IM INTERVIEW: PETER BOFINGER

"Draghi hat jetzt überzogen"

Der Wirtschaftsweise über die EZB-Politik, mehr staatliche Förderung der Altersvorsorge, die Risiken des EU-Bankenabwicklungsregimes und die Zukunft des Euro

"Draghi hat jetzt überzogen"

– Herr Professor Bofinger, was würden Sie machen, wenn die Europäische Zentralbank (EZB) Ihnen morgen 3 000 Euro oder 5 000 Euro schenken würde – so wie es die Befürworter des “Helikoptergeldes” fordern?Oh je, was würde ich machen. (Überlegt länger.) Aller Voraussicht nach würde ich nicht mehr ausgeben, sondern sparen.- Das wäre aber das Gegenteil dessen, was erreicht werden soll: eine Steigerung des Konsums und dadurch am Ende mehr Inflation. Ist das Helikoptergeld also doch nicht der Weisheit letzter Schluss?Zunächst einmal: Ich bin vielleicht auch nicht typisch in meinem Sparverhalten. Aber in der Tat ist die Frage, ob dieses Geld überhaupt ausgegeben würde, und ob es dann im inländischen oder im ausländischen Konsum landen würde. Die Zielgenauigkeit des Helikoptergeldes ist also problematisch. Aber ich halte es auch ordnungspolitisch für keine akzeptable Lösung. Das ist eine Form ökonomischer Stimulierung, die völlig unsystematisch verläuft und bei der das Mandat der Geldpolitik massiv überschritten wird. Das ist eine fiskalpolitische, keine geldpolitische Aufgabe. Viel wichtiger wäre es, sich zu fragen: Warum ist die Inflationsrate so niedrig?- Und Ihre Antwort?Das fundamentale Problem sind die zu niedrigen Lohnsteigerungen. Aktuell haben wir im Euroraum einen Anstieg der Lohnstückkosten von weniger als 1 %. Da muss man sich nicht wundern, dass auch die Kerninflationsrate nicht höher ist. Selbst in Deutschland haben wir nur einen Anstieg der Lohnstückkosten von knapp 2 %. Das ist aber das, was wir im Euro-Durchschnitt bräuchten. Deutschland müsste also relativ einen höheren Anstieg aufweisen. Wenn man die Löhne im Euroraum nicht insgesamt nach oben schiebt, kann Herr Draghi Kopfstände machen – er wird das quasideflationäre Umfeld nicht in den Griff und die Inflation nicht auf 2 % bekommen. Das zeigt auch das Beispiel Japan: Dort steigen die Löhne seit Jahrzehnten nicht mehr, und deswegen klappt es selbst mit extremster Geldpolitik nicht, die Inflation zu erhöhen. Natürlich unterliegen die Löhne der Tarifautonomie. Aber Draghi sollte das Thema zumindest ansprechen und damit eine Alternative zur Niedrigzinspolitik aufzeigen.- Aber Sie verstehen vielleicht, woher die Diskussion kommt: Bei vielen Bürgern gibt es ein Gefühl der Ungerechtigkeit und die Klage, dass die Geldpolitik bei den Banken steckenbleibt und verpufft.Diese Einschätzung teile ich überhaupt nicht. Man muss die Lockerung der Geldpolitik als einen längerfristigen Prozess sehen, der im Frühsommer 2014 begonnen hat und alles in allem gut gewirkt hat: Die EZB hat den Euro und die Zinssätze für Bankkredite gedrückt. Mich ärgert es, wenn heute Kritiker sagen, alles, was die EZB tue, sei nicht nötig, weil keine Deflation drohe. Wir haben nur deshalb keine Deflation, weil die EZB und Draghi seit fast zwei Jahren alles tun, um das zu verhindern!- Aber die jüngste Lockerung haben Sie auch kritisch kommentiert.Noch einmal: Was die EZB getan hat, war insgesamt keine schlechte Politik. Man muss sich aber davor hüten, immer neue Erwartungen zu schüren, und aufpassen, dass der Zauber nicht verschwindet. Wenn man immer neue Kaninchen aus dem Hut zaubert, ist das Publikum immer weniger beeindruckt. Das hat sich jetzt auch in den Marktreaktionen gezeigt. Die Gefahr ist, dass auch Draghi am Ende als Kaiser ohne Kleider dasteht.- Der letzte Schritt war also zu viel?Meiner Ansicht nach hat Draghi jetzt überzogen. Er hätte lieber sagen sollen: Wir kaufen jeden Monat für 60 Mrd. Euro Anleihen, was sehr viel ist, und tun auch sonst eine ganze Menge. Die einzige gute Maßnahme im neuen Paket ist die Senkung des Refinanzierungssatzes auf 0 % – aber die ist unterdosiert. Wenn die EZB die Refinanzierung der Banken billiger machen will, warum hat sie den Refinanzierungssatz nicht gleich auf den Einlagensatz gesenkt …- … der jetzt bei – 0,4 % liegt. Banken sollten sich also generell zu einem negativen Zins EZB-Liquidität beschaffen können?Mit dem negativen Einlagenzins werden die Banken tendenziell belastet. Wenn aber der Refinanzierungssatz auf den Einlagensatz heruntergesetzt würde, wäre das für die Banken sofort ertragswirksam. Das gäbe auch der Kreditvergabe einen viel besseren Impuls. Ich verstehe nicht, warum die EZB das nicht längst gemacht hat. Was spricht dagegen?- Vielleicht, dass es der Öffentlichkeit schwer zu vermitteln ist, dass Banken noch eine “Belohnung” dafür bekommen, wenn sie sich Geld bei der EZB leihen?Jetzt aber ist es so, dass sich die Banken ihre Kosten über höhere Gebühren und vieles mehr beim Kunden zurückholen. Ich glaube, die deutsche Öffentlichkeit wäre vermutlich glücklicher mit einem negativen Refinanzierungssatz der EZB, der für sie keine große Relevanz hat, wenn dadurch vermieden würde, dass Banken irgendwann auch auf Sicht- und Spareinlagen einen Strafzins erheben. Das ist eine Schraube, die die EZB viel besser nutzen könnte.- Aber bereits die abermalige Senkung des Refinanzierungssatzes von zuvor 0,05 % auf 0 % hat viel Aufsehen erregt. Die ökonomische Wirkung ist gering, aber es hat große symbolische Bedeutung gehabt und schürt den Eindruck: Geld ist nichts mehr wert.Am Ende des Tages ist entscheidend, ob die deutschen Banken die Zinsen auf Sichteinlagen unter 0 % senken. Das ist das, was die Öffentlichkeit wirklich bewegt. Und eine solche Entwicklung kann die EZB vermeiden, wenn sie den Banken die Refinanzierung erleichtert.- Bei den Bürgern aber kommt es anders an: Den Banken wird etwas Gutes getan, und sie selbst leiden unter den Mini-Zinsen.Bei der Vermittlung der Geldpolitik gibt es gravierende Probleme. Was ganz wichtig ist und was die EZB zu wenig macht, ist zu betonen, dass Bargeld und Sichteinlagen nach Abzug der Inflation derzeit so gut verzinst werden wie fast nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Denn entscheidend ist natürlich, was dem Sparer nach der Inflationsrate bleibt, und wir haben zu Bundesbankzeiten bis zu 7 % Inflation gehabt. Auch bei den Spareinlagen war es in Phasen mit höherer Inflation häufig so, dass der Zins unter der Inflationsrate lag – es real also ein Minus gab.- Also gibt es doch keine finanzielle Repression, wie viele klagen?Ein Fünftel des Vermögens der deutschen Privathaushalte besteht aus Bargeld und Sichteinlagen und zwei Fünftel aus Bargeld und Bankeinlagen. Ein relativ großer Teil des gesamten Geldvermögens der privaten Haushalte ist also aktuell unter Berücksichtigung der Inflationsentwicklung gar nicht so schlecht, sondern sogar relativ gut verzinst. Problematisch sind aber natürlich die niedrigen Anleihenzinsen. Da konnte man auch in Hochinflationsphasen immer so rund 2 % reale Rendite erzielen. Die Bevölkerung sieht das jetzt zu Recht sehr kritisch, weil eine vernünftige Kapitalbildung nicht mehr machbar ist. Die ganze private Altersvorsorge ist insofern ein Riesenproblem.- Und was ist die Lösung?Wenn der deutsche Staat durch die niedrigen und teils negativen Zinsen auf seine Anleihen so viel spart, sollte er einen Teil an seine Bürger zurückgeben. Er könnte etwa die private Altersvorsorge stärken und mehr Mittel einsetzen. Ich hielte eine neue Eigenheimzulage für ein gutes Instrument. Derzeit gehen viele Wohnimmobilien an Investoren aus aller Welt. Mit der Eigenheimzulage würde die Mittelschicht im Wettbewerb um knappe Immobilien gestärkt. Oder man könnte das Riester-Sparen ausbauen.- Was meinen Sie konkret?Die Förderung ist seit dem Start nie erhöht worden. Da bestünde Handlungsspielraum. Eine weitergehende Möglichkeit wäre, für Alterssparer Anleihen aufzulegen, die zum Beispiel 2 Prozentpunkte mehr bringen. Finanzminister Schäuble gäbe damit einen Teil seines Zinsvorteils via Altersvorsorge zurück. Das Problem der Altersvorsorge ist gravierend, und ich verstehe, dass das in der Bevölkerung massive Verunsicherung hervorruft. Vielleicht war es auch nicht ganz so glücklich, das gesetzliche Rentensystem so zurückzufahren, dass die Menschen nun grundsätzlich die private Altersvorsorge brauchen. Damals hat man mit Renditen mit bis zu 6 % gerechnet. Jetzt mit Nullzinsen funktioniert das nicht mehr.- Und die Menschen schließen die Lücke, indem sie noch mehr sparen – was den Konsum dämpft.Es funktioniert eben nicht immer alles so wie in unseren schönen ökonomischen Modellen. Die meisten Leute sparen fürs Alter. Wenn der Zins sinkt, sparen sie anders als in der Modellwelt mehr und können weniger konsumieren, denn am Ende wollen die meisten einen bestimmten Lebensstandard im Alter absichern. Wir müssen also auch das gesetzliche Rentenversicherungssystem wieder positiver sehen. Es hat kaum Kosten, und es bietet eine hochdiversifizierte Beteiligung am Humankapital der Zukunft, die so kein privater Fonds bieten könnte.- Plädieren Sie auch dafür, die gesetzliche Rente auszuweiten?Das sollte man durchaus überlegen. Selbständige mit niedrigen Einkommen in das System hineinzunehmen würde dem Staat unterm Strich sogar Geld sparen, da sie ohnehin einen Anspruch auf die Grundsicherung haben. Eine andere Frage ist, inwieweit berufsständische Versorgungswerke in einem Niedrigzinsumfeld noch sinnvoll sind. Die Pensionsfonds und Versorgungswerke haben riesige Probleme, weil sie nicht wissen, wie sie ihre Gelder anlegen sollen. Womöglich sind auch höhere Rentenbeiträge sinnvoll. In Österreich zahlen die Beitragszahler 4 Prozentpunkte mehr, haben dafür aber eine gute Absicherung. Vielleicht wäre mancher Arbeitnehmer in Deutschland glücklicher, wenn er damit einen höheren Rentenanspruch erhielte und er sich keine Gedanken mehr über seine Altersvorsorge machen müsste.- Wenn Sie die Probleme so beschreiben, würden Sie sagen, dass die ultralockere Geldpolitik aktuell nicht mehr Schaden anrichtet als Nutzen stiftet?Damit sind wir wieder beim Grundproblem: Die Geldpolitik ist mittlerweile völlig überfordert. Deswegen sage ich, wir müssen in der Lohnpolitik etwas tun. Das andere ist die Fiskalpolitik. Sie könnte im ganzen Euroraum mehr Impulse setzen, um vor allem über Investitionen in Bildung, Forschung und Entwicklung die wirtschaftliche Nachfrage zu erhöhen. Draghis Problem ist, dass die Politik die Hände in den Schoß legt, gerade weil er so erfolgreich ist. Der politische Handlungsdruck wird durch das geldpolitische Handeln eher abgeschwächt.- Aber Ihre Ansätze wären doch ein Bruch mit der bisherigen Rettungspolitik? Dazu gehört Lohnzurückhaltung, um die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, und der Abbau von Defiziten und Schulden der Staaten.Was viele übersehen, ist, dass die Rezession im Euroraum gerade deshalb überwunden wurde, weil die Konsolidierungspolitik nicht mehr fortgesetzt worden ist. Seit 2013 gibt es kaum noch Konsolidierung. Draghi hat den Staaten die notwendige Rückendeckung gegeben. Spanien ist ein Beispiel dafür: Das Land hat seit 2013 die Konsolidierung eingestellt und zusammen mit umfassenden Strukturreformen eine eindrucksvolle Kehrtwende erzielen können.- Aber das kann Spanien auch schnell auf die Füße fallen, wenn die Finanzmärkte bei den Schulden wieder genauer hinschauen.Da rächt sich das Problem, dass die Struktur des Euroraums nicht nachhaltig genug gesichert worden ist. Alles, was wir derzeit an Stabilität haben, liegt an der EZB. Ihr ist es gelungen, dass die Märkte die Risiken in den Hintergrund gestellt haben. Die gute Nachricht ist insofern, dass Draghi bis Ende 2019 im Amt ist.- “Super Mario” wird es richten?Es ist klar, dass die Architektur des Euroraums noch nicht nachhaltig stabil ist. Die Zeit, die Draghi 2012 mit seinem “Whatever it takes” herausgeschunden hat, wurde nicht genutzt. Wir haben jetzt zwar eine Bankenunion, doch die macht mit ihrem Abwicklungsregime die Lage nicht unbedingt stabiler.Wenn die Bankeinleger das Gefühl haben, dass Einlagen von mehr als 100 000 Euro nicht mehr sicher sind, ist das nicht zwingend ein Beitrag zu mehr Stabilität.- Der Schuss geht also nach hinten los? Eigentlich sollte der Bail-in den Steuerzahler davor schützen, erneut zur Bankenrettung herangezogen zu werden.Die Stabilität des Bankensystems ist ein hohes Gut. Dafür sollte der Steuerzahler durchaus etwas bezahlen.- Derzeit aber ist das Bestreben, die mittelbare Staatshaftung für systemrelevante Banken ganz aufzugeben. Ist das falsch?Es ist auf jeden Fall gefährlich. Es war ja auch in der Vergangenheit nicht so, dass der Staat “die Banken” gerettet hat. Vielmehr haben die Bankeigentümer durchaus massiv Geld verloren. Manche, wie die Aktionäre der Hypo Real Estate, haben keinen Cent mehr. Auch die Besitzer von Commerzbank- oder Deutsche-Bank-Aktien hatten seit 2007 nichts zu lachen. Die Marktwirtschaft hat durchaus funktioniert. Die, die es treffen sollte, hat es auch getroffen. Gerettet hat der Staat hingegen die Bankeneinleger. Und das ist doch gar nicht so schlecht gewesen.- Die Bail-in-Regelung ist also eine Verschlimmbesserung?Grundsätzlich muss man alles dafür tun, dass es erst gar nicht dazu kommt, dass Banken gerettet werden müssen. Die Einführung höherer Eigenkapitalanforderungen und die engmaschigere Regulierung sind dafür ganz wichtig gewesen. Aber wenn ein mittelständisches Unternehmen jetzt möglicherweise Angst um seine Einlagen haben muss, ist das gefährlich für das ganze System. Bankeneinlagen würden immer dann verschoben, sobald Bedenken hinsichtlich einer Bank aufkommen. Das könnte der Keim für eine neue Krise sein.- Und was halten Sie von der Debatte, den Kauf von Staatsanleihen durch Banken einzuschränken?Das ist ein Spiel mit dem Feuer. Ein marktwirtschaftliches Finanzsystem benötigt stabile Säulen, um die herum alles andere aufgebaut wird. Das waren bisher die Sicherheit aller Bankeinlagen und die Sicherheit der Staatsanleihen. Die neue Welt, die viele meiner Kollegen herbeisehnen, in der sowohl die Bankeinlagen als auch die Staatsanleihen nicht mehr sicher wären, könnte sich als sehr instabil erweisen. Vielleicht sollten sich die Anhänger solcher Vorschläge einmal fragen, warum diese Diskussion weder in den USA noch in Großbritannien geführt wird.- Warum sollen Staatsanleihen bessergestellt werden als alle anderen Anleihen?Ich halte die Stabilisierungsfunktion der Staaten für essenziell. Die große Rezession des Jahres 2009 hat gezeigt, dass man Akteure benötigt, die, wenn es brennt, in unbegrenztem Maße löschen können. Deswegen sehe ich Überlegungen kritisch, Banken Obergrenzen für den Kauf von Staatsanleihen aufzuerlegen. Was geschieht, wenn der Staat in einer schweren Krise an seine Limits bei den Banken stößt? Viele meiner Kollegen halten die Restrukturierung von Staaten auch für planbar. Das ist ein Trugschluss: Neben den Banken wären davon auch alle Lebensversicherungen und die gesamte kapitalgedeckte Altersvorsorge betroffen. Die ökonomischen und politischen Auswirkungen wären absolut unvorhersehbar.- Und wer könnte dieser im Zweifelsfall unbegrenzt tätig werdende Akteur in der Eurozone sein?Bisher war das die EZB, aber das kann keine dauerhafte Lösung sein. Deshalb ist es unabdingbar, die europäische Integration weiter voranzutreiben. Die Staaten müssen bereit sein, fiskalische Kompetenzen auf die Gemeinschaftsebene zu übertragen. Dafür können im Gegenzug Formen einer gemeinschaftlichen Haftung zumindest in Krisensituationen etabliert werden.- Aber wäre das nicht eine Art Freibrief für unsolide Fiskalpolitik?Wir reden in Deutschland im Hinblick auf die Währungsunion immer nur darüber, was uns das kostet, welche Risiken damit verbunden sind. Es wird kaum gefragt, was uns das bringt. Wenn Deutschland heute wirtschaftlich so gut dasteht, dann hat das wesentlich mit unserer Mitgliedschaft in der Währungsunion zu tun. Wir wären aller Voraussicht nach der Hauptleidtragende, wenn der Euro zusammenkrachen würde.- Haben wir in Deutschland schlicht den falschen Ansatz und müssen “mediterraner” werden, um der Währungsunion insgesamt zum Erfolg zu verhelfen?Nein, auf keinen Fall. Aber es kann keine Lösung sein, grundsätzlich gegen alles zu sein: gegen die expansive Politik der EZB, gegen stärkere Impulse der Fiskalpolitik und natürlich gegen einen Beitrag der Lohnentwicklung zu einer zielgerechten Preisentwicklung im Euroraum. Wenn wir nur unsere Lohnstückkosten in den nächsten drei Jahren mal etwas stärker steigen lassen würden, würde die Anpassung im Euroraum schneller vorangehen.- Aber liefe Deutschland dann nicht Gefahr, dass der Aufschwung in sich zusammenbricht wegen sinkender Wettbewerbsfähigkeit?Nein, der Wechselkurs ist viel entscheidender im außereuropäischen Handel als die Lohnstückkosten. Draghi will die Kerninflationsrate von rund 1 % auf knapp 2 % kriegen, wir reden also über 1 Prozentpunkt. Das macht der Eurokurs doch schon, während wir uns gerade unterhalten.- Einige Beobachter plädieren dafür, dass die EZB zu einer Art fiskalischer Sicherungsinstanz für die Euro-Staaten wird – wie in den USA oder Japan. Gehört das Verbot der monetären Staatsfinanzierung im EU-Vertrag auf den Prüfstand?Offenmarktgeschäfte sind ein ganz normales Instrument der Geldpolitik. Selbst die Bundesbank hat in den Zeiten der D-Mark in größerem Umfang Staatsanleihen erworben. Selbst wenn die EZB so viele Staatsanleihen kaufen würde wie ihre Kollegen in Japan, würde das nicht gegen ihr Mandat verstoßen. Entscheidend ist, dass sie alle Länder nach ihrem Gewicht in der Währungsunion bedenkt. Gefährlich wird es, wenn Anleihenkäufe disproportional und konditioniert geschehen, wie beim Staatsanleihenkaufprogramm OMT vorgesehen.- Irgendwie scheinen wir aktuell festzustecken: Wir kommen nicht weiter zu einer politischen Union, eine Auflösung der Währungsunion ist aber auch undenkbar.Das ist in der Tat keine komfortable Lage. Wir sind verdammt, den Weg zu einer engeren Integration weiterzugehen.- Wo könnte man da ansetzen?Zunächst einmal braucht es einen besseren politischen Mix aus Geld-, Fiskal- und Strukturpolitik. Wenn die EZB entlastet würde, wäre auch der Widerstand in der kritischen Bevölkerung in Deutschland geringer. Es ist doch geradezu irrational, welche Verrenkungen die EZB derzeit machen muss, um die Inflation nach oben zu treiben: Über Negativzinsen sollen die Investitionen angekurbelt werden, die die Nachfrage erhöhen sollen, die wiederum dafür sorgen soll, dass die Löhne stärker steigen. Meine Ökonomenkollegen glauben immer an die Kraft der Erwartungen, aber ich bin da skeptischer. Der Erwartungskanal funktioniert nicht. Die massive Ausweitung der Notenbankliquidität findet keinen Niederschlag in den Tarifverhandlungen. Ist es da nicht besser, das Problem direkt anzugehen über die Lohnpolitik oder mit mehr staatlichen Investitionen für Infrastruktur, Netzwerke, Energie und Bildung? Das nähme den Druck von der Geldpolitik.- Das hilft aber nur für die akuten Probleme der Geldpolitik.In einem zweiten Schritt müsste man die allgemeine Exponiertheit der Euro-Staaten gegenüber den Märkten verringern. Großbritannien und die USA sind in ihren Währungen verschuldet und können faktisch nicht insolvent werden. Jedes Mitgliedsland der Währungsunion trägt dagegen ein Insolvenzrisiko mit sich und ist den Märkten quasi schutzlos ausgeliefert. Draghis Whatever-it-takes-Versprechen wird aber nicht mehr so lange tragen. Irgendwann werden das die Märkte austesten.- Werden wir uns in zehn Jahren noch über die gleichen Fragen unterhalten?Meine Erfahrung ist: Wenn der Euro vor dem Abgrund steht, wurde er bislang immer gerettet. Aber man muss dabei aufpassen. Es ist gefährlich, wenn man sich ständig zu nahe am Abgrund aufhält.—-Das Interview führten Mark Schrörs und Stephan Lorz.