Im InterviewJörg Krämer

„Die EZB hat deutlich an Unabhängigkeit eingebüßt“

In dieser Woche kommen die US-Notenbank Fed und die Europäische Zentralbank (EZB) zu wichtigen Sitzungen zusammen. Weitere Zinserhöhungen gelten in beiden Fällen als sicher. Unklar ist, ob damit das Ende der jüngsten Zinserhöhungen markiert ist. Im Interview ordnet Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, Lage und Ausblick ein.

„Die EZB hat deutlich an Unabhängigkeit eingebüßt“

„Die EZB hat deutlich an Unabhängigkeit eingebüßt“

Der Commerzbank-Chefvolkswirt über den aktuellen Kurs von EZB und Fed, den Inflationsausblick und die Zukunft der Geldpolitik

Nächste Woche kommen die US- Notenbank Fed und die Europäische Zentralbank (EZB) zu wichtigen Sitzungen zusammen. Weitere Zins- erhöhungen gelten in beiden Fällen als sicher. Unklar ist, ob damit das Ende der jüngsten Zinserhöhungen markiert ist. Im Interview ordnet Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, Lage und Ausblick ein.

Herr Krämer, es gilt als nahezu ausgemacht, dass die US-Notenbank Fed und die Europäische Zentralbank (EZB) nächste Woche ihre Leitzinsen erneut um 25 Basispunkte anheben. Unklar und umstritten ist aber der weitere Kurs. Kommen weitere Zinsschritte oder ist der Zinsgipfel damit erreicht?

Mit den Zinserhöhungen nächste Woche dürfte der Zinsgipfel in den USA und vermutlich auch im Euroraum erreicht sein. Gegen weitere Zinsanhebungen in den USA spricht, dass die US-Notenbank die Obergrenze ihrer Leitzinsspanne nächste Woche voraussichtlich auf 5,5% anheben wird und ihre Geldpolitik damit restriktiv ausgerichtet ist. Hinzu kommt, dass die US-Inflation bereits auf 3,0% gefallen ist und auch die Kerninflation ohne Energie und Nahrungsmittel deutlich nachgelassen hat. Für die EZB ist ein Ende der Zinserhöhungen weniger sicher. Aber auch im Euroraum sinkt die Inflation.  Außerdem haben die konjunkturellen Frühindikatoren zuletzt negativ überrascht, weshalb die EZB ihre optimistischen Wachstumserwartungen für das zweite Halbjahr senken dürfte. All das spricht dagegen, dass die EZB ihren Leitzins im September erneut erhöht.

Vor allem im Euroraum ist die Inflation mit aktuell 5,5% weit vom 2-Prozent-Ziel der EZB entfernt, und selbiges scheint auch vor 2025 nicht erreichbar. In den USA liegt die Konsumentenpreisinflation zwar bei nur noch 3,0%, die Kernrate aber bei 4,8%. Können sich die Zentralbanken in einer solchen Situation wirklich schon zurücklehnen?

Jetzt fragen Sie nicht nach meiner Zinsprognose, sondern danach, was die Notenbanken tun sollten. Ich würde der EZB von einem frühen Ende der Zinserhöhungen abraten. Erstens läge der EZB-Einlagensatz nach dem erwarteten Zinsschritt nächste Woche mit 3,75% nicht deutlich über dem Niveau, das ich für eine wirkungsvolle Bekämpfung der Inflation für notwendig halte. Zweitens ziehen die Lohnsteigerungen zur Zeit in den meisten Ländern des Euroraums massiv an. Drittens haben sich die langfristigen Inflationserwartungen bereits über dem EZB-Ziel von 2% verfestigt.

Viele Marktteilnehmer spekulieren sogar bereits auf baldige Zinssenkungen, vor allem in den USA, wo das schon dieses Jahr erwartet wird. Ist das angesichts der weiter viel zu hohen Inflation vorstellbar – und ratsam? Die 1970er Jahren gelten da als abschreckendes Beispiel, als die Fed im Kampf gegen die hohe Inflation zu früh einknickte.

Wie gesagt, im Euroraum müssten die Leitzinsen meines Erachtens nach weiter steigen. Baldige Zinssenkungen sind also sicher nicht angebracht. Ratsam ist das aber auch für die USA nicht. Der Markt preist für die Fed zu frühe und zu viele Zinssenkungen ein.

Wie groß schätzen Sie denn aktuell die Gefahr einer Rezession einerseits in den USA und andererseits im Euroraum ein?

Im Euroraum fallen die Frühindikatoren in der Breite, für das laufende zweite Halbjahr zeichnet sich eine milde Rezession ab. Grundsätzlich rechne ich damit auch für die USA, auch wenn in den US-Konjunkturdaten noch wenig darauf hindeutet. Aber geldpolitische Bremsmanöver führten auch in den USA früher oder später regelmäßig zu Rezessionen.

Kommt angesichts von Konjunkturrisiken und Sorgen um die Finanzstabilität jetzt das Preisstabilitätsmandat unter die Räder, so dass wir uns auf dauerhaft höhere Inflationsraten einstellen müssen?

Die Inflation im Euroraum dürfte in den kommenden Monaten weiter zügig sinken; auch die Kerninflation dürfte etwas zurückgehen, weil die Materialengpässe abgeklungen sind. Aber die hohen Lohnabschlüsse werden wohl verhindern, dass die Kerninflation im kommenden Jahr weiter fällt. Für den Durchschnitt der kommenden Jahre erwarte ich Inflationsraten deutlich oberhalb des EZB-Ziels von 2%. Letztlich wird die EZB nicht entschieden genug gegen die beträchtlichen Inflationsrisiken vorgehen – auch weil sie die Wünsche der hoch verschuldeten Mitgliedsländer berücksichtigt.

Vor allem aus Italien gab es zuletzt heftige Kritik an der EZB, aber auch andernorts wird über die Unabhängigkeit der Geldpolitik diskutiert. Sehen Sie diese in Gefahr oder braucht es künftig ohnehin mehr Kooperation zwischen Geld- und Fiskalpolitik?

Auf dem Papier ist die Unabhängigkeit der EZB groß. Aber in der Praxis hat die EZB deutlich an Unabhängigkeit dadurch eingebüßt, dass Länder wie Italien sich durchgreifenden Reformen verweigerten, sich zu hoch verschuldeten und die EZB in die Rolle des wirtschaftspolitischen Ausputzers geriet. Noch mehr von der sogenannten Kooperation zwischen Geld- und Fiskalpolitik würde die Unabhängigkeit der EZB weiter untergraben und die langfristigen Inflationsrisiken erhöhen.

In letzter Zeit wurden erneut Forderungen laut, die Zentralbanken sollten das weit verbreitete Inflationsziel von 2% auf 3% oder 4% anheben. Wäre das sinnvoll oder würde es die Glaubwürdigkeit völlig untergraben?

Es wäre fatal, wenn die Zentralbanken ihre Inflationsziele anheben würden. Natürlich kann man auch mit 3% statt mit 2% leben. Aber wenn eine Zentralbank ihr Inflationsziel anhebt, weil sie es nicht erreicht, werden alle erwarten, dass sie das beim nächsten Mal erneut macht. Dann wäre die Glaubwürdigkeit der Zentralbanken dahin. Deshalb erwarte ich auch nicht, dass sie ihre Inflationsziele explizit anheben werden. Stattdessen dürften sie nicht entschieden genug vorgehen, wenn sich etwa im nächsten Jahr eine dauerhaft über 2% liegende Inflation abzeichnet.

IWF-Vizechefin Gita Gopinath hat un- längst zu einer weniger aktionistischen Geldpolitik aufgerufen, wenn die Infla- tion nur geringfügig unter den Zielwert fällt, und insbesondere zu mehr Zurückhaltung bei breit angelegten Anleihekäufen – dem „Quantitative Easing“ (QE). Ist ein solches Umdenken der Zentralbanken notwendig?

Interessant ist, dass bei vielen Verantwortlichen immer noch die Angst vorhanden scheint, dass die Inflation dauerhaft unter 2% fällt. Die meisten Bürger sehen das anders. Wie auch immer: Im Fall einer Inflation von dauerhaft unter 2% sollten die Zentralbanken zwar gegensteuern, aber nicht zu extremen Mitteln greifen. Die Nebenwirkungen breit angelegter Anleihenkäufe sind etwa mit Blick auf eine Inflationierung der Vermögenswerte zu hoch – zumal die Bürger kein Problem haben, wenn die Inflation etwas unter 2% läge.

Im Interview: Jörg Krämer

| Quelle:

Die Fragen stellte Mark Schrörs.

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