Die Stunde der Europaskeptiker

Die französische TV-Debatte offenbart, dass überzeugte Europäer in der Minderheit sind

Die Stunde der Europaskeptiker

wü Paris – Es war eine Premiere, die vor allem den unentschlossenen Wählern helfen sollte, eine Entscheidung zu treffen. Doch die Fernsehdebatte der elf französischen Präsidentschaftskandidaten am Dienstagabend dürfte diese Mission verfehlt haben. Wie bei so vielen Teilnehmern zu erwarten war, ging es bei der fast vier Stunden langen Diskussion teilweise sehr durcheinander, so dass die beiden Moderatorinnen zeitweise überfordert wirkten. Zudem lieferten die zwei Frauen und neun Männer, die sich für das höchste Staatsamt bewerben, meist nur oberflächliche Parolen, statt bei ihren Ausführungen in die Tiefe zu gehen.Und doch hatte die Debatte etwas Erfrischendes, da nicht die fünf politischen Schwergewichte, sondern die sechs Außenseiter die Debatte bestimmten. So war Philippe Poutou von der Nouveau Parti Anticapitaliste der Einzige, der es wagte, den durch die Scheinbeschäftigungsaffäre um seine Frau unter Druck geratenen Kandidaten der konservativen Republikaner offen zu kritisieren. “Seit Januar werden wir von François Fillons Skandalen überschüttet und je mehr ermittelt wird, desto mehr Betrug und Korruption wird gefunden”, prangerte der Ford-Arbeiter an. “Wenn Sie Ihre Familienmitglieder aus Steuergeldern zahlen, denken sie nicht an die öffentlichen Schulden, für die Arbeiter ständig sparen sollen.” Auch die ebenfalls in eine Scheinbeschäftigungsaffäre verstrickte Front-National-Chefin Marine Le Pen griff Poutou dafür an. Europa im FokusNathalie Arthaud von der linksextremen Partei Lutte Ouvrière wiederum hielt den anderen Kandidaten als Einzige den Spiegel vor, als sie ihnen vorwarf, zu Unrecht Europa für den Abbau von Arbeitsplätzen und die Probleme kleiner Unternehmen verantwortlich zu machen. Europa spielte in der Debatte entgegen den Erwartungen eine große Rolle. Allerdings offenbarte die Diskussion, dass die Europaskeptiker unter den französischen Präsidentschaftskandidaten in der Mehrheit sind.Während die zu Zeiten der Diskussion recht blass wirkende Le Pen erneut den Euro-Austritt und ein Referendum über den EU-Verbleib Frankreichs forderte, bekannte sich Ex-Wirtschaftsminister Emmanuel Macron erneut zum Staatenbund. “Europa schützt”, erklärte er und warnte, dass der von Le Pen, aber auch Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon und Europagegner François Assileneau angedrohte Euro-Austritt die Kaufkraft der Franzosen senken, Arbeitsplätze vernichten und einen Wirtschaftskrieg auslösen werde. Mélenchon, der auf die Zuschauer laut einer Blitzumfrage am überzeugendsten wirkte, plädierte dafür, die europäischen Verträge aufzukündigen, um sie neu zu verhandeln. Der inzwischen in der Wählergunst weit hinter ihn zurückgefallene Benoît Hamon von den Sozialisten warf Mélenchon vor, keine konkreten Vorschläge für eine Reform der EU anzubieten. Hamon ist zwar gegen die europäische Sparpolitik und will den Stabilitätspakt neu verhandeln, doch grundsätzlich bekennt er sich zu Europa. Er habe das Gefühl, dass Deutschland seine Haltung zur Austeritätspolitik ändere, erklärte er und verwies auf den SPD-Kandidaten Martin Schulz.Neben Le Pen, Mélenchon und Assileneau zeigten sich auch der Gaullist Nicolas Dupont-Aignan und der linke Dauerkandidat Jacques Cheminade als Europaskeptiker. Macron, der laut der Blitzumfrage nach Mélenchon am ehesten überzeugte, verteidigte als Einziger das EU-Entsendegesetz für Arbeiter.