Drei Spitzenkandidaten schießen in die Luft
Von Stefan Paravicini, Berlin
Die Idee des Triells beschäftigt die Mathematik schon etwas länger als die deutsche Innenpolitik. Bereits 1959 findet es sich in dem Buch „Mathematische Rätsel und Probleme“ von Martin Gardner wieder. Wie sieht die optimale Strategie aus, um aus einer Schießerei mit drei Kontrahenten erfolgreich hervorzugehen, lautet eine der Fragen, die sich Spieltheoretiker seither zum Triell stellen. „Alle Spieler schießen in die Luft“, lautet die Antwort, die der Informatiker Donald Kuth Anfang der 1970er Jahre zu dem Problem formulierte.
Annalena Baerbock, Armin Laschet und Olaf Scholz, die drei Bewerber um die Nachfolge von Bundeskanzlerin Angela Merkel, versuchten am Sonntagabend beim ersten „Triell“ im Bundestagswahlkampf zur besten Sendezeit zwar Treffer zu landen. Vor allem Laschet, der Spitzenkandidat der Union, steht wegen schlechter Umfragewerte unter Druck, und auch Baerbock, die erste Kanzlerkandidatin der Grünen, war bemüht, ihrem pannenreichen Wahlkampf mit ein paar Wirkungstreffern neuen Schwung zu verleihen. SPD-Spitzenkandidat Olaf Scholz dagegen, der in den vergangenen Wochen vor allem deshalb in den Umfragen nach oben klettert, weil er sich anders als Laschet nicht an der eigenen Partei abarbeiten muss und anders als Baerbock einen relativ ereignislosen, aber weitgehend fehlerfreien Wahlkampf führt, folgte auch im Triell über weite Strecken der Strategie, besser gar nicht als am Ziel vorbeizuschießen.
Am Tag danach erklärten die Wahlkämpfer der Parteien ihre Spitzenkandidaten allesamt zum Sieger. „Das war aus meiner Sicht genau das, was wir uns erhofft hatten“, sagte CSU-Chef Markus Söder, der Laschet in den vergangenen Wochen wiederholt für seinen laschen Wahlkampf kritisiert hat. „Das war ein sehr guter Auftritt, und das hilft uns“, sagte Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) über den Auftritt seines Amtskollegen aus Nordrhein-Westfalen. Der Bundesgeschäftsführer der Grünen, Michael Kellner, sah derweil einen „fulminanten“ und „souveränen“ Auftritt von Baerbock und kündigte Union und SPD einen heißen Wahlkampf in den knapp vier Wochen bis zur Wahl an.
„Olaf hat erneut bewiesen: Er kann Kanzler! Er hat einen Plan für die Zukunft!“, jubelte die SPD in den sozialen Medien, ohne dass sich die Parteiführung gesondert zum Triell äußerte. In der Parteizentrale im Willy-Brandt-Haus weiß man schließlich längst, dass der amtierende Vizekanzler Scholz als Spitzenkandidat umso stärker überzeugt, je mehr der amtierende Finanzminister als langjähriger Weggefährte im Kabinett von Merkel statt als Spitzenkandidat einer SPD unter Führung der Parteivorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans gesehen wird.
Das bestätigen auch die Umfragen nach dem ersten von drei Fernseh-Triellen. Nach einer neuen Erhebung von Insa kommen die Sozialdemokraten knapp vier Wochen vor der Bundestagswahl mittlerweile auf 25% – zwei Prozentpunkte mehr als vor Wochenfrist. Die Union hat demnach noch einmal drei Punkte verloren und rutscht auf 20%. Die Grünen geben einen halben Punkt nach und liegen bei 16,5%. Die FDP klettert einen halben Punkt auf 13,5%. AfD und Linke bleiben unverändert bei 11% beziehungsweise 7%.
Er freue sich schon auf das nächste Triell, erklärte Laschet nach der ersten Diskussion, die am Sonntag auf RTL und ntv übertragen wurde. Vielleicht hofft er auf eine Eigenschaft, die das Triell auch aus Sicht von Spieltheoretikern besonders macht, dass nämlich unter bestimmten Bedingungen gute Schützen gegenüber schlechten Schützen im Nachteil sind. Das nächste Triell wird am 12. September von ARD und ZDF übertragen. Eine Woche später folgt Teil drei auf ProSieben, Sat.1 und Kabel Eins.