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Die Regierung steht - die Koalitionsvereinbarung leider auch?

Börsen-Zeitung, 8.3.2018 Die Koalitionsvereinbarung steckt voller Gestaltungskraft, Ideen, Zukunft, ist zugleich präzise und konkret. Mehr neue Antworten als neue Ausgaben. Erkennbare Schwerpunkte sind Freiheit, Wettbewerb und Eigenverantwortung,...

Die Regierung steht - die Koalitionsvereinbarung leider auch?

Die Koalitionsvereinbarung steckt voller Gestaltungskraft, Ideen, Zukunft, ist zugleich präzise und konkret. Mehr neue Antworten als neue Ausgaben. Erkennbare Schwerpunkte sind Freiheit, Wettbewerb und Eigenverantwortung, solide Haushalte, Vorrang für Investitionen, Rechtssicherheit, Steuervereinfachung und -entlastung, eine Rentenstrukturreform und der Abbau von Mischfinanzierungen – all dies auf 8 DIN-A-5-Seiten. 1983.2018 füllen Union und SPD 178 eng bedruckte DIN-A-4-Seiten: Viel Worte, wenig Botschaft. Mehr neue Ausgaben als neue Antworten. Freiheit und Wettbewerb tauchen nur als Lippenbekenntnisse auf, Strukturreformen finden nicht statt, und die Vermischung der Kompetenzen von Bund, Ländern und Kommunen in Richtung organisierter Verantwortungslosigkeit geht weiter.Natürlich sind die Umstände andere, muss jede Zeit ihre eigenen Antworten finden. Leider liefert die aktuelle Regierungsvereinbarung diese kaum, wenngleich ein paar positive Aspekte zu loben sind, zum Beispiel das Bekenntnis zu einem Einwanderungsgesetz, zu mehr Digitalität, zu weiteren Bildungs- und Forschungsanstrengungen. Angesichts des Textumfangs und von Zusatzausgaben im dreistelligen Milliardenbereich darf man ja auch etwas Sinnvolles erwarten.Insgesamt aber, trotz hochfliegender Gedanken und hoch stehender Ziele, ist die Koalitionsvereinbarung vor allem ein Monument planwirtschaftlich-technokratischer Hybris. Alles scheint machbar für einen Staat, der auf Voluntarismus, zentrale Regelungen, Umverteilung und Nivellierung setzt. Ein fast groteskes Beispiel ist der Plan, gemeinsam mit Frankreich künstliche Intelligenz zu entwickeln. Schon ein wenig analoger Verstand reicht, um zu erkennen, dass dies allenfalls zu europapolitischer Symbolik taugt und der Forschung mit Freiraum und besseren Anreizen für Forschende mehr geholfen wäre. Wandel wird behindertStattdessen werden Macher und Vordenker sowie Dynamik und Wandel eher behindert. Für Begriffe wie Eigeninitiative, Leistungs-, Chancen- und Generationengerechtigkeit fand sich kein Platz. Routiniert wurden wiederholt “Digitalisierung”, “Familie” und “Zukunft” untergebracht, die echten Ausgabenschwerpunkte dagegen gelten erneut der Besitzstandswahrung und Beschenkung Älterer, die die Mehrheit der Wähler stellen. Nach 285 Mrd. Euro Nettokosten durch das Rentenpaket 2014 erwarten uns nun die Mütterrente II und eine Haltelinie beim Rentenniveau bis 2025, die für Rentner ab 2040 die Gefahr einer Nulllinie noch vergrößert.Mit dem Baukindergeld, das nicht jüngeren Bürgern, sondern Baufirmen zugutekommt, führt nun die gleiche Kanzlerin, die die Eigenheimzulage abgeschafft hat, den erwiesenen Unsinn unter neuem Namen wieder ein. Für alles ist Geld da, nur nicht beziehungsweise homöopathisch erst zum Wahljahr 2021 für die Entlastung steuerzahlender Bürger. Aber von denen war offensichtlich auch niemand bei den Koalitionsverhandlungen beteiligt. “Eine Gemeinschaft ist nicht die Summe an Interessen, sondern die Summe an Hingabe”: Antoine de Saint-Exupéry hätte über die Praxis von CDU/CSU und SPD, die Ausarbeitung der Koalitionsvereinbarung als Wünsch-dir-was zu veranstalten, die Nase gerümpft: Wer Dutzende Verhandler in kaum noch überschaubaren (Interessen-)Gruppen versammelt, alle eingespeisten Anliegen gleichmäßig eifrig notiert, die Textbausteine dann bunt zusammenwürfelt und abschließend den Phrasen- und Füllwortgenerator darüberlaufen lässt, erhält genau den eintönigen Remix altbekannter und politisch korrekter Forderungen, den die Koalitionsvereinbarung darstellt. Prioritäten sind kaum erkennbar, weil alles gleich und so furchtbar wichtig ist: von europäischer Solidarität, deren Rechnung unterschlagen wird, über die nun auch für Väter offenen Müttergenesungswerke und die den Versandhandel unterbindenden Apotheken bis zur “Stärkung des Deutschen Computerspielpreises”. Am Ende findet sich jeder irgendwo wieder, aber das Land wenig Sinnvolles. Sollte Politik nicht mehr bündeln und zusammenführen als nur bedienen?Zum Klein-Klein hat nicht nur die Bequemlichkeit der Parteien beigetragen, die sich in guter Zeit auf gönnerhafte Gesten beschränken, statt Weichen für die Zukunft zu stellen. Auch mancher Input aus der Wirtschaft war wenig hilfreich: Statt gemeinsam und entschlossen für eine nach dem Wahljahr andauernde Regulierungspause oder auch für eine Steuerstrukturreform zu werben, verzettelte sich jeder für sich selbst.Unglücklich ist die in der Sache nachvollziehbare steuerliche Forschungsförderung: Dass sie gedeckelt sein und einen politischen Preis nach sich ziehen würde, war absehbar. Jetzt gibt der Staat mit großer Geste 2 Mrd. Euro in vier Jahren und entzieht der Wirtschaft allein über die Wiederherstellung der Parität bei der Krankenkasse das Zehnfache dieser Summe, vom Rückkehrrecht in Vollzeit und weiteren strukturellen Belastungen ganz zu schweigen. Wettbewerbsfähigkeit sinktDer Flaschenhals ab 2020 für die öffentlichen Haushalte kommt, die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts nimmt, noch wenig merklich, ab. Den internationalen Steuerwettbewerb kann nur die Koalitionsvereinbarung, aber nicht Deutschland ignorieren: Das reale Leben besteht eben nicht aus vorfestgelegten, administrierbaren Bausteinen, politisches Handeln nicht aus Spiegelstrich-Aktionismus, und Zukunft gewinnt man nicht durch “Weiter so” mit mehr Geld. In Parlament und Kabinett sind genug intelligente und kompetente Köpfe versammelt, die eigentlich wissen, was zu tun wäre. Je weniger die Koalitionsvereinbarung die Regierungspraxis prägt oder limitiert, desto positiver dürfte am Ende die Regierungsbilanz ausfallen.——Prioritäten sind kaum erkennbar, weil alles gleich und so furchtbar wichtig ist. Am Ende findet sich jeder irgendwo wieder, aber das Land wenig Sinnvolles.—-Prof. Dr. Michael Eilfort ist Vorstand der Stiftung Marktwirtschaft.In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.