IM INTERVIEW: JOACHIM NAGEL

"Die Marktakteure dürfen ,Markt` nicht verlernen"

Das Bundesbank-Vorstandsmitglied über die Kommunikation von Zentralbanken, die bevorstehende US-Zinswende und das Risikobewusstsein von Investoren

"Die Marktakteure dürfen ,Markt` nicht verlernen"

– Herr Nagel, die Europäische Zentralbank (EZB) hat mit ihrer jüngsten Entscheidung die Finanzmärkte weltweit mächtig durcheinandergewirbelt – weil die erneute Lockerung geringer ausfiel als von vielen erwartet. Ist nun endgültig der Punkt erreicht, an dem die Geldpolitik selbst und konkret die EZB zum Risikofaktor für die Stabilität an den Finanzmärkten und im Finanzsystem wird?Einige Marktteilnehmer hatten offenbar übertriebene Erwartungen aufgebaut, die sich dann nicht voll erfüllt haben. Dazu beigetragen haben im Vorfeld der geldpolitischen Beschlüsse sicherlich Aussagen, die von den Marktteilnehmern überinterpretiert wurden. Aber Tatsache ist doch, dass die jüngsten Maßnahmen des Eurosystems eine weitere signifikante Lockerung der Geldpolitik darstellen.- Das Erwartungsmanagement der EZB hat also nicht funktioniert?In einem geldpolitischen Umfeld, in dem die Notenbank die Refinanzierungszinsen faktisch auf null gesenkt hat und in sehr großem Umfang Wertpapiere ankauft, kann es leicht zu überzogenen Erwartungen kommen. Kommunikation stellt in einem solchen Umfeld zweifellos eine besondere Herausforderung dar. Das hat auch die Fed erfahren, als sie 2013 den Ausstieg aus ihrem Wertpapierankaufprogramm kommunikativ eingeleitet hat, was zu ausgeprägten Ausschlägen an den Finanzmärkten geführt hat.- Der Aufbau hoher Erwartungen kann auch Taktik sein. So mancher Beobachter sieht das als Strategie von EZB-Präsident Mario Draghi an – um so die Kritiker im EZB-Rat unter Druck zu setzen.Das würde aber nur dann funktionieren, wenn sich der EZB-Rat verpflichtet fühlte, stets die Markterwartungen zu erfüllen. Diesen Eindruck habe ich aber nicht. Außerdem schreibt das Anfang Dezember beschlossene Paket die ultralockere Geldpolitik noch weiter in die Zukunft fort. Neben der weiteren Senkung des Einlagesatzes und der längeren Laufzeit des Ankaufprogrammes wurde unter anderem auch beschlossen, die Tilgungsbeträge bei Fälligkeit wieder anzulegen.- Zeigt das Beispiel nicht auch, dass die Möglichkeiten der Notenbanken doch begrenzt sind, die Märkte zu steuern? Einige Notenbanker haben mit der Forward Guidance und anderem den Eindruck erweckt, das sei nahezu perfekt möglich. Und zeigt sich nicht auch die Gefahr, wenn Marktteilnehmer nur noch an den Lippen der Notenbanker hängen?Das Eurosystem ist in vielen Marktsegmenten ein wichtiger Käufer. Das gilt sowohl für den Staatsanleihemarkt wie auch für den Markt für Covered Bonds. Da sollte es niemanden überraschen, dass die Marktteilnehmer sehr genau beobachten, wie sich das Eurosystem verhält, und auch Erwartungen über unser zukünftiges Verhalten bilden.- Die dominierende Rolle der EZB an den Märkten, nicht zuletzt durch das Anleihekaufprogramm (Quantitative Easing, QE), schürt Sorgen vor Preisverzerrungen und dem Verdrängen privater Investoren mit dem Ergebnis austrocknender Märkte. Diese Gefahren nehmen mit der Ausweitung von QE noch einmal zu, oder?Zunächst einmal: Die Bundesbank ist der Ansicht, dass eine neuerliche geldpolitische Lockerung nicht erforderlich gewesen wäre. Die Geldpolitik war auch schon zuvor beispiellos expansiv. Die wirtschaftliche Lage im Euroraum wird sich voraussichtlich weiter verbessern und die Inflation damit anziehen. Die derzeit sehr niedrige Inflationsrate ist zum Gutteil Folge des abermaligen Ölpreisrückgangs. Das ist ein exogener Faktor, getrieben vor allem durch ein Überangebot. Dieser Effekt wird sich mit der Zeit aus der Inflationsrate herauswaschen.- Und was ist mit den Nebenwirkungen wie Marktverzerrungen?Wenn man Wertpapierkäufe in einem solchen Ausmaß vornimmt, werden die Märkte zwangsläufig massiv beeinflusst. Wir sehen allerdings aktuell keine Schwierigkeiten im Staatsanleihesegment, unsere angestrebten Ankaufvolumina zu erreichen. Das Covered-Bonds-Programm läuft schon länger und wir sehen durchaus, dass die Liquidität abgenommen hat und dass es zu Marktverzerrungen kommt. Diese nehmen natürlich zu, je länger das Ankaufprogramm läuft.- So mancher sieht Wertpapierkäufe der Notenbanken aber schon als “neue Normalität” – wie auch Zinsen nahe oder gar unter null.Das ist nicht meine Vorstellungswelt, dass das die “neue Normalität” sein sollte. Deshalb noch einmal: Die Marktakteure dürfen “Markt” nicht verlernen. Die zahlreichen Sondermaßnahmen sind letztlich den außerordentlichen Umständen geschuldet. Bei der Einführung dieser Maßnahmen bestand im EZB-Rat Konsens darüber, dass diese Maßnahmen nicht auf Dauer angelegt sind. Und das gilt in besonderer Weise für Staatsanleihekäufe.- Gibt es durch QE eine Blase am Markt für Euro-Staatsanleihen? Dass sich ein Land wie Italien mit einer Schuldenquote von mehr als 130 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) auf zehn Jahre für rund 1,5 % Geld beschaffen kann, erscheint kaum angemessen.Mit dem Begriff Blase muss man vorsichtig umgehen. Wenn man auf der Käuferseite einen solch starken Akteur wie das Eurosystem hat, ist klar, dass die Kurse nach oben und damit die Renditen nach unten gehen. Wenn Staatsanleihekäufe durch das Eurosystem nun die Finanzierungskosten für längere Zeit derart drücken, kann das falsche Anreize für die Finanzminister im Euroraum setzen. Es besteht die Gefahr, dass die in einigen Euro-Ländern benötigte Konsolidierung der Haushalte auf die lange Bank geschoben wird. Damit könnte dann der Druck der Politik auf den EZB-Rat zunehmen, eine aus geldpolitischer Sicht notwendige Zinserhöhung auf später zu verschieben. In der zunehmenden Vermischung von Geldpolitik und Fiskalpolitik sehe ich die Hauptgefahr des aktuellen Kurses.- Neben der QE-Aufstockung hat die EZB auch den Einlagesatz noch einmal gesenkt, von – 0,2 % auf – 0,3 %. Besteht nicht irgendwann die Gefahr, dass durch Null- und Negativzinsen der ganze Preissetzungsmechanismus der Märkte außer Kraft gesetzt wird?So weit würde ich nicht gehen. Negative Zinsen am Interbankengeldmarkt bedeuten, dass Banken bereit sind, anderen Banken eine Prämie dafür zu bezahlen, dass diese die ihnen anvertrauten Gelder sicher verwahren. Eine solche Situation ist letztlich Ausfluss der stark gestiegenen Überschussliquidität. Das findet natürlich dort seine Grenzen, wo es günstiger ist, Guthaben in Bargeld umzutauschen und dies zu horten. Bei welchem Zinssatz das geschieht, darüber möchte ich nicht spekulieren. Tatsache ist, dass Banken bislang die negativen Zinsen noch nicht in großem Stil an ihre Kunden weitergereicht haben. Umfangreiche Umschichtungen zwischen Bankeinlagen und Bargeld beobachten wir deshalb derzeit nicht. Dass infolge des Niedrigzinsumfeldes die Marktteilnehmer möglicherweise bereit sind, überhöhte Risiken einzugehen, ist eine der unerwünschten Nebenwirkungen, die die Bundesbank regelmäßig zu bedenken gibt.- Im Gegensatz zur EZB steuert die US-Notenbank Fed auf eine erste Zinserhöhung nach knapp sieben Jahren Nullzinspolitik zu. Die Zentralbank der Zentralbanken BIZ attestiert eine “angespannte Ruhe” an den Finanzmärkten. Droht neues Ungemach, wenn die Fed nun den Zins erhöht, oder ist alles längst “eingepreist”?Ich möchte es mal so sagen: Wenn die Fed ihre Zinsen anheben sollte, dann wird das die am längsten vorbereitete Zinserhöhung in den USA sein. Die Finanzmärkte scheinen relativ gut eingestellt auf eine Zinserhöhung und deshalb erwarte ich keine Verwerfungen, falls der Schritt kommt. Aber aufgrund der weltweiten Vernetzung der Finanzmärkte schauen alle gespannt darauf, was in den USA passiert.- Einen Crash am Anleihemarkt wie 1994 nach den damaligen Zinserhöhungen der USA erwarten Sie aber nicht? Dieser Vergleich wird teils gezogen.Der Vergleich mit 1994 hinkt: Innerhalb zweier regulärer Sitzungen entschloss sich die Fed damals überraschend für Zinserhöhungen und dann kam es zu einer raschen Abfolge von weiteren Zinsschritten. Dieses Mal scheint die Lage anders.- Einige Beobachter befürchten, viele Marktteilnehmer wüssten gar nicht mehr, wie man mit steigenden Zinsen umgeht.Das halte ich für eine absurde Diskussion. Wir befinden uns derzeit in einem Umfeld historisch niedriger Zinsen. Es ist doch ein Zeichen der Normalisierung, wenn die Zinsen auch mal wieder steigen. Das ist ein normaler Prozess, auch wenn ein paar junge Leute neue Erfahrungen machen. Notenbanken senken Zinsen, erhöhen aber auch Zinsen – so einfach ist das.- In der Tat beispiellos scheint das extreme Auseinanderdriften von EZB und Fed zu sein. Drohen dadurch besondere Probleme an den Finanzmärkten, etwa an den Devisenmärkten? Einige Beobachter befürchten, der Dollar könne noch stärker aufwerten als sonst – mit negativen Folgen für die USA, aber auch die Schwellenländer.Wir haben es mit unabhängigen Notenbanken zu tun, die unterschiedliche Mandate haben und mit unterschiedlichen wirtschaftlichen Situationen konfrontiert sind. Insofern ist die Entwicklung weder überraschend noch außergewöhnlich. Was Wechselkurse betrifft, hat sich die Bundesbank aus guten Gründen immer mit öffentlichen Aussagen zurückgehalten. Bei Wechselkursen sollte man viel Demut an den Tag legen. Die unterschiedliche Ausrichtung der Geldpolitik in den USA und im Euroraum kann sich in einer wachsenden Zinsdifferenz niederschlagen und diese kann sich auf den Wechselkurs auswirken. Allerdings müssen Sie auch berücksichtigen, dass hier schon Erwartungen eingepreist sein können. Eine Prognose bekommen Sie von mir nicht. Und es gilt auch, dass der Wechselkurs kein geldpolitisches Ziel des Eurosystems ist.- Ist das wirklich noch so? Mancher Beobachter kritisiert, die EZB betreibe insgeheim oder zumindest indirekt eine Abwertungspolitik.Das Eurosystem hat kein Wechselkursziel. Das bedeutet allerdings nicht, dass der Wechselkurs für die Geldpolitik unwichtig wäre. Er fließt über seinen Einfluss auf die gesamtwirtschaftliche Aktivität und die Verbraucherpreise in die geldpolitischen Überlegungen ein.- Seit Mitte 2014 hat der Euro zum Dollar stark abgewertet. Ab wann wird eine Abwertung zum Problem, weil dahinter auch ein Rückzug internationaler Investoren aus dem Euroraum steht?Es gab immer wieder Phasen erhöhter Volatilität beim Euro-Wechselkurs. Solche Schwankungen sollte man nicht dramatisieren. Generell ist es aber natürlich immer gut, wenn Wechselkurse sich relativ stabil entlang ihrer Fundamentalfaktoren entwickeln. Immer dann, wenn Finanzmarktpreise eine hohe Volatilität aufweisen, zeugt das von großer Unsicherheit – und die kann letztlich zu wirtschaftlichen Fehlentscheidungen führen. Einen generellen Rückzug internationaler Investoren beobachten wir nicht. Im bisherigen Jahresverlauf gab es weiterhin umfangreiche Wertpapierkäufe von Gebietsfremden im Euroraum, wenn auch weniger als im vergangenen Jahr.- Sie spüren also keinen großen Vertrauensverlust in den Euro, etwa durch die neuerliche Griechenland-Krise im Sommer? Erstmals wurde öffentlich über ein Ausscheiden eines Landes aus dem Euroraum gesprochen – den Grexit. Sie sprechen ja viel mit internationalen Investoren.Erlauben Sie mir zunächst eine andere Bemerkung, weil Sie unsere Kontakte mit Marktteilnehmern angesprochen haben und das zuletzt für viele Diskussionen gesorgt hat: Als Zentralbanker sind wir auf diese Kontakte angewiesen. Zum einen wollen wir die geldpolitischen Beschlüsse kommunizieren und erklären. Zum anderen wollen wir aber auch besser verstehen, wie Finanzmarktteilnehmer ticken. Bei all diesen Kontakten ist aber natürlich Professionalität das oberste Gebot. Ich würde nie mit Marktteilnehmern über geldpolitische Entscheidungen sprechen, wenn diese anstehen. Insofern finde ich es gut, dass das EZB-Direktorium seine Transparenzregeln konkretisiert hat. Was nun aber Ihre Frage betrifft: Ich spüre keinen fundamentalen Vertrauensschwund in den Euro. Der Euro ist nach wie vor die zweitwichtigste Währung weltweit, hinter dem US-Dollar. Natürlich hat die Griechenland-Krise im Sommer Vertrauen bei den Investoren gekostet. Juni und Juli waren ganz sicher keine guten Monate für die Währungsunion. Zugleich aber gilt es auch festzuhalten: Griechenland wurde von den meisten Finanzmarktteilnehmern als isolierter Fall betrachtet.- Die Grexit-Debatte hat also keine Spuren hinterlassen?Griechenland hat sich am Ende entschieden, im Euro zu bleiben und den Weg der Wirtschaftsreformen weiter zu gehen. Das ist eine gute Botschaft. Auf der anderen Seite hat die Krise aber noch einmal mit aller Deutlichkeit die Frage aufgeworfen, wie die Staatengemeinschaft mit einzelnen Mitgliedstaaten umgehen will, die der Verantwortung, die mit ihrer Mitgliedschaft in der Währungsunion einhergeht, nicht gerecht werden. Ein Ausscheiden Griechenlands aus der Währungsunion hätte sicher auch die übrigen Teilnehmerländer getroffen, zum Beispiel durch steigende Risikoprämien. Ein Festhalten an Griechenland um den Preis dauerhafter Transferzahlungen an das Land hätte den Charakter der Währungsunion aber ebenso verändert. Denn eine Transferunion entspricht nicht mehr der auf Eigenverantwortung basierenden Währungsunion, die den Bürgern versprochen wurde.- Die Grexit-Gegner haben stets argumentiert, bei einem Ausscheiden würde bei der nächsten Krise gleich gewettet, welches Land als Nächstes ausscheidet. Wie sollte eine solche Spekulation gegen ein Land innerhalb einer Währungsunion funktionieren?Das hat man im Jahr 2012 gesehen, als der Vertrauensverlust in die dauerhafte Tragfähigkeit der Staatsfinanzen zu steigenden Risikoaufschlägen auf Staatsanleihen einzelner Länder geführt hat. Dadurch verschlechterten sich die Finanzierungsbedingungen dieser Staaten. Bei extrem hohen Risikoaufschlägen könnten sich Staaten dann womöglich am Ende dafür entscheiden, aus der Währungsunion auszuscheiden, um ihr Heil in einer Währungsabwertung zu suchen. Deshalb ist es so wichtig, am Ziel solider Staatsfinanzen festzuhalten, damit solche Entwicklungen gar nicht erst entstehen können. Verlässlichkeit in dieser Frage ist essenziell für den Bestand der Währungsunion.- Nach Griechenland hat im Spätsommer China die Schlagzeilen bestimmt. Es gab die Sorge vor einer “harten Landung”. Inzwischen haben sich die Sorgen ein wenig gelegt. War die Aufregung im Sommer übertrieben oder ist die Zuversicht jetzt zu groß?Ich habe schon im Sommer zur Besonnenheit gemahnt und fühle mich alles in allem bestätigt. Es war absehbar, dass sich das enorme Wachstum in China irgendwann abschwächen würde. Wachstumsraten von 6 % oder 7 % sind immer noch hoch und bedeuten, dass jedes Jahr die Wirtschaftsleistung eines Landes wie der Schweiz zum chinesischen BIP hinzukommt. Ich denke, dass man den Pessimismus mit Blick auf China zurücknehmen kann.- Wo sehen Sie überhaupt aktuell die größten Risiken für die Finanzmärkte, wo Übertreibungen?Ich möchte nicht einzelne Marktsegmente herausgreifen, sondern lieber generell antworten: Die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Übertreibungen an den Finanzmärkten kommt, nimmt zu, je länger die sehr expansive Geldpolitik anhält. Vor diesem Hintergrund muss sich jeder Finanzmarktteilnehmer überlegen, welche Risiken er sich in seine Bücher holt.- Aber untergraben die Notenbanken dieses Risikobewusstsein nicht mit ihrer Geldschwemme und wenn sie stets einspringen, sobald es mehr Volatilität gibt?Die Finanzmarktteilnehmer sind keine kleinen Kinder, die zum ersten Mal in die Bäckerei gehen und sich ein Brötchen kaufen. Das sind größtenteils erfahrene Akteure. Sie sollten die Märkte und deren Risiken kennen. Natürlich zielt eine expansiv ausgerichtete Geldpolitik darauf ab, dass in der Wirtschaft insgesamt mehr Risiken übernommen werden. Jeder Marktakteur trägt aber Verantwortung dafür, dass er sich auf der Suche nach Rendite keine Risiken auflädt, die er nicht tragen kann. Finanzmarktteilnehmer sollten ihre eigene Verantwortung im Blick haben und nicht den Schwarzen Peter den Zentralbanken zuschieben.- Wir hören seit langem, dass die Risiken steigen, je länger diese Geldpolitik anhält. Wann aber ist der Punkt erreicht, an dem die Nachteile die Vorteile überwiegen? Oder wird man das immer erst ex post, im Nachhinein wissen?Es ist sicher ausgesprochen schwierig, Finanzmarktentwicklungen eindeutig als Übertreibungen zu identifizieren. Es sind eben keine exakten Vorhersagen wie in den Naturwissenschaften möglich. Die Finanzkrise hat aber gezeigt, dass Notenbanken nicht neben der Seitenlinie stehen können, wenn sich Finanzrisiken aufbauen, weil am Ende das Platzen einer Finanzmarktblase zu massiven gesamtwirtschaftlichen Störungen führen kann. Die Antwort muss aber nicht lauten, die Geldpolitik als Instrument gegen Finanzmarktübertreibungen einzusetzen. Stattdessen wurde eine neue makroprudenzielle Aufsicht geschaffen, mit einem entsprechenden Instrumentarium…- … also jene Aufsicht, die das Finanzsystem als Ganzes in den Blick nehmen soll. Droht diese nicht überfordert zu werden? Und wird diese neue Aufsicht wirklich den nötigen “Biss” haben, der in der Vergangenheit oft gefehlt hat?Die neue Aufsicht ist ein wichtiger Schritt, um Finanzrisiken frühzeitig zu identifizieren. Aber natürlich erfordert sie auch, dass die Notenbank und die anderen für die Finanzstabilität Verantwortlichen den Mut haben, bei Fehlentwicklungen energisch entgegenzusteuern. Um aber in Deutschland die geeigneten Instrumente zielgerichtet einsetzen zu können, brauchen wir noch mehr Informationen – etwa seitens der Banken, was deren Risikopositionen betrifft.- Diesem Zweck soll auch das neue EZB-Kreditregister Anacredit dienen. Banken kritisieren die “Datensammelwut” und bekommen vor allem in der europäischen Politik viel Rückhalt. Überziehen die Notenbanken nun?Ich habe Verständnis für die Kreditwirtschaft. Wir müssen schauen, dass wir die Belastungen so gering wie möglich halten. Das ist auch unser Bemühen. Gleichwohl ist es sinnvoll, zur Kreditvergabe in Deutschland granulare Daten zu erheben. Nur so lassen sich Analysen deutlich verbessern und makroprudenzielle Instrumente kalibrieren.- Können Sie auch die Kritik seitens der EU-Politik verstehen – zumal angesichts der Kosten, die die letzte Finanzkrise für die Steuerzahler mit sich gebracht hat?Der Politik auf europäischer Ebene scheint es vor allem darum zu gehen, dass persönliche Informationen über einzelne Kreditnehmer nicht missbräuchlich genutzt oder in falsche Hände geraten können. Auch für die Bundesbank hat der Datenschutz höchste Priorität. Dafür gibt es Lösungen, wie die Anonymisierung der Daten. Und Sie sprechen die Kosten der Finanzkrise an. In der Tat mussten die Steuerzahler hohe Summen aufbringen, um eine Eskalation der Krise zu vermeiden. Die Ursachen der Krise aber lagen in der Instabilität des Finanzsystems. Gerade deshalb ist es so wichtig, Transmissions- und Ansteckungskanäle besser zu verstehen. Das funktioniert am Ende nur über mehr und bessere Daten.—-Das Interview führte Mark Schrörs.