Italien

Draghi muss das Tempo verschärfen

Nie waren die Hoffnungen der Wirtschaft so groß. Um 6 % wächst das Bruttoinlandsprodukt voraussichtlich in diesem Jahr – stärker als in den anderen europäischen Ländern. Allerdings war die Wirtschaft 2020 auch viel stärker eingebrochen.

Draghi muss das Tempo verschärfen

Von Gerhard Bläske, Mailand

Das hat Italiens Premierminister Mario Draghi selten erlebt. Mit Standing Ovations feierten ihn die Unternehmer bei seinem Auftritt vor dem Industriellenverband Confindustria. Nie waren die Hoffnungen der Wirtschaft so groß. Um 6% wächst das Bruttoinlandsprodukt voraussichtlich in diesem Jahr – stärker als in den anderen europäischen Ländern. Allerdings war die Wirtschaft 2020 auch viel stärker eingebrochen (siehe Grafik). Gefährdet wird der Aufschwung aber insbesondere durch die steigenden Preise. Italien erhält insgesamt mehr als 200 Mrd. Euro aus diversen europäischen Programmen, und endlich werden jahrzehntelang liegen gebliebene Reformen angepackt.

Was ein Mann alles bewirken kann! Er hat ein Programm für die Verwendung der europäischen Mittel erarbeitet. Er hat Parteien in eine Regierung gepresst, die sich spinnefeind sind, und lässt deren Kritik an sich abprallen. „Parteien sind Parteien, eine Regierung ist eine Regierung“ sagt er. Und er ist dabei, mit drastischen Maßnahmen wie einer Impfpflicht die Pandemie in den Griff zu bekommen. 77% der Italiener ab 12 sind doppelt geimpft. Zudem arbeitet Draghi ein riesiges Reformprogramm ab. Bis Jahresende müssen noch 19 von 27 Reformen und 19 von 24 Investitionsprojekten verabschiedet werden, zu denen sich Italien verpflichtet hat. Andernfalls könnte Brüssel den Geldhahn zudrehen. Geplant sind Reformen des Wettbewerbsrechts, der öffentlichen Verwaltung, der Justiz, des Bildungssystems und des Steuersystems ebenso wie Investitionen in Infrastruktur, Bildung, Digitalisierung, den ökologischen Umbau. Mit mehr als 3 Mrd. Euro greift die Regierung nun vor allem sozial Schwachen und Kleinunternehmen unter die Arme, um die kräftig steigenden Energiepreise abzufedern.

Zwar genießt Draghi öffentlich breite Unterstützung, doch hinter den Kulissen machen einflussreiche Lobbygruppen mobil gegen die Pläne. Es fehlt Personal – und für manches die Mittel. Der einflußreiche Ökonom Carlo Cottarelli hält eine strukturelle Steuerreform aus finanziellen Gründen für unmöglich – es sei denn, man verzichte auf den geplanten Schuldenabbau. Zumindest hat Draghi versprochen, die Steuern nicht zu erhöhen. Die Herausforderungen sind immens. Confindustria-Chef Carlo Bonomi macht deutlich, worauf es ankommt: Der Aufschwung dürfe kein Strohfeuer bleiben. Nur dann sei die immense öffentliche Verschuldung tragfähig.

Draghi hat wenig Zeit. Spätestens im Frühjahr 2023 wird eine neue Regierung gewählt. Bis dahin muss er Italien auf den Wachstumsweg bringen, fit für die Zukunft machen. Nach Zahlen der Industrieländerorganisation OECD ist die Produktivität seit 20 Jahren nicht gestiegen. Ein jahrelanger Investitionsstau und ein undurchdringlicher Regulierungsdschungel bremsten die Dynamik des zweitgrößten Industrielandes in Europa. Italien gebe 14% des Bruttoinlandsprodukts für Renten aus und müsse die Frühpensionierungen beenden sowie eine aktive Arbeitsmarktpolitik betreiben. Auch das sind Aufgaben, die Draghi schnell lösen muss. Er muss das Tempo beschleunigen, um das kleine Zeitfenster, das er hat, zu nutzen. Er hinkt aber mit der Umsetzung der Reformen seinen Plänen hinterher.

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