GASTBEITRAG

Die Eurozone-Wachstumsprognose des IWF für 2021 ist mit Vorsicht zu genießen

Börsen-Zeitung, 16.9.2020 Derzeit sind die durch die Pandemiebekämpfung mitbedingten wirtschaftlichen Rückgänge im Vorjahresvergleich in vielen europäischen Ländern noch in vollem Gange. Im Vormonatsvergleich sind bereits erste Erholungen sichtbar....

Die Eurozone-Wachstumsprognose des IWF für 2021 ist mit Vorsicht zu genießen

Derzeit sind die durch die Pandemiebekämpfung mitbedingten wirtschaftlichen Rückgänge im Vorjahresvergleich in vielen europäischen Ländern noch in vollem Gange. Im Vormonatsvergleich sind bereits erste Erholungen sichtbar. Es stellt sich deshalb die Frage, wie schnell und in welchem Umfang die Aufholprozesse in Zukunft ablaufen. Im Folgenden soll auf die Wirtschaftsentwicklung gemessen am realen Bruttoinlandsprodukt seit 2008 (nach der Finanzkrise) geblickt werden, indem die Abschwung- und Aufholprozesse im europäischen Vergleich dargestellt werden, die zur Einschätzung von Erholungspotenzialen im Jahr 2021 nützlich sein könnten.Zur Kontrastierung von solchen Prognosen für 2021 ist es hilfreich, die wirtschaftlichen Rückgänge nach 2008/2009 zu analysieren und dabei die Intensität und zeitliche Dauer der Rückgänge sowie die Schnelligkeit des nachfolgenden Aufholprozesses zu vergleichen, auch wenn die Art der Krisen unterschiedlich ist. Als weiteres Indiz zur Beurteilung der in der jüngsten Vergangenheit gezeigten wirtschaftlichen Erholungskraft einer Volkswirtschaft dient in der Darstellung die höchste seit 2010 in den einzelnen Ländern erzielte jährliche Wachstumsrate. Eine Dekade des AufschwungsObwohl bis auf Polen alle europäischen Länder im Jahr 2009 Rückgänge ihrer wirtschaftlichen Aktivität zu verzeichnen hatten – der niedrigste Jahreswert ist in der Tabelle gelb hinterlegt -, erholten sich bis 2019 fast alle betroffenen Länder. Eine Überschreitung des Vorkrisenwertes ist blau hinterlegt. Deshalb fehlt ein solcher Wert für Italien und Griechenland, da ein Vorkrisenwert noch nicht erreicht wurde. Ihre wirtschaftliche Aktivität entsprach 2019 in etwa der der Jahre 2004 (Italien) beziehungsweise 2001 (Griechenland).2019 lag die wirtschaftliche Aktivität in der EU-28 12 % und in Deutschland 14 % über der des Jahres 2008. In den meisten Nachbarländern lag dieser Wert zwischen 11 % (Frankreich, Niederlande) und 17 % (Schweiz), wobei eine überdurchschnittliche Entwicklung mit 21 % in Tschechien, 28 % in Luxemburg und 47 % in Polen zu verzeichnen war. Diese Niveaus bilden den Ausgangspunkt für die sich 2020 abzeichnenden Rückgänge und die später zu erwartende Erholung.Die Tabelle stellt bewusst auf Jahreswerte ab, damit der Leser die Darlegungen selbst leicht nachvollziehen und überprüfen kann. Die Ausgangsdaten entstammen der amtlichen Statistik, wie sie von Eurostat basierend auf Datenlieferungen der Mitgliedstaaten veröffentlicht werden. Nur Polen ohne Rücksetzer Bei der Betrachtung von Deutschland und seinen neun Nachbarländern fällt auf, dass ebenso wie Deutschland auch die Nachbarstaaten Niederlande, Belgien, Frankreich, Schweiz, Österreich und Tschechien sowie der Durchschnitt der EU-28 (das Vereinigte Königreich hat erst außerhalb des Betrachtungszeitraums Ende Januar 2020 die EU verlassen) lediglich einen einzigen Jahreswert (für das Jahr 2009) mit einem Rückgang aufweisen. Luxemburg und Dänemark hatten über zwei Jahre ein rückläufiges BIP zu verzeichnen. Die polnische Wirtschaft hingegen ist seit über 25 Jahren ausnahmslos gewachsen. Nach kleinen Dips rasch erholtDie Aufholprozesse in den an Deutschland angrenzenden Ländern differierten dagegen erheblich. Während Belgien und die Schweiz bereits ein Jahr nach dem Rückgang ihr Ausgangsniveau wieder überschritten hatten, dauerte es in Deutschland, Luxemburg, Frankreich und Österreich zwei Jahre. In Tschechien, Dänemark und den Niederlanden dauerte der Aufholprozess, wobei dieser teilweise auch durch kleinere Rückgänge unterbrochen wurde, fünf oder sechs Jahre. Dies gilt auch für den EU-28-Durchschnitt und den Durchschnitt im Europäischen Währungsraum.Zusammenfassend ist festzustellen, dass Länder mit sehr kleinen Rückgängen (Dips) zwischen 2 % und knapp 3 % (Belgien, Schweiz, Frankreich) sich rascher erholten als Länder mit größeren Rückgängen zwischen 3 ½ und 5 ½ %. Diese Länder verzeichneten bis zum Erreichen des Ausgangswertes einen mindestens zwei Jahre laufenden Erholungsprozess. In mehreren anderen EU-Ländern, zum Beispiel im Süden Europas, waren oft längere Abschwungphasen (fünf bis sieben Jahre) und insgesamt stärkere Rückgänge (- 9 bis – 26 %) zu verzeichnen, wobei die mit der Schuldenkrise zusammenhängenden Maßnahmen eine Rolle spielten. Die Aufholprozesse zogen sich über vier Jahre (Spanien) beziehungsweise fünf Jahre (Portugal) hin oder waren bis 2019 noch nicht abgeschlossen (Italien, Griechenland).Die Differenz zwischen den höchsten gemeldeten Wachstumsraten in den Jahren 2010 bis 2019 innerhalb der Länder, die an Deutschland grenzen und zumindest in einem Jahr einen Rückgang verzeichneten, ist vergleichsweise klein. Die niedrigste maximale Wachstumsrate verzeichnete Frankreich mit 2,3 %, gefolgt von Österreich, den Niederlanden, Belgien, der Schweiz und Dänemark mit rund 3 %. Die höchsten maximalen Wachstumsraten in diesem Zehnjahreszeitraum verzeichneten Deutschland mit 4,2 %, Luxemburg mit 4,9 % und Tschechien mit 5,4 %, das erst 2014 nach einer längeren Phase eher kleiner Wachstumsraten das Vorkrisenniveau erreichte. Die besonders starke Erholung folgte auf einen zuvor starken Einbruch, während die Länder mit einem geringeren maximalen Wachstum zuvor meist kleinere Rückgänge zu verzeichnen hatten. Selten über 4 ProzentBetrachtet man alle jährlichen Wachstumsraten für Deutschland und die angrenzenden Länder zwischen 2010 und 2019, so lagen von den 100 Veränderungsraten lediglich acht Wachstumsraten über 4 %, nämlich in Deutschland 2010 sowie in Luxemburg in den Jahren 2010 sowie 2014 bis 2016, in Tschechien 2015 und 2017 sowie in Polen 2011 und 2018.Mit Blick auf die Vergangenheit lässt sich somit feststellen, dass mit Dänemark, den Niederlanden, Belgien, Frankreich, der Schweiz und Österreich sechs der zehn näher betrachteten Länder kein einziges Mal eine Wachstumsrate von mehr als 4 % verzeichneten, aber auch keinen so starken Einbruch zuvor. Außerhalb dieser Länder verzeichneten einige südeuropäische Länder als maximales Wachstum in der letzten Dekade 3,8 % (Spanien) beziehungsweise 3,5 % (Portugal), während die höchsten Wachstumsraten in Griechenland 1,9 % und in Italien 1,7 % betrugen. Deutlicher Swing erwartetIm Aggregat der 28 EU-Mitgliedstaaten sowie im Europäischen Währungsraum lag die maximale Wachstumsrate zwischen 2010 und 2019 bei 2,6 %. Im Jahr 2021 erwartet der IMF für den europäischen Währungsraum nach – 10 % für 2020 mit 6 % eine Wachstumsrate, die im Jahrzehnt zuvor auch nicht annähernd zu beobachten war. In der Coronakrise, die sich grundsätzlich von den Krisen im letzten Jahrzehnt unterscheidet, kommt nun erschwerend hinzu, dass in nicht unerheblichem Umfang realwirtschaftliche Effekte zu verzeichnen sind, die einen längeren Erholungsbedarf befürchten lassen. Hinzu kommt, dass bislang offen ist, wann und in welcher Geschwindigkeit die Infektionswellen der Pandemie und damit deren wirtschaftliche Auswirkungen zuverlässig eingedämmt werden können.Die vom IMF angenommene Wachstumsrate von 6 % für den Europäischen Währungsraum erscheint daher außerordentlich optimistisch. Im Lichte der in diesem Artikel behandelten Erfahrungen aus der Finanzkrise erscheint es angemessen, derartig positive Erwartungen mit Vorsicht zu betrachten und eher mit einem längeren Aufholprozess (nach 2021) sowie mit niedrigeren Wachstumsraten zu rechnen. Die vom Autor geäußerten Ansichten sind seine eigene Meinung und stimmen nicht notwendigerweise mit den Ansichten der Europäischen Kommission überein. —-Peter Parlasca FRICS, Senior Expert Real Estate Statistics – Eurostat/Luxemburg