LAGARDE UND DIE EZB

"Die richtige Frau zur richtigen Zeit"

Von Andreas Heitker, Brüssel Börsen-Zeitung, 5.9.2019 Am Ende war das Votum deutlich: Mit 37 gegen 11 Stimmen sprach sich der Wirtschafts- und Währungsausschuss des EU-Parlaments (Econ) gestern für Christine Lagarde als neue Chefin der...

"Die richtige Frau zur richtigen Zeit"

Von Andreas Heitker, Brüssel Am Ende war das Votum deutlich: Mit 37 gegen 11 Stimmen sprach sich der Wirtschafts- und Währungsausschuss des EU-Parlaments (Econ) gestern für Christine Lagarde als neue Chefin der Europäischen Zentralbank (EZB) aus. Eine große Überraschung war dies nicht mehr: Schon bei der mehr als zweistündigen Anhörung war die Französin zuvor sehr wohlwollend von den Abgeordneten empfangen worden. Er sei froh über ihre Nominierung, betonte etwa der Spanier Luis Garicano, der führende Liberale im Ausschuss. Und auch der Grüne Sven Giegold stellt gleich zu Beginn klar: Es sei ein gutes Zeichen, dass eine starke Frau an die Spitze der wichtigsten Institution im Euroraum rücke.Lagarde wiederum – in einem dunkelblauen, dezenten Kleid mit altrosa Halstuch – meisterte die Econ-Hürde wie erwartet souverän und fand sehr oft den richtigen Ton. Sie sei geehrt, vor dem Ausschuss sprechen zu dürfen, und fast schon ein wenig eingeschüchtert, begann sie ihre Ausführungen in dem bis auf den letzten Platz gefüllten Saal “4Q2”. Dass dies ein heftiges Understatement war, zeigte die charismatische 63-Jährige dann mit jedem weiteren Satz.Von “differenzierten, verantwortungsvollen und innovativen Ausführungen” sprach im Anschluss Othmar Karas, österreichischer Konservativer und einer der profiliertesten Köpfe im Econ. Währungspolitik verlange nach einer ruhigen Hand, Berechenbarkeit, Konsequenz, Verlässlichkeit, Vertrauen und globaler Verantwortung, so die Einschätzung von Karas. “Christine Lagarde ist die richtige Persönlichkeit zur richtigen Zeit am richtigen Platz.”Die so gelobte hatte den Wirtschafts- und Währungsausschuss darauf eingestimmt, dass die lockere Geldpolitik des scheidenden EZB-Chefs Mario Draghi wohl auch unter ihrer Führung vorerst weitergeführt wird. Die Wirtschaft in der Eurozone sei auf kurze Sicht mit einigen Risiken konfrontiert, sagte Lagarde. Die Inflation im Währungsraum sei anhaltend zu niedrig und liege unter der Zielmarke. “Ich stimme daher mit dem EZB-Rat überein, dass eine hochgradig konjunkturstützende Geldpolitik noch für einen längeren Zeitraum gerechtfertigt ist, um die Inflation wieder auf unter, aber nahe 2 % zu bringen.”Lagarde thematisierte zugleich aber auch mögliche negative Effekte der aktuellen Geldpolitik. “Wir müssen ihre potenziellen Nebenwirkungen berücksichtigen, und wir müssen die Sorgen der Menschen ernst nehmen”, sagte sie, ohne sich zu den negativen Effekten aber genauer auszulassen. Sie stellte in Aussicht, dass die EZB künftig besser und transparenter kommunizieren werde, damit ihre Erklärungen auch von Nicht-Spezialisten verstanden würden.Die provokante Frage des neuen AfD-Europaabgeordneten Gunnar Beck, ob unter ihrer Führung die EZB “weiter freudig Recht brechen” und die laut EU-Verträgen verbotene monetäre Staatsfinanzierung fortsetzen werde, ließ Lagarde an sich abtropfen. Während der Krise habe man Grenzen überschreiten müssen, um die Einlagen der Bürger zu schützen, sagte sie bestimmt. “Das war berechtigt und notwendig.” Zum berühmten Zitat von Draghi im Sommer 2012, wonach die EZB bereit sei, im Rahmen ihres Mandats alles zu tun, was nötig sei, um den Euro zu retten, sagte Lagarde: “Ich hoffe, dass ich niemals so etwas sagen muss.”Viele Fragen in der Anhörung drifteten von den geldpolitischen Instrumenten ab zu Reformen für die Eurozone, zum Thema Griechenland, das Lagarde seit ihrem Start als IWF-Chefin 2011 ständig mit begleitet hat, und immer wieder auch zur Klimapolitik. Die designierte Draghi-Nachfolgerin verwies darauf, dass sie dem Kampf gegen den Klimawandel auch beim IWF schon viel Beachtung geschenkt habe. Und bei der EZB könne dies durchaus auch als “Sekundärziel” bezeichnet werden. “Das primäre Mandat ist natürlich Preisstabilität. Aber es muss berücksichtigt werden, dass Klimawandel und Umweltrisiken entscheidend für die Aufgabe sind”, hob Lagarde hervor. Sie hoffe auch, dass die Arbeiten in der EU an einem Klassifizierungssystem für grüne Anlagen, der sogenannten Taxonomie, bald abgeschlossen seien. Und sie sehe nicht, warum diese dann nicht auch für die EZB gelten sollte. Für Giegold sind das durchaus hoffnungsvolle Aussagen: Lagarde könne die EZB grüner machen und mit ihrer Geldpolitik die Bedingungen für Investitionen in eine grüne Transformation der Wirtschaft verbessern.Markus Ferber, der CSU-Finanzexperte im Econ, sieht dies etwas anders: “Preisstabilität muss das oberste Ziel der Europäischen Zentralbank sein”, betonte er. Dazu erwarte er sich auch ein klares Bekenntnis von Lagarde. Und was Ferber noch umtreibt: Der IWF habe unter Lagardes Führung eine Reihe von “zweifelhaften Gedankenspielen” durchdekliniert wie das Helikoptergeld oder eine Bargeldabschaffung. Von denen müsse sich Lagarde als EZB-Chefin klar distanzieren, forderte er.——Christine Lagarde erhält im EU-Parlament viel Vorschusslorbeer für ihre Arbeit bei der EZB.——