BREXIT: TRICK OR TREAT - IM INTERVIEW: HUBERTUS VÄTH

"Die große Unbekannte in dieser Gleichung ist die Deutsche Bank"

Der Geschäftsführer der Frankfurter Finanzlobby über die Verschiebung des Brexit, dessen Folgen für den Finanzplatz am Main und Einladungen nach Versailles

"Die große Unbekannte in dieser Gleichung ist die Deutsche Bank"

– Herr Väth, der Horizont für den Brexit hat sich gerade bis Ende Oktober verschoben.Ich möchte es eine halblange Verschiebung nennen, die alle Anzeichen eines Kompromisses trägt – weder schafft sie Klarheit, noch verschiebt sie den Austritt lange genug, um die Lage zu entspannen.- Was ändert sich damit für den Finanzplatz Frankfurt?Einige Institute werden nun sicherlich ihre Verlagerungen verlangsamen.- Wo bleiben eigentlich die 10 000 Banker, deren Zuzug Sie dem Finanzplatz Frankfurt nach der Brexit-Entscheidung versprochen hatten?Die werden noch ein bisschen auf sich warten lassen.- Warum?Weil wir wiederholt eine Verschiebung der Einigung in Sachen Brexit gesehen haben. Die Mehrzahl der Banken genügen den Anforderungen von Aufsicht und Regulierung minimal. Sie bauen nur auf, was ausreicht, um nach einem Brexit hier funktionsfähig zu sein. Die Zielgröße aber haben sie noch nicht erreicht. Diese wiederum hängt maßgeblich davon ab, wie die Einigung letztendlich ausfällt. Die Zahl von 10 000, die ich damals genannt habe, war eine Potenzialgröße.- Das heißt, es könnten auch deutlich weniger werden.Es würde vor allem dann weniger, wenn der Brexit deutlich weicher ausfallen sollte. Das erkenne ich derzeit aber nicht. Wir sind bei unserer Prognose damals davon ausgegangen, dass die European Banking Authority in Deutschland angesiedelt werde, das Euro-Clearing nach Frankfurt verlagert werde und der Brexit zum Verlust des Passporting führen werde. Bislang hat sich nur die erste Hypothese zerschlagen. Sonst sind wir eigentlich on track. So sind die Marktanteilsgewinne der Eurex im Euro-Clearing durchaus eindrucksvoll. Insgesamt halte ich daher an der Prognose fest.- Der Verband der Auslandsbanken hat in der vergangenen Woche prognostiziert, dass infolge des Brexit nur die Hälfte dieser Zahl an Stellen in den Mitgliedsinstituten entstehen wird.Der hat aber einen kürzeren Zeithorizont, und zum anderen spricht er explizit nur von den Auslandsbanken. Die große Unbekannte in dieser Gleichung ist aber die Deutsche Bank. Und was die Zahl der von ihr verlagerten Stellen angeht, haben wir Zahlen gehört, die zwischen 400 und 4 000 schwanken.- Die müssten verrechnet werden mit der Zahl an Arbeitsplätzen, die im Falle einer Fusion mit der Commerzbank gestrichen würden.Meine Prognose ist selbstverständlich eine Bruttozahl, um sie nicht zu komplizieren.- Wie weit hat sich dann inzwischen der Zeitpunkt nach hinten verschoben, bis zu welchem Sie mit einem Zuwachs um 10 000 Stellen rechnen?Um zwei Jahre.- Auf wann?Ende 2024.- Wie viel Stellenaufbau hat am Main bereits stattgefunden?Meine auf einer Stichprobe basierende Schätzung lautet, dass nach Frankfurt bislang 2 000 Stellen verlagert und in vier Fünfteln der Fälle lokal besetzt worden sind. Wir sehen also bisher keine große Zahl von Bankern, die transferiert worden sind. Diese dürften aber, wenn der Brexit tatsächlich stattfindet, den transferierten Assets folgen. Wir nehmen an, dass von 750 Mrd. bis 800 Mrd. Euro an Aktiva, die infolge des Brexit nach Frankfurt kommen werden, bisher ein Viertel bis ein Drittel übertragen worden ist.- Man hat von bemerkenswerten Manövern anderer Finanzplätze in Europa im Werben um die Ansiedlung von Aktivitäten und Arbeitsplätzen gehört. Wie haben diese ausgesehen?Andere Finanzplätze haben deutlich intensiver geworben, sowohl was die Frequenz, aber auch was die Intensität dieser Bemühungen angeht. Dies gilt ebenso für die Prominenz der Werber. Da reicht das Spektrum vom Premierminister in Dublin über den Erzherzog Luxemburgs bis hin zum Präsidenten Frankreichs. In Frankreich erfolgen auch sehr regelmäßig Einladungen etwa nach Versailles oder in Schlösser an der Loire. Dem haben wir nichts Vergleichbares entgegenzusetzen. Der Etat von Frankfurt Main Finance ist gegenüber der Zeit vor dem Brexit-Votum unverändert – wir machen das weltweite Standort-Marketing mit 1 Mill. Euro, die unsere Mitglieder aufbringen. Sieht man von der hessischen Landesregierung und allen voran Volker Bouffier ab, fehlten lange Zeit prominente Werber für den deutschen Finanzplatz. Jetzt haben wir sie in Bundesfinanzminister Olaf Scholz und Staatssekretär Jörg Kukies. Viele Weichen wurden aber schon früher gestellt.- Welcher Finanzplatz hat Sie überrascht?Paris, Dublin und Luxemburg haben von Beginn an intensiv geworben. Überraschend aber war, dass Amsterdam vergleichsweise spät, auch relativ ruhig, aber dafür sehr effizient auf den Plan getreten ist.- Amsterdam hat sich stark um Marktbetreiber bemüht.Von den großen Handelsplattformen hat Amsterdam praktisch alle abgeräumt: Bloomberg, Reuters . . . Die Stadt hat auch darüber hinaus eine ganze Reihe sehr prominenter Erfolge erzielt. Denken Sie an die BBC, Sony, Panasonic, Mitsubishi oder auch die Royal Bank of Scotland. Insgesamt ist Amsterdam neben Paris für uns der ernstzunehmendste Wettbewerber um Banken gewesen.- Wie hat Frankfurt gepunktet?Für den Erfolg Frankfurts waren das Rating Deutschlands, die Infrastruktur und auch die Tiefe und Breite des Marktes entscheidend. Ich werte Frankfurt noch immer als den größten Gewinner des Brexit. Im Global Financial Center Index etwa ist die Stadt von Rang 23 auf 10 vorgerückt und ist damit führend unter den Finanzplätzen der EU. Auch hat Frankfurt von den mittlerweile 48 Finanzinstituten, die einen Antrag auf Erteilung oder Erweiterung einer Lizenz bei der deutschen Finanzaufsicht gestellt haben, 30 immerhin als europäisches Headquarter bekommen. Ich finde es manchmal putzig, wenn andere Finanzplätze damit werben, sie hätten die Ansiedlung einer Bank, etwa in Form einer Assetmanagement-Einheit, erreicht, wenn dieses Institut seine Europa-Zentrale tatsächlich in Frankfurt aufbaut.—-Das Interview führte Bernd Neubacher.