Die europäischen Kapitalmärkte richten sich neu aus
Das Brexit-Votum der Briten verändert die Rahmenbedingungen für die Volkswirtschaften in Europa. Auch einzelne Standorte wie Frankfurt und London gewinnen oder verlieren durch die neuen Kräfteverhältnisse, was wiederum auf die Wirtschaft der Länder und Regionen durchschlägt.Von Stephan Lorz, FrankfurtDie Entscheidung der Briten, die Europäische Union (EU) verlassen zu wollen, erzwingt eine Neubespannung des Finanznetzwerks in Europa. Denn dadurch ändern sich die Regulierungsbedingungen für den Bankenplatz London, was die Finanzflüsse umleiten wird. Die starke Konkurrenz der Finanzstandorte und die enorme Anpassungsfähigkeit der Finanzindustrie dürfte aber sicherstellen, dass sich schnell ein neues Netzwerk herausbildet – mit neuen verstärkten Finanzierungshubs in Frankfurt, Paris oder auch Mailand.Das neue Hauptfinanzzentrum Europas wird nach Meinung der von der Börsen-Zeitung befragten Ökonomen dabei wohl Frankfurt sein. “The winner is Frankfurt”, antwortete der Wirtschaftsweise Peter Bofinger auf die Frage zu den Auswirkungen des Brexit auf die europäischen Finanzmärkte. Es sei kaum vorstellbar, dass es für Großbritannien einen “Deal” unter irgendwelchen Sonderbedingungen geben werde. London werde, so erwartet der Wirtschaftsweise Lars Feld, mit Deregulierung und Steuervorteilen dagegenhalten. Wie viel das bringt, wird sich zeigen.Ob Frankfurt der automatische Gewinner eines Exodus aus London sein wird, daran melden einige Ökonomen aus der Befragung indes Zweifel an. Bei der Wahl eines neuen Finanzzentrums innerhalb des Europäischen Binnenmarktes könnte Frankfurt das Ziel sein, “aber auch Luxemburg, Paris oder Mailand”, macht sich Ifo-Präsident Clemens Fuest keine Illusionen. Und auch Allianz-Chefvolkswirt Michael Heise sieht “Frankfurt nicht automatisch als Gewinner”. Es müsse sich gegenüber den anderen EU-Finanzplätzen mit guter Infrastruktur und Jobmöglichkeiten sowie mit attraktiven Lebensbedingungen behaupten. Eine effiziente und gut regulierte Börseninfrastruktur sei dafür von großer Bedeutung.Das ist auch der Grund, weshalb Heise Sympathien zeigt, das Fusionsvorhaben zwischen der Deutschen Börse in Frankfurt und der London Stock Exchange (LSE) nach dem Brexit-Votum nun nicht gleich abzublasen. Der Zusammenschluss mache auch dann Sinn, wenn Großbritannien außerhalb der EU sei. Michael Hüther, Präsident des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), hält eine Fusion sogar “gerade jetzt” für besonders attraktiv. Denn durch den Brexit habe die LSE einen erschwerten Zugang zum Binnenmarkt und Frankfurt zu den internationalen Strukturen. Mit einer Börsenfusion werde “eine Brücke zwischen Frankfurt und London errichtet”. Ein Zusammenschluss erleichtere also den Ablauf von Finanztransaktionen.Dass an dem geplanten Holdingsitz London festgehalten wird, glauben aber auch die allermeisten Ökonomen nicht mehr. Der rechtliche Sitz könne nicht mehr in London sein, betont Hüther. Heise erwartet zudem, dass die Banker in London angesichts der neuen Umstände einem Hauptsitz in Frankfurt durchaus auch etwas Positives abgewinnen können, schließlich bleibe man dadurch trotz Brexit “in der EU verankert”. Für Bofinger ist das kein Modell: Die Börsenfusion hält er unter diesen Bedingungen für gestorben.