Russland

Die Furcht vor der Sanktionsspirale

Mit den Sanktionen tritt das Hauptrisiko für Russlands Staatsfinanzen und den Rubel ein. Die Währungshüter sorgen vor. Ratingwächter bleiben gelassen.

Die Furcht vor der Sanktionsspirale

Von Stefan Reccius, Frankfurt

Russlands Währungshüter setzen auf Prävention. Angesichts zunehmender Inflationssorgen hoben sie den Leitzins am Freitag um einen halben Prozentpunkt auf 5% an mit der Aussicht auf weitere Schritte nach oben in den nächsten Monaten. Volkswirte hatten überwiegend mit einer geringfügigen Zinserhöhung um 25 Basispunkte gerechnet. Auch verbal sendete die Notenbank unerwartet klare Signale einer strafferen Geldpolitik. Dabei dürften sie die Zuspitzung in der Außenpolitik zumindest im Hinterkopf gehabt haben.

Ökonomen und Analysten von Banken und Ratingagenturen treibt vor allem die Furcht vor einer Sanktionsspirale um. Sie werden nicht müde zu betonen, dass die Geopolitik das Hauptrisiko für den Rubel und die Bonitätsbewertung des Landes darstellt. Schwächelt der Rubel, führt das perspektivisch auch zu höherem Preisdruck. Nach fast einem Jahr schleichend anziehender Verbraucherpreise hat sich die Inflationsrate nach jüngsten Daten bei inzwischen 5,5% eingependelt. Vor diesem Hintergrund haben die Währungshüter ihre Inflationserwartungen um einen ganzen Prozentpunkt nach oben geschraubt. Sie rechnen zum Jahresende nun mit einer Inflationsrate zwischen 4,7% und 5,2% – deutlich über ihrem Inflationsziel von 4%, was der offiziellen Stellungnahme zufolge erst in etwa einem Jahr in Reichweite kommen dürfte.

Sanktionen der USA haben den Sorgen zusätzliche Nahrung gegeben. Die amerikanische Regierung wirft Moskau unter anderem Hackerangriffe auf US-Behörden und wiederholte Einmischung in US-Wahlen vor. Auch Russlands aggressives Vorgehen gegenüber der Ukraine dürfte eine Rolle gespielt haben. Mit den Sanktionen zielt die US-Regierung nicht zuletzt auf Russlands Staatsfinanzen, indem sie den Handel mit russischen Staatsanleihen für Banken und Finanzinvestoren aus den USA ab Mitte Juni einschränkt. Ökonomen betonen indes, dass sich das entsprechende Handelsverbot lediglich auf den Primärmarkt, also frisch emittierte Staatsanleihen bezieht. Beobachter interpretieren die US-Sanktionen daher ähnlich wie 2019 in erster Linie als symbolischen Akt.

Mit Erleichterung nahmen Marktteilnehmer zudem eine Mitteilung aus dem Verteidigungsministerium zur Kenntnis, wonach Russland den Abzug von Truppen von der Krim eingeleitet hat. Moskau hatte in den vergangenen Wochen zusätzlich zu den dort stationierten Truppen Zehntausende Soldaten auf die 2014 völkerrechtswidrig annektierte Halbinsel verlegt. Offizielle Begründung aus dem Kreml: Militärübungen. In der Ukraine und in Hauptstädten weiter westlich schürte das allerdings den Verdacht, Moskau könnte es auf die Unterstützung prorussischer Separatisten im Osten der Ukraine abgesehen haben. Berichte über den angelaufenen Truppenabzug senken das Risiko, dass es zu weiteren Sanktionen kommt.

Russlands Staatsfinanzen halten Beobachter ohnehin für robust. Ein wesentlicher Grund ist neben der vergleichsweise stabilen Wirtschaft samt bevorstehender Rückkehr aufs Vorkrisenniveau die für Moskau vorteilhafte Struktur seiner Staatsschulden. Angesichts eines geringen Refinanzierungsbedarfs wäre sogar eine zeitweise Abstinenz von den Bondmärkten zu verkraften, notieren die Analysten der Ratingagentur S&P Global. Hinzu kommt: Ausländische Investoren zeigen zwar nahezu ungebrochenes Interesse an russischen Staatstiteln, ihr Anteil an den Gesamtschulden geht allerdings zugunsten einheimischer Anleger stark zurück (siehe Grafik). Die Folgen der jüngsten US-Sanktionen seien daher „überschaubar“. Auch die Kollegen von Fitch beschwichtigen einstweilen: Die makroökonomische und finanzielle Stabilität des Landes oder die Fähigkeit zum Schuldendienst seien nicht gefährdet.