LEITARTIKEL

Die Inflation ist nicht tot

Es ist schon bizarr: Da warnen die einen als Folge der Corona-Pandemie und der dadurch ausgelösten Jahrhundertrezession auch noch vor dem Horrorszenario einer Deflation wie in der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre - und gleichzeitig zeichnen...

Die Inflation ist nicht tot

Es ist schon bizarr: Da warnen die einen als Folge der Corona-Pandemie und der dadurch ausgelösten Jahrhundertrezession auch noch vor dem Horrorszenario einer Deflation wie in der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre – und gleichzeitig zeichnen andere das Schreckgespenst einer Inflation und ziehen gar Vergleiche zur Hyperinflation in Deutschland anno 1923. Ja, was denn nun? Tatsächlich droht absehbar kein unkontrollierter Inflationsschub, aber es spricht sehr wohl vieles für künftig mehr Inflation. Es wäre in jedem Fall auch seitens der Notenbanken absolut fahrlässig, die Möglichkeit einer stärker steigenden Teuerung zu negieren. Die Inflation ist nicht tot.Nicht zuletzt in Euroland liegt die Teuerung seit vielen Jahren unterhalb des bislang bewusst kryptisch formulierten Inflationsziels der Europäischen Zentralbank (EZB) von mittelfristig unter, aber nahe 2 %. Das hat wesentlich zu tun mit den ökonomischen Schäden des Krisen-Dreiklangs aus Weltfinanz-, Euro-Staatsschulden- und Coronakrise. Hinzu kamen strukturelle Faktoren wie die Globalisierung und Digitalisierung, die Lohn- und Preissprünge verhinderten. Dass die Inflationsrate jetzt sogar wieder unter null liegt, ist aber primär Basis- und Sondereffekten wie der temporären Mehrwertsteuersenkung in Deutschland und dem Corona-Lockdown geschuldet. Das Risiko einer Deflationsspirale aus fallenden Preisen und sinkendem Wachstum scheint aktuell nicht wirklich real.Kurzfristig spricht sogar vieles für eine spürbar anziehende Inflation. Der negative Basiseffekt von Seiten der Energiepreise wird sich in Kürze umkehren – zumal der Ölpreis merklich gestiegen ist. Hinzu kommen etwa in Deutschland als größter Euro-Volkswirtschaft das Auslaufen der Mehrwertsteuersenkung und der neue CO2-Preis. Vor allem aber besteht trotz des Teilversagens der europäischen Politik beim Impfstart weiter die Hoffnung, dass sich die Euro-Wirtschaft 2021 belebt. Der Sommer 2020 hat gezeigt, wie rasant die Erholung ausfallen kann. In der Krise haben die Menschen extrem viel gespart – Geld, das nach Überwindung der Pandemie in den Konsum fließen und das Wachstum sowie die Preise anheizen könnte. Im dritten Quartal könnte die Teuerungsrate in Richtung der 2-Prozent-Marke klettern. Die unterausgelasteten Kapazitäten in der Industrie und am Arbeitsmarkt dürften den Preisauftrieb zwar dämpfen. Trotzdem zeigt sich: Es ist irrig anzunehmen, dass Inflation und Zinsen auf ewig niedrig bleiben müssen.Tatsächlich gibt es auch mittel- und langfristig gute Gründe anzunehmen, dass die disinflationären Kräfte der vergangenen Jahrzehnte nachlassen und die Inflation wieder zulegt. So dürfte die Globalisierung künftig weniger stark auf die Preise drücken – zumal sie auch wegen der Coronakrise teils rückabgewickelt wird. Zudem gibt es in vielen Ländern eine alternde Bevölkerung – wodurch das globale Arbeitsangebot zurückgehen und die Löhne steigen könnten. Auch die Konzentration vieler Märkte auf wenige Großunternehmen wirkt preistreibend. Und schließlich tut womöglich die beispiellose Geldflut von Staaten und Notenbanken in der Coronakrise ihr Übrigens. Das starke Geldmengenwachstum auch in Euroland ist jedenfalls bemerkenswert. Noch kommt das Geld kaum in der Realwirtschaft an. Aber das kann sich schnell ändern. In den 1970er Jahren galt eine Lohn-Preis-Spirale auch als ausgeschlossen – bis sie eintrat.Die Notenbanken und auch die EZB beschwichtigen: Der absehbare Anstieg der Inflation sei ein temporäres Aufflackern, kein dauerhaftes Phänomen. Und selbst wenn, wüssten die Notenbanken mit zu hoher Inflation gut umzugehen. Richtig ist, dass nach Jahren mit niedriger Inflation selbst bei einem temporären Überschreiten des 2-Prozent-Ziels nicht gleich die Zinskeule ausgepackt werden muss. Aktuell muss die Überwindung der Pandemie die Top-Priorität sein. Richtig ist auch, dass Geldpolitik gegen Inflation erprobter und effektiver ist als gegen Deflation. Aber es gibt keinen Grund zur Selbstzufriedenheit, und das neue “Regime” mit enger Verzahnung von Fiskal- und Geldpolitik schürt Zweifel, ob die Notenbanken notfalls entschieden gegensteuern – zu groß ist die Sorge vor den hohen Schuldenbergen. Die Notenbanken dürfen aber nicht zum Büttel der Regierungen werden.Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Zur Inflationshysterie besteht kein Anlass. Aber auf mittlere oder lange Sicht kann die Ära der extrem niedrigen Inflation zu Ende gehen. Für Marktteilnehmer und Regierungen, aber auch für die Notenbanken ist es essenziell, sich für verschiedene Szenarien zu wappnen. Die Inflation für tot zu erklären ist mutmaßlich der sicherste Weg, dass sie wieder zum Problem wird. ——Von Mark SchrörsNach Jahren extrem schwachen Preisauftriebs steht die Inflation vor einem Comeback. Das ist kein Grund für Hysterie. Aber die EZB & Co. sollten wachsam sein.——