Italien

Draghi zwischen Aufbruch und Impfnationalismus

Bevor Italiens neuer Premierminister Mario Draghi die Wirtschaft des Landes in Schwung bringen kann, muss er die Corona-Pandemie in den Griff bekommen. Die Lage spitzt sich gerade wieder zu. Die Zahl der täglichen Neuinfektionen ist auf 22400...

Draghi zwischen Aufbruch und Impfnationalismus

Von Gerhard Bläske, Mailand

Bevor Italiens neuer Premierminister Mario Draghi die Wirtschaft des Landes in Schwung bringen kann, muss er die Corona-Pandemie in den Griff bekommen. Die Lage spitzt sich gerade wieder zu. Die Zahl der täglichen Neuinfektionen ist auf 22400 gestiegen. Der Anteil der Mutationen ist sehr hoch und Experten rechnen bald mit 40000 Neuinfektionen pro Tag.

Mit deutlich verschärften Restriktionen, die bis nach Ostern gelten, will Draghi das Voranschreiten der Infektionen stoppen. Auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene sind nun erhebliche Einschränkungen der Reisefreiheit, die erneute und teilweise bereits erfolgte Schließung von Schulen, Geschäften sowie Restaurants und Cafés vorgesehen – vor allem an den Wochenenden. Bei etlichen Entscheidungen der letzten Tage demonstrierte Draghi große Entschlossenheit – doch er zeigt auch nationalistische Tendenzen.

Denn Draghi präsentiert sich zum Missfallen anderer Regierungen als Impfstoffnationalist. Als erstes EU-Land­ hat Italien den Export des in der Nähe von Rom abgefüllten AstraZeneca-Impfstoffs verboten. Die russisch-italienische Handelskammer gab eine Vereinbarung des Schweizer Biotech-Unternehmens Adienne mit dem russischen Staatsfonds bekannt: Ab Juli soll in Italien der Impfstoff Sputnik produziert werden. Das verärgert Brüssel sehr, zumal der Impfstoff in der EU noch gar nicht zugelassen ist und die Beziehungen zu Moskau sehr angespannt sind. Russland will offenbar einen Keil in die EU treiben. Die Regierung in Rom behauptet, nichts von der Vereinbarung gewusst zu haben, doch das ist unwahrscheinlich, weil Italiens Behörden der Vereinbarung zustimmen müssen.

Draghi, der sich mit dem EU-Krisenmanagement unzufrieden zeigt, hat den Heeresgeneral Francesco Figliuolo beauftragt, die Impfstoff-Logistik neu zu organisieren. Der General setzt auf Militär und Zivilschutz. Die Impfkampagne ist bis dato trotz schön designter Impfzentren nicht vorangekommen.

Draghi redet nicht viel. Er handelt. Das gilt auch für die Verwendung der Mittel des Europäischen Wiederaufbauprogramms. Für Kritik sorgt, dass sich die Regierung Hilfe der Beratungsgesellschaft McKinsey holen will. Doch eine wirkliche Opposition gegen Draghi gibt es mit Ausnahme der extremen Linken und der postfaschistischen Fratelli d’Italia nicht.

Sehr zum Missfallen der Arbeitgeber verlängert Draghi das in Europa einmalige Kündigungsverbot, das vor einem Jahr eingeführt worden ist. Statt bis 31. März soll es nun bis 30. Juni gelten. Die sehr großzügige Kurzarbeitsregelung wird ebenfalls verlängert, teilweise bis Jahresende. Damit sowie mit einem neuen Sozialpakt für die 3,2 Millionen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes verschafft sich Draghi Ruhe an der sozialen Front. In der Verwaltung sollen mehr jüngere, besser ausgebildete und besser bezahlte Mitarbeiter eingestellt werden und dafür sorgen, dass effizienter gearbeitet und die Digitalisierung vorangetrieben wird. Sie sollen mehr Geld erhalten und ein Recht auf regelmäßige Weiterbildung erhalten.