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Die grüne Lunge der Welt ist bedroht

Brasiliens Präsident Bolsonaro betreibt Urbarmachung des Amazons

Die grüne Lunge der Welt ist bedroht

Von Andreas Fink, Buenos AiresNun regnet es wieder über dem Amazonasbecken und endlich sind die Brände gelöscht, die im August die halbe Welt mobilisierten. Nachdem damals an einem frühen Freitagnachmittag tiefschwarze Rauchwolken die Megalopolis Sao Paulo fast völlig verdunkelt hatten, begriffen auch die Entscheider in Südamerikas wichtigster Wirtschaftsmetropole, welche Gefahr von den 3 000 Kilometer nördlich lodernden Feuern ausging. Denn die Flammen fraßen sich nicht nur durch den größten kontinentalen Sauerstoffgenerator der Erde – oft als “grüne Lunge” der Welt bezeichnet. Sie verrußten auch das Image Brasiliens und belasteten die Exportchancen für dessen Produkte.Nachdem sich die Rauchwolken endlich verzogen hatten, präsentierte die brasilianische Weltraumbehörde im November die Schadensbilanz: Mehr als 958 000 Hektar Tropenwald gingen in diesem Jahr verloren – eine Fläche, die größer ist als jene des gesamten österreichischen Bundeslandes Kärnten. Das bedeutet den größten Verlust von Regenwald in Brasilien seit einem Jahrzehnt. Es ist ein deutlicher Beleg für die Politik der Regierung.Schon während seines Wahlkampfes hatte Jair Bolsonaro lauthals versprochen, den Regenwald für die Industrie zu öffnen und das zum Teil aus dem Ausland finanzierte Schutzsystem zu schwächen. Bereits kurz nach der Amtsübernahme am Neujahrstag begannen Bolsonaro und dessen Umweltminister Ricardo Salles mit dem systematischen Abbau des Kontrollsystems, das vor allem in den Boomjahren zwischen 2004 und 2012 zu einer erheblichen Reduzierung der Waldbrände beigetragen hatte. Ende Februar entließ er sämtliche Direktoren der Umweltbehörde Ibama und besetzte die Posten nicht nach. Die nationale Raumfahrtbehörde, die seit Jahrzehnten den Zustand des Regenwaldes überwacht, wurde durch Bolsonaro diskreditiert und ihr Direktor, ein renommierter Physiker, durch einen Militär ersetzt. Und das Geld zum Schutz vor Waldbränden wurde um 38 % reduziert. Abholzung sorgt für KritikNachdem die Abholzung im Juli um 278 % über dem Vorjahresniveau gelegen hat und internationale Proteste zugenommen hatten, reagierte Bolsonaro patzig und bezichtigte ausländische Umweltgruppen, die Brände gelegt zu haben, um ihm zu schaden. Deutschland und Norwegen stellten die Finanzierung des Amazonas-Schutzfonds ein und Frankreich, Irland und Österreich kündigten an, das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Mercosur nicht ratifizieren zu wollen. Ende August gaben internationale Konzerne wie Timberland, H&M sowie Vans bekannt, kein brasilianisches Leder mehr zu verwenden. Nachdem Bolsonaro nach Protesten brasilianischer Industrieller schließlich einlenkte und Militärs zum Löschen der Brände abkommandierte, beklagte er fehlende Mittel.Was Brasilien 2019 erlebte, war weder ökologischer Schlendrian noch eine Naturkatastrophe. Es war eine politisch gewollte Urbarmachung des Tropenwaldes. “Der Amazonas ist heute ein völlig rechtsfreier Raum”, sagt Carlos Nobre, Klimatologe an der Universität von Sao Paulo: “Umweltkriminelle werden durch diese Politik ermuntert.”Hinter Bolsonaro stehen die mächtigen Militärs, die die internationalen Anstrengungen für den Erhalt des Amazonas als Einmischung in die nationale Souveränität begreifen. Und Bolsonaro stützt sich auf den Agrarsektor, der – mit dem Anwachsen der Weltbevölkerung und der ständig steigenden internationalen Nachfrage – in den langen Krisenjahren seit 2013 als einziger schwarze Zahlen schrieb und darob immer bedeutender wurde – auch im Multiparteienparlament, in dem die Agrarlobby heute die mächtigste überparteiliche Formation stellt. Die Agrarindustrie erwirtschaftet heute fast ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Im vormaligen Amazonasgebiet weiden mehr als 50 Millionen Rinder. Es wuchert Soja. Und Konzerne bauen Gold und Eisen ab.Die Regierung Bolsonaro hat noch drei weitere Amtsjahre vor sich. Wird der Amazonas das aushalten? Der Klimaforscher Nobre warnt, dass der Tropenwald bald damit beginnen könne, sich selbst zu zerstören.