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Die falsche Angst vor der Automatisierung

Börsen-Zeitung, 9.11.2018 Die Angst vor dem Ende der Arbeit geht um. Digitalisierung und Automatisierung bedrohen angeblich die Existenz von Millionen Jobs. Glaubt man den vielen Untergangspropheten, die sich derzeit lautstark zu Wort melden, stehen...

Die falsche Angst vor der Automatisierung

Die Angst vor dem Ende der Arbeit geht um. Digitalisierung und Automatisierung bedrohen angeblich die Existenz von Millionen Jobs. Glaubt man den vielen Untergangspropheten, die sich derzeit lautstark zu Wort melden, stehen wir vor dem Beginn eines neuen Zeitalters der Massenarbeitslosigkeit. Zum Jahreswechsel schrieb die deutsche Presse “Wir werden fast alle arbeitslos!” Begründung für die reißerische Vorhersage: das Fortschreiten der Industrie 4.0. Da ist es kein Wunder, dass viele Arbeitnehmer es mit der Angst zu tun bekommen. Auch und gerade in der Logistik. Immerhin sind fahrerlose Transportsysteme und vollautomatische Lager tatsächlich auf dem Vormarsch. Deutsches JobwunderDie Realität des Jahres 2018 ist indes eine andere und konterkariert die Angst vor Automatisierung und Digitalisierung eindrucksvoll: 44,3 Millionen Erwerbstätige in Deutschland zählte die Bundesagentur für Arbeit in diesem Jahr – niemals zuvor in der deutschen Geschichte waren mehr Menschen in Lohn und Brot. Ein Jobwunder! Seit ihrem Höchststand 2005 hat sich die Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik halbiert. Es fehlt nicht mehr an Arbeit, stattdessen wird die Anzahl der arbeitenden Männer und Frauen knapp. Der Fachkräftemangel ist Realität und beschränkt sich nicht mehr nur auf akademische Berufe mit hoher Spezialisierung. Auch Facharbeiter und Fahrer, ob für Gabelstapler oder Lkw, werden inzwischen händeringend gesucht und sind kaum noch zu finden. Überraschend, wo doch der Trend zur Automatisierung besonders in Industrie und Logistik schon seit einiger Zeit unübersehbar ist. Produktivität folgt WohlstandDoch hinter dem vermeintlichen Widerspruch versteckt sich in Wahrheit eine simple Kausalität. Die positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt vollzieht sich nicht trotz, sondern gerade auch wegen des zunehmenden Einzugs von Technologie im Arbeitsalltag. Denn tatsächlich ist der Zusammenhang zwischen der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt und der voranschreitenden Automatisierung genau anders herum, als es uns die Fortschrittspessimisten weismachen wollen.Wohl nichts hat den Menschen so viel Wohlstand und neue Chancen geschenkt wie der Einzug von Technologien in die Arbeitswelt. Mechanisierung und Automatisierung haben seit jeher zur Humanisierung der Arbeit geführt. Lebenserwartung, Gesundheit und Lebensstandard breiter Bevölkerungsschichten konnten dadurch in einem Maße steigen wie nie zuvor in der Menschheitsgeschichte.Von Beginn an hat die Maschinenbauindustrie ihre Aufgabe und ihr Ziel darin gesehen, durch ihre Produkte und Innovationen menschliche Arbeit zu optimieren, produktiver zu machen und dort, wo es sinnvoll ist, auch zu substituieren.Die Intralogistik war und ist hier beispielhaft: Mit der Erfindung der Sackkarre konnte ein Arbeiter in einer Schicht mehr Güter transportieren, als vorher vier Arbeiter auf ihren Schultern tragen konnten. Die Erfindung des Handgabelhubwagens ermöglichte ein Vielfaches an Transportleistung gegenüber der Sackkarre. Weniger Arbeiter schafften mehr, und das mit deutlich geringerer körperlicher Belastung. Noch größer war der Effizienzsprung mit der Erfindung des motorisierten Gabelstaplers. Durch den Einzug fahrerloser Transportsysteme setzt sich dieser Trend nun fort. Jede dieser Innovationen und jede Verbesserung der Maschine führte dazu, dass mit weniger menschlicher Arbeit mehr Output erreicht wurde. Die Folge: beispiellose Prosperität und mehr Jobs. Das ist nur vordergründig paradox – in Wahrheit ist es sogar zwingend: Je höher die Produktivität, desto höher der Wohlstand und desto geringer die Arbeitslosigkeit.Wer daran zweifelt, möge gedanklich die Gegenprobe machen: Es erschließt sich auf den ersten Blick, dass der Verzicht auf den Einsatz aller mechanischen Flurförderzeuge in den Lagern und Fabriken dieser Welt nicht etwa zu einer steigenden Nachfrage nach Arbeitskräften führen würde, sondern im Gegenteil zum sofortigen Zusammenbruch unserer Wirtschaft. Mitarbeiter werden knappSo ist zum Beispiel die Einführung voll automatisierter, fahrerloser Stapler als nächste Innovationsstufe im Lager deshalb nicht nur folgerichtig, sondern ein notwendiger Schritt, um Beschäftigung und Lebensstandard breiter Bevölkerungsschichten zu sichern. Inzwischen wird der Mitarbeitermangel für viele Unternehmen zu einem existenziellen Problem und damit zur wirklichen Gefahr für viele Arbeitnehmer. Das alles zu einer Zeit, in der die ersten Vorboten des demografischen Wandels gerade zu spüren sind. Das dicke Ende kommt noch. Deshalb ist die Automatisierung von Abläufen in der Wirtschaft zwingend notwendig, wenn wir in Deutschland bei der sich kontinuierlich verkleinernden Anzahl an Arbeitnehmern unsere Wirtschaftskraft und unseren Wohlstand erhalten wollen. Mehr Raum für KreativitätDer Mensch wird künftig mehr noch als heute “Hand in Hand” mit Maschinen arbeiten und dabei insbesondere von standardisierten Routineaufgaben entlastet werden. Er wird weniger selber fahren, dafür im größeren Umfang die digitalen Systeme seines Arbeitsumfelds steuern, überwachen und managen. Mehr Raum für Kreativität und individuelle Fähigkeiten wird die Arbeit der Zukunft bestimmen. Gleichzeitig werden Abläufe in Produktion und Transport effizienter und prozesssicherer. Die daraus resultierenden Produktionsgewinne werden der Bevölkerung insgesamt zugutekommen und wie dargelegt keine Spur von Massenarbeitslosigkeit durch Industrie 4.0 nach sich ziehen. Ein erstrebenswertes Ziel.—-Dr. Klaus-Dieter Rosenbach ist Mitglied des Vorstands der Jungheinrich AG. In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.—–Von Klaus-Dieter Rosenbach Von der Sackkarre zu fahrerlosen Transportsystemen: Automatisierung und neue Technologien haben nicht Arbeitsplätze vernichtet, sondern geschaffen. —–