WACHWECHSEL BEI DER EZB - IM INTERVIEW: OTMAR ISSING

"Die Unabhängigkeit der EZB wird in Frage gestellt"

Der Ex-EZB-Chefvolkswirt über Draghis Amtszeit, die Entfremdung zwischen EZB und Deutschland und eine Strategieüberprüfung

"Die Unabhängigkeit der EZB wird in Frage gestellt"

Herr Issing, wie fällt Ihr Fazit zur achtjährigen Amtszeit von EZB-Präsident Mario Draghi aus?Mario Draghi hat die EZB in diesen acht Jahren entscheidend geprägt. In Erinnerung wird vor allem sein “whatever it takes” bleiben . . . . . . also sein Versprechen im Sommer 2012, im Rahmen des EZB-Mandats alles, was nötig ist, zu tun, um den Euro zu erhalten.Das war der vermutlich wirksamste Satz eines Notenbankers. Die Märkte reagierten praktisch schlagartig in der beabsichtigten Richtung. Die Zinsen für Staatsanleihen von Ländern mit hoher Verschuldung sanken. Die Kehrseite dieses Erfolgs liegt in der Botschaft, die weithin so verstanden wurde: Die EZB ist gegebenenfalls bereit, die Wirkung fiskalischen Fehlverhaltens auf die Finanzmärkte zu kompensieren, um den Zusammenhalt der Währungsunion zu garantieren. Damit hat die Notenbank eine Verantwortung übernommen, die eindeutig in die Hände der Regierungen und Parlamente gehört, die sich vor ihren Wählern verantworten müssen. Die Unabhängigkeit der EZB wird damit in Frage gestellt. Unter Draghi hat sich das Verhältnis zwischen der EZB und Deutschland beziehungsweise der deutschen Öffentlichkeit stark verschlechtert. Was ist der Grund für diese Entfremdung?Die Entfremdung liegt vor allem in dem Umfeld sehr niedriger Zinsen begründet. Die Deutschen als “Sparbuchanleger” sind davon besonders betroffen. Dazu beigetragen hat aber auch eine Kommunikation, welche die in Deutschland gewachsene Distanz noch befördert hat. Präsident Draghi hat sich jedenfalls wenig Mühe gegeben, Verständnis für die Besorgnisse der Sparer und der Vertreter der Banken und Versicherungen zu zeigen. Ex-EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark sagt, bei der EZB sei keinerlei Bundesbank-Prägung mehr erkennbar. Stimmen Sie dem zu?Dem kann man wohl nicht widersprechen. Unter Draghi hat die EZB jede Erinnerung an die erfolgreiche Einführung des Euro unterdrückt. Diese war aber nur möglich, indem die Glaubwürdigkeit der neuen Institution in einem hohen Maße darauf beruhte, an die Tradition der Stabilität der D-Mark anzuknüpfen. Dieser Kurs wurde damals von allen teilnehmenden Notenbanken, auch aus den Südländern, unterstützt. Draghi argumentiert, die EZB sei jetzt eine moderne Zentralbank, auf Augenhöhe etwa mit der Fed.In der Tat ist die EZB in der Ägide Draghi im Kreis des Mainstream angekommen. Dafür erhält Draghi den zu erwartenden Beifall, nicht zuletzt aus Kreisen der Wissenschaft und von Akteuren auf den Finanzmärkten. Es wird sich herausstellen, ob eine weltweit konforme Geldpolitik die Fehler vermeiden kann, mit der die so ausgerichtete Politik wesentlich zum Aufbau von Risiken im globalen Finanzsystem beigetragen hat, die dann im Zusammenbruch der Märkte endete. Können die neue EZB-Chefin Christine Lagarde und Isabel Schnabel als neues deutsches Direktoriumsmitglied das Verhältnis zwischen der EZB und Deutschland wieder verbessern?Über die Zukunft der Politik der EZB will ich nicht spekulieren. Lagarde strebt eine Überprüfung der EZB-Strategie an. Was würden Sie sich als Ergebnis wünschen?Ich halte es für selbstverständlich, dass eine Notenbank ihre geldpolitische Strategie überprüft. Das sollte zum einen ein stetiger, interner Prozess sein, bei dem laufend analysiert wird, ob sich die Geldpolitik im Rahmen der gewählten Strategie auf dem richtigen Kurs befindet. Zum anderen gilt es, von Zeit zu Zeit sozusagen innezuhalten und die Strategie insgesamt auf der Basis entsprechender Studien auf den Prüfstand zu stellen. Als Chefvolkswirt habe ich im Dezember 2002 dem EZB-Rat eine solche Überprüfung vorgeschlagen. Das Ergebnis wurde dann im Mai des folgenden Jahres der Öffentlichkeit bekanntgegeben. Mario Draghi hat die Strategie der EZB gewissermaßen schleichend geändert. Die geldpolitischen Entscheidungen werden nach wie vor im Gewand der Zwei-Säulen-Strategie präsentiert, obgleich die tatsächliche Geldpolitik längst dem Muster des Inflation Targeting folgt. Würden Sie dafür plädieren, das EZB-Inflationsziel von “unter, aber nahe 2 %” zu ändern?Die Interpretation des im Vertrag verankerten Mandats Bewahrung der Preisstabilität gehört sicher auch auf den Prüfstand. Die EZB sollte dabei in erster Linie klären, ob sie eine Inflationsrate von zum Beispiel 1,5 % für zu niedrig hält, und weiter ihr bisher vergebliches Bemühen fortsetzen will, die Preissteigerungsrate nach oben zu treiben. Die Fragen stellte Mark Schrörs.