken. Die aktuellen Prognosen sehen die SPD bei 10 Prozentpunkten weniger und noch hinter den Grünen. Die SPD-Gruppe im künftigen Plenum in Brüssel und Straßburg dürfte damit auf rund 17 Abgeordnete schrumpfen. Den Absturz einigermaßen in Grenzen halten sollen zwei recht unterschiedliche Spitzenkandidaten: Bundesjustizministerin Katarina Barley und der Fraktionsvorsitzende der europäischen Sozialdemokraten im EU-Parlament, Udo Bullmann.Barley gilt allein wegen ihrer Familiengeschichte eigentlich als ideale Politikerin, um für eine weitere europäische Integration zu werben: Die 50-Jährige ist Tochter eines britischen Journalisten und einer deutschen Ärztin und hat daher auch zwei Staatsbürgerschaften. Ein Studienjahr verbringt sie im Zuge eines Erasmus-Stipendiums in Paris, wo sie den Mann ihrer zwei Kinder kennenlernt:. Er ist halber Spanier und halber Niederländer. “Mehr Europa geht nicht”, sagt Barley selbst.Dennoch gehörte einiger Druck ihrer Partei dazu, die Juristin, die vier Sprachen spricht, dazu zu bringen, ihr Ministeramt im Zuge der Europawahl aufzugeben und dann nach Brüssel zu wechseln. Denn eigentlich gilt Barley auch in Berlin längst als einer der wenigen Hoffnungsträger der Partei. Erst 2013 war sie erstmals in den Bundestag gewählt worden, wurde zwei Jahre später Generalsekretärin und schon weitere zwei Jahre später Ministerin.Ihr stets freundlicher, fröhlicher und offener Umgang und ihre zugleich klaren und verbindlichen Ansagen brachten ihr schnell viel Sympathie innerhalb und auch außerhalb der SPD ein. Außenminister Heiko Maas sagte nach ihrer Nominierung zur Spitzenkandidatin im vergangenen Oktober etwas pathetisch, gäbe es Katarina Barley nicht, müsste man sie erfinden: “Zwei Pässe, ein Herz für Europa und haufenweise frische Ideen.” Erfahren, aber unbekanntEbenso wie Grüne und Linke tritt auch die SPD mit einer Doppelspitze zur Europawahl an. An Barleys Seite steht der Politikwissenschaftler Udo Bullmann. Der 62-Jährige bringt den Vorteil mit, dass er nach mittlerweile 20 Jahren im EU-Parlament die Strukturen und Abläufe der Brüsseler Institutionen aus dem Effeff kennt. Er ist hervorragend vernetzt, hat in wichtigen Ausschüssen wie dem Wirtschafts- und Währungsausschuss Econ mitgearbeitet, führt seit dem vergangenen Jahr die Fraktion der europäischen Sozialdemokraten im Parlament (S&D) als Vorsitzender und taucht in den Listen der einflussreichsten Europaabgeordneten regelmäßig ganz weit oben auf. Sein Nachteil: In Deutschland kennt ihn niemand. Bei einer in der vergangenen Woche veröffentlichten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov zum Bekanntheitsgrad der deutschen Europawahl-Spitzenkandidaten landete Bullmann zusammen mit dem Linken-Politiker Martin Schirdewan mit gerade einmal 4 % auf dem letzten Platz. Unterschiedliche CharaktereBullmann ist trotz seiner Arbeit in Brüssel und Straßburg aber immer in Hessen verwurzelt geblieben. Er wohnt mit seiner Familie in seiner Geburtsstadt Gießen und fiebert selbstverständlich auch mit der Eintracht aus Frankfurt. In seinen Reden im EU-Parlament zeigt er sich stets kämpferisch. Er ist so etwas wie der aufrechte Sozialdemokrat der alten Schule, der sich leidenschaftlich für Arbeitnehmerrechte, für ein soziales Europa und gegen Ungerechtigkeiten einsetzt.Katarina Barley und Udo Bullmann sind unterschiedliche Charaktere, die sich gut ergänzen. Der dreifache Vater zeichnet in seinen Auftritten gerne das große Bild: die EU als Friedensprojekt. Die EU als Verteidiger von Gerechtigkeit und Freiheit. Bullmann erklärt sich selbst auf seiner Homepage so: “Ich bin lutherischer Protestant und als radikaler Christ europäischer Sozialist geworden.”Barley und Bullmann wollen der arg schrumpfenden SPD auch im neuen EU-Parlament Konturen verleihen. Für die Neubesetzung der EU-Kommission haben sie ihren Hut nicht in den Ring geworfen. Hier setzen sie ganz auf Frans Timmermans, den Spitzenkandidaten der europäischen Sozialdemokraten. Der Niederländer, der aktuell erster Stellvertreter von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ist, gilt als wichtigster Konkurrent von Manfred Weber (CSU), dem Kandidaten der Europäischen Volkspartei (EVP).Timmermans, der in der kommenden Woche 58 Jahre alt wird, hat französische Literatur- und Sprachwissenschaft, Europarecht und Politikwissenschaften studiert. In den Niederlanden war er vor seinem Eintritt in die EU-Kommission unter anderem schon Außenminister gewesen. Und in der Brüsseler Behörde hat er sich in den vergangenen Jahren vor allem als starker Verfechter europäischer Werte im Streit mit Polen und Ungarn hervorgetan.Allerdings hat auch Timmermans ein Problem: Seine politische Heimat, die sozialdemokratische Arbeiterpartei (PvdA), ist in den Niederlanden noch viel stärker geschrumpft als die SPD in Deutschland. Jüngsten Prognosen zufolge kann sie nur noch mit 7 % der Stimmen und zwei Mandaten bei der Europawahl rechnen. Und ob Timmermans darüber hinaus die Unterstützung der niederländischen Regierung für einen Sprung an die Kommissionsspitze hat, ist auch noch mehr als fraglich.