IM BLICKFELD

Die Fußball-WM allein rettet Russlands Wirtschaft nicht

Von Eduard Steiner, Moskau Börsen-Zeitung, 18.5.2018 Das Los hat entschieden. Und es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Russland beim WM-Eröffnungsspiel in einem Monat in Moskau just auf die Fußball-Nationalelf von Saudi-Arabien trifft....

Die Fußball-WM allein rettet Russlands Wirtschaft nicht

Von Eduard Steiner, MoskauDas Los hat entschieden. Und es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Russland beim WM-Eröffnungsspiel in einem Monat in Moskau just auf die Fußball-Nationalelf von Saudi-Arabien trifft. Nicht nur, dass sich damit die zwei führenden Ölförderer der Welt auf dem Spielfeld gegenüberstehen. Nach jahrzehntelanger Konkurrenz auf dem Markt sind es auch die zwei Staaten, die erst vor kurzem zueinander gefunden haben: In einer historisch neuen Allianz haben sie es sich vor eineinhalb Jahren zum Ziel gemacht, den zuvor drastisch gefallenen Ölpreis durch koordinierte Förderbegrenzungen wieder in die Höhe zu treiben. Ein ungeahnter Erfolg, wie man heute sieht.Was dieser an Milliarden Zusatzeinnahmen bringt, ist im Ölstaat Russland, dessen Finanzministerium nun um 11,4 % mehr Zuflüsse ins Budget veranschlagt hat, leicht berechenbar. Ganz im Gegensatz zur wirtschaftlichen Auswirkung der Fußball-WM selbst. Gut 16 Mrd. Euro (1,2 Bill. Rubel) hat das Land in seine Vorbereitung gesteckt. In den elf Austragungsorten wurden Stadien aus dem Boden gestampft bzw. modernisiert, und die Infrastruktur zwischen den weit voneinander entfernten Städten wurde verbessert.Aber was außer einem internationalen Prestigegewinn bringen diese Investitionen? Wie sieht es mit der Nachnutzung der Objekte aus? Und werden angesichts der außenpolitischen Verwerfungen überhaupt ausreichend Fans respektive Touristen kommen?In einem vorläufigen Resümee hält das Beratungsunternehmen McKinsey fest, dass die Vorbereitungsarbeiten Russland in den Jahren 2013 bis 2018 zusätzlich 1 % Wirtschaftswachstum beschert hätten. Regional habe sich das natürlich sehr unterschiedlich ausgewirkt. Für manche Gegenden seien die Arbeiten sogar ein wahrer Segen gewesen. So hätten Regionen wie etwa die Exklave Kaliningrad (Königsberg) in den vergangenen fünf Jahren über 15 % Zuwachs bei der regionalen Wirtschaftsleistung verzeichnen können. Darüber berichtete kürzlich die Zeitung “Wedomosti” mit Verweis auf die besagte Studie. Hält der Touristenzustrom an?Russlands Wirtschaft war 2015 und 2016 infolge des Ölpreisverfalls und der westlichen Sanktionen im Zuge der Ukraine-Krise in eine Rezession geschlittert. Seit dem Vorjahr wächst sie wieder, wobei das Wachstum 2017 auf 1,5 % beschränkt blieb. Für 2018 dürfte es nicht wesentlich höher ausfallen.Was nun die Nachnutzung der für die WM gebauten Infrastruktur und einen zusätzlichen Touristenzustrom betrifft, so könnten diese beiden Faktoren laut McKinsey im Laufe der nächsten fünf Jahre jährlich weitere 80 bis 110 Mrd. Rubel an Investitionen nach sich ziehen und weitere 120 bis 180 Mrd. Rubel zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) beitragen.Die Berechnung fußt naturgemäß weitgehend auf der Erwartung, dass Russland nicht nur in diesem Jahr, sondern auch in den Jahren danach ein größerer Touristenzustrom bevorsteht. Und dass dadurch die touristische Infrastruktur entsprechend aufgepäppelt wird.Ob die Kalkulation gerechtfertigt ist, bleibt offen. McKinsey selbst bringt verschiedene Beispiele aus der bisherigen WM- und olympischen Geschichte, wie sich der Touristenzustrom nach dem jeweiligen Ereignis entwickelt hat. In Deutschland, Brasilien und Südafrika habe er in den jeweils auf die WM folgenden fünf Jahren tatsächlich zugenommen. Nach den Olympischen Spielen 2006 in Turin sei jedoch das Gegenteil der Fall gewesen. Demgegenüber habe der Inlandstourismus in Südafrika nach der WM 2010 abgenommen, nach den Winterspielen 2014 in Russland aber zugenommen.Zumindest für die Zeit der WM in diesem Jahr wird mit 1,5 bis zwei Millionen ausländischer Fans und Touristen gerechnet, wie die Tourismusverantwortlichen von Russland und Moskau bereits im Februar erklärten. Inzwischen hat sich freilich das Verhältnis zwischen Russland und dem Westen weiter zugespitzt, nachdem die USA am 6. April neue Sanktionen wegen Einmischung in den US-Präsidentschaftswahlkampf verhängt haben.Das verschärft die wirtschaftliche Isolation nur noch weiter. Inzwischen sind 37 % der Russen (nach bisher 25 %) darüber besorgt, wie eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Levada-Center ergab. Gleichzeitig aber ging der Anteil jener, die denken, Russland sollte seine Verbindung zum Westen stärken, von 66 % auf 54 % zurück. Nur beschränkte NachnutzungGenau in diesen Tendenzen sieht Natalja Orlowa, Chefökonomin der Alfa-Bank, das Problem. Sie zweifelt den wirtschaftlichen Effekt der Fußball-WM an. Wenn die allgemeine Wirtschaftspolitik nicht eine weitere Öffnung der Volkswirtschaft verfolge, sei die Nachnutzung der extra gebauten Infrastruktur beschränkt, sagte Orlowa zu “Wedomosti” und belegt dies mit dem Rückgang des Tourismus in den vergangenen vier Jahren seit der Krim-Annexion.Auch Wladimir Tichomirow, Chefökonom der Investitionsbank BKS, glaubt nicht, dass der Tourismus eine zusätzliche Stütze für die Wirtschaft wird. Immerhin zeichne sich nicht ab, dass die Investitionen zurückgingen, da sie sich in den vergangenen Jahren auf einem ähnlichen Niveau gehalten hätten. Das werde seines Erachtens Russland vor dem Schicksal mancher Austragungsländer einer Fußball-Weltmeisterschaft bewahren: Nämlich nach den Spielen einen Rückgang in der Wirtschaftsleistung zu erleiden.