GASTBEITRAG

Die nächsten Wachstumsimpulse kommen wieder aus Asien

Börsen-Zeitung, 24.7.2014 Trotz aller geopolitischen Risiken bleibt der Ausblick für die Weltwirtschaft insgesamt weiter positiv. Die Erholung in den Industrienationen hat sich weiter gefestigt und dürfte für das Gros der OECD-Staaten in eine...

Die nächsten Wachstumsimpulse kommen wieder aus Asien

Trotz aller geopolitischen Risiken bleibt der Ausblick für die Weltwirtschaft insgesamt weiter positiv. Die Erholung in den Industrienationen hat sich weiter gefestigt und dürfte für das Gros der OECD-Staaten in eine veritable Wachstums- bzw. Expansionsphase münden. Im Kern ist die Abweichung vom Trendpfad in den maßgeblichen Industrienationen einfach immer noch zu groß, als dass einem Nachlassen der Aufschwungkräfte eine nennenswerte Wahrscheinlichkeit zuzumessen wäre oder dass die Geldpolitik Anlass oder die Legitimation hätte, ihren Stimulus – dort wo es noch nötig ist – vorzeitig zu reduzieren. Vor allem in den USA stehen mehrere gute Jahre bevor, was auf den aufgestauten Nachholbedarf vor allem auch bei den Investitionen zurückgeht. Derzeit halten die Industrienationen den Staffelstab der Weltwirtschaft in der Hand.Perspektivisch dürfte sich das Blatt jedoch wieder wenden. Trotz des derzeit höheren relativen Wachstumsmoments der Industrienationen wachsen die Schwellenländer in absoluten Größen nach wie vor wesentlich stärker als die Industrienationen. Auch weil der Anteil der Emerging Markets an der Weltwirtschaft mittlerweile den der entwickelten Volkswirtschaften übersteigt, hängt die Stabilität der Weltwirtschaft mehr denn je von der Entwicklung in den Schwellenländern ab.Im Kern bleiben hier die strukturellen Wachstumstreiber geprägt durch die Megatrends Demografie, Urbanisierung und Industrialisierung erhalten, wobei mit Blick auf die konkreten Wachstumsperspektiven allerdings erhebliche regionale Unterschiede bestehen. So weist die zyklische Konstitution in vielen Ländern Lateinamerikas vielfach Merkmale vergangener Boom-Bust-Zyklen auf, so dass es aus unserer Sicht relativ unwahrscheinlich ist, dass das derzeit weiter rückläufige Momentum auf absehbare Zeit wieder nach oben dreht.Im starken Kontrast dazu bleibt die Entwicklung in Asien bislang so stabil, dass der nächste Wachstumsschub hier immer wahrscheinlicher wird: Zum einen dürften die zunehmenden Impulse aus den Industrienationen in vielen Ländern für zusätzlichen Auftrieb sorgen. Zum anderen darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass es im Kern Asien war, dessen robustes Wachstum half, den Absturz der Weltwirtschaft während der “großen Krise” der Industrienationen in den Jahren 2007 bis 2011 zu verhindern. Asien insgesamt ist während dieser Zeit quasi im weltwirtschaftlichen Vakuum gewachsen. Schlüsselfaktor ChinaVon daher ist zu erwarten, dass viele Länder eine Zeit des außenwirtschaftlichen Ausbalancierens benötigen, bevor sie wieder auf ihren gleichgewichtigen Expansionspfad zurückfinden. Nicht von ungefähr brach der Leistungsbilanzüberschuss in China innerhalb von nur 4 Jahren – von 10 % im Jahre 2007 auf unter 2 % im Jahre 2011 – regelrecht ein. Damit steigen die Chancen, dass das ohnehin hohe Trendwachstum in der Region durch einen zyklischen Rebound ergänzt wird. Die Implikationen einer solchen Entwicklung für die Weltwirtschaft wären weittragend. Bildlich gesprochen würde der Motor der Weltwirtschaft dann wieder einen Gang höher schalten und liefe auch auf mehreren Zylindern. Auch bilden die Länder Asiens aufgrund ihres Rohstoffhungers ein Scharnier zu den Rohstoffproduzenten der Welt, darunter viele aus Lateinamerika.Dreh- und Angelpunkt der Entwicklung in Asien ist mit Blick auf Größe des Landes und das wirtschaftliche Gewicht als zweitgrößte Wirtschaftsnation vor allem die Entwicklung in China. Eine Analyse dieses Landes muss hier vor allem dem großen Einfluss des Staates Rechnung tragen. Trotz der marktwirtschaftlichen Reformen ist der Einfluss der Regierung auf das wirtschaftliche Geschehen noch sehr groß.Gerade weil die wirtschaftliche Entwicklung in den vergangenen Jahren so erfolgreich verlief, verfügt das Land über enorme fiskalische und außenwirtschaftliche Handlungsspielräume, die durch die ordnungspolitische Allmacht der Regierung noch potenziert werden. Staatliche Interventionen bergen zwar immer die Gefahr einer Fehlallokation und vor allem auch Risiken mit Blick auf die angespannte Finanzlage der Gebietskörperschaften. In China erfolgt die Kreditvergabe aber nach wie vor zum überwiegenden Teil in Inlandswährung, so dass die Notenbank dem Finanzsystem jederzeit Liquidität zur Verfügung stellen kann. Darüber hinaus kann die chinesische Führung auch verfügen, dass die Banken die Kredite weiterzugeben haben, um die bereitgestellte Liquidität auch wirklich nachfragewirksam werden zu lassen.Es bedürfte also schon eines größeren ökonomischen Schocks, um der Regierung die Kontrolle über die gesamtwirtschaftliche Entwicklung zu entreißen. Erklärtes Ziel der Partei ist ein Jahreswachstum von 7,5 %. Dies entspricht in etwa dem Expansionspfad, den auch internationale Wirtschaftsforschungsinstitute als gleichgewichtigen Potentialpfad veranschlagen.Das hohe Expansionstempo schafft hohe Verteilungsspielräume und stabilisiert damit sowohl das politische als auch das ökonomische System. Für die Regierung stellt der Potenzialpfad daher eine wichtige Zielgröße dar, bietet er doch den maßgeblichen Anhaltspunkt dafür, wo das Wachstum idealerweise stehen sollte. So hat die Führung zuletzt eine ganze Reihe von expansiven Maßnahmen verfügt, um die Unterschreitung des Potenzialwachstums zu unterbinden.Insgesamt liegen die Risiken für China damit eben weniger in der kurzen Frist, da das wirtschaftspolitische System wesentlich robuster ist als in mehr marktorientierten Systemen. Die wirklichen Gefahren gehen vielmehr davon aus, dass es längerfristig zu großangelegten Fehlallokationen kommt, da die Informationsfunktion der Preise noch vergleichsweise schwach ausgeprägt ist.Der Vergleich zu den historischen Entwicklungszyklen der Industrienationen wie etwa den USA, oder aber auch Japan verweist allerdings darauf, dass sich das Land der Mitte noch mitten im Strukturwandel befindet. Indiz hierfür ist, dass die Kapitalintensität der chinesischen Volkswirtschaft insgesamt nur bei einem Bruchteil von dem entwickelter Volkswirtschaften liegt. Dies erklärt, warum das Wachstum trotz des langjährigen Booms so robust bleibt.Tatsächlich haben maßgebliche zyklische Indikatoren zuletzt auf eine weitere konjunkturelle Festigung verwiesen, obwohl das Wachstumstempo im zweiten Quartal mit einer laufenden Jahresrate von 8,1 % bereits wieder recht kräftig ausgefallen ist. Im Ergebnis dürften die Impulse aus China auf die asiatisch-pazifische Region weiter zunehmen. Damit rückt die zyklische Konstitution der anderen Länder der asiatisch-pazifischen Region in den Vordergrund. Ausblick hellt sich wieder aufGrundsätzlich werden auch die übrigen Schwellenländer der asiatisch-pazifischen Region von den gleichen strukturellen Trends, die das Wachstum in China antreiben, getragen. Treiber des robusten Wachstums ist neben dem wirtschaftlichen und technologischen Aufholprozess vor allem auch die Demografie: Eine stark wachsende Bevölkerung kennt keine Rentenlücke, so dass die Staatsfinanzen bereits durch die demografische Entwicklung entlastet werden. In der Tat zeichnen sich die meisten asiatischen Schwellenländer daher sowohl durch einen jeweils ausgewogenen Haushalt als auch durch einen geringen staatlichen Schuldenstand aus.Die Solidität der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung kommt insbesondere in der Entwicklung der Leistungsbilanzsalden zum Ausdruck. Trotz des hohen Wachstumstempos verzeichnen die asiatischen Volkswirtschaften in der Summe unverändert Überschüsse im Außenhandel. Die Akkumulation von Devisenreserven macht die Währungen grundsätzlich krisenfester und kann als Zeichen der Solidität und Nachhaltigkeit des gesamtwirtschaftlichen Expansionspfades gewertet werden, der eben nicht auf einem gesamtwirtschaftlichen Entsparen fußt. Trendwachstum sinkt aberIm Vergleich zu China sind viele Staaten der Region allerdings weiter entwickelt als das Land der Mitte. Damit einher geht ein allmählicher Rückgang des hohen Trendwachstums, so dass sich die Konjunkturzyklen ihren Pendants in den reiferen Industrienationen annähern. Vor diesem Hintergrund kommt der zyklischen Konstitution dieser Länder eine immer größere Bedeutung zu und es verwundert kaum, dass gerade die Volkswirtschaften mit einem höheren Entwicklungsstand von der Erholung in den Industrienationen besonders profitieren.So wurde der Tiefpunkt der Konjunkturentwicklung in Südkorea bereits im Jahre 2011 durchlaufen. Tatsächlich fungiert das Land auch nach unseren quantitativen Analysen traditionell als “Bellwether” für die Entwicklung in der Region. Dies gilt auch für Indonesien, wo sich die Anzeichen für eine anziehende Binnennachfrage neben der Aufhellung der Exportperspektiven zuletzt weiter verdichtet haben.Auch die volkswirtschaftliche Entwicklung in Indien hat mit Blick auf das wirtschaftliche Gewicht des Subkontinents einen großen Einfluss. Mit der absoluten Mehrheit der Bharatiya Janata Party (BJP) bei den Parlamentswahlen besteht die Chance, dass die Regierung nunmehr dringend gebotene strukturelle Reformen schultern kann. Traditionell hat die Wahl in Indien einen hohen Einfluss auf den Konjunkturzyklus.Insgesamt ist eine Bodenbildung der Frühindikatoren für die Länder der asiatisch-pazifischen Region bereits vollzogen, unsere Simulationen verweisen recht eindeutig darauf, dass nunmehr eine nachhaltigere Aufwärtsbewegung einsetzen sollte. Dieses Simulationsergebnis wird insbesondere durch die zuletzt lebhafte monetäre Expansion in vielen Ländern untermauert. Auch die Stabilisierung einschlägiger Metallpreise lässt sich als Vorbote einer abermaligen Erhöhung der konjunkturellen Dynamik in Asien interpretieren.Wir erwarten, dass die Schwellenländer Asiens in den nächsten ein bis zwei Quartalen eine erneute Zunahme der Wachstumsdynamik aufweisen werden. Für die ganze Region dürfte der eigentliche Wachstumsschub zum ersten Quartal des nächsten Jahres einsetzen – also in rund 6 Monaten. Dies wird auch zunehmend an der Performance der asiatischen Aktienmärkte spürbar, die diesen wirtschaftlichen Aufschwung bereits zu antizipieren begonnen haben. Asien ohne Japan dürfte dann mit einer Wachstumsrate von rund 6,5 % wachsen können – derzeit liegt das Expansionstempo bei knapp 6 %. Nach unseren Projektionen dürften die Wachstumsraten dann sogar noch weiter zulegen, das Wachstumsplus dürfte auf Jahressicht bei rund einem Prozentpunkt liegen. Renminbi gewinntDer Aufstieg des chinesischen Renminbi zur internationalen Reservewährung wird sich unterdessen fortsetzen. Zuletzt mehrten sich die Anzeichen dafür, dass die chinesische Zentralbank ihre Interventionspolitik, die sich gegen die massiven Kapitalzuflüsse zu stemmen versuchte, aufgeben muss. Das bedeutet, dass sich der langjährige Aufwärtstrend der chinesischen Währung fortsetzen wird, was auf die übrigen Währungen in der Region ausstrahlen sollte. Bereits jetzt ist der Kurs zum regionalen Währungshegemon Renminbi für viele Länder mindestens genauso wichtig, wie der Kurs zum US-Dollar. Dies macht es sehr wahrscheinlich, dass das gesamte asiatische Währungsgefüge weiter aufwertet – vor allem gegenüber dem Euro: Das Powerhouse der Weltwirtschaft wird auch an den Kapitalmärkten alsbald wieder in die erste Reihe treten.—-Jan Bottermann, Chefvolkswirt der National-Bank