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Düstere Aussichten für die WTO nach der US-Blockade

Von Peter De Thier, Washington Börsen-Zeitung, 12.12.2019 Schon vor seinem Amtsantritt war allgemein bekannt, dass US-Präsident Donald Trump und seine einflussreichsten Wirtschaftsberater keine großen Anhänger von freiem Welthandel und...

Düstere Aussichten für die WTO nach der US-Blockade

Von Peter De Thier, WashingtonSchon vor seinem Amtsantritt war allgemein bekannt, dass US-Präsident Donald Trump und seine einflussreichsten Wirtschaftsberater keine großen Anhänger von freiem Welthandel und Globalisierung sind. Manchmal, etwa im Falle Chinas oder der EU, ist er davon überzeugt, dass die USA von wichtigen Handelspartnern über den Tisch gezogen werden. Gelegentlich sieht der Präsident sich aber auch veranlasst, einen Streit auszulösen, um von seinen innenpolitischen Problemen abzulenken, so etwa bei den kürzlich verhängten Zöllen gegen Argentinien und Brasilien. Mit der systematischen Entmachtung der ihm verhassten Welthandelsorganisation (WTO) haben Trumps protektionistische und unilaterale Bestrebungen aber einen neuen Höhepunkt erreicht.Die Berufungsinstanz im Streitschlichtungsverfahren der WTO ist ab sofort nicht mehr funktionsfähig, weil die Blockadehaltung Washingtons das Schiedsgremium von sieben auf zwei Richter schrumpfen ließ und rechtsverbindliche Entscheidungen ein Minimum von drei Ratsmitgliedern voraussetzen. Diese Entwicklung, die sich über Jahre erstreckt hat, ist Wasser auf die Mühlen des Präsidenten und seiner Berater.Das faktische Fehlen eines Berufungsgremiums leistet nämlich einer Verschärfung protektionistischer Tendenzen rund um den Erdball Vorschub. Zu Recht befürchten Experten, dass einzelne Länder WTO-Beschlüsse, die in erster Instanz natürlich weiterhin getroffen werden können, mit Füßen treten werden. Damit ist die 24 Jahre alte Handelsorganisation – ähnlich wie die Vereinten Nationen – zu einem zahnlosen bürokratischen Koloss degradiert worden. Die USA, China und andere Länder werden Entscheidungen, die ihnen nicht ins Konzept passen, schulterzuckend zur Kenntnis nehmen und sich über diese einfach hinwegsetzen. Berechtigte KritikTrumps Kritik an der WTO ist teilweise durchaus fundiert. Wie auch andere Gegner des multilateralen Gremiums bemängelt die US-Regierung, dass Entscheidungen des Berufungsgerichts zu lange dauerten und die rechtliche Ausgangslage der einzelnen Länder ignorierten. Auch führen Kritiker ins Feld, dass bei Berufungen bestehende WTO-Regeln gelegentlich verbogen und völlig neu ausgelegt werden.Was die gesamtwirtschaftlichen Folgen anbetrifft, ist das Ende der Berufungsmöglichkeit ebenso wie Trumps protektionistische Handelspolitik ein zweischneidiges Schwert. Immer wieder prahlt der Präsident mit zwei- und dreistelligen Milliardenbeträgen, die seine flächendeckenden Stahl- und Aluminiumzölle ebenso wie andere Abgaben, mit denen Importe aus China überzogen werden, in die US-Staatskasse spülen. Verschwiegen wird natürlich die Schattenseite: Die Zölle führen zu Störungen in globalen Lieferketten, schaden diversen Industrien in den USA und Übersee und haben in einigen Branchen zu Massenentlassungen sowie Werksstilllegungen geführt.Ähnlich verhält es sich mit der Entmachtung der WTO. So fehlt Handelspartnern der USA nun bei Entscheidungen, die gegen sie gefällt wurden, die Möglichkeit, wirksam Einspruch zu erheben. Dazu zählt ein Beschluss vom November, wonach den USA 7,5 Mrd. Dollar zuerkannt wurden wegen europäischer Subventionen für die Airbus-Industrie, die laut WTO regelwidrig und wettbewerbsverzerrend waren.Auch scheint Trump der Inhalt jener Studien fremd zu sein, die seinen Namen tragen. So stellte der offizielle Wirtschaftsbericht des Präsidenten 2018 fest, dass in 85,7 % der Fälle, in denen die USA in Genf Beschwerden eingereicht hat, die WTO im Sinne Washingtons entschieden hat. Das liegt knapp über dem Durchschnittswert für alle Mitgliedsländer, aber deutlich über jenen 66,7 % der Fälle, in denen sich Peking bisher hat durchsetzen können. Rückschlag für Globalisierung Die Kehrseite der Medaille, am Beispiel der US-chinesischen Handelsbeziehungen gemessen, ist folgende: Die WTO erkannte Peking das Recht zu, 3,6 Mrd. Dollar gegen Einfuhren aus den USA zu verhängen, weil die Regierung in Washington Antidumpingregeln der Handelsorganisation schlicht ignoriert hatte. Trump und sein Handelsbeauftragter Robert Lighthizer haben nun ebenfalls keine Möglichkeit, gegen die von Genf abgesegneten Sanktionen, die mit dem Etikett “WTO approved” versehen sind, Beschwerde einzulegen. Die globalen Folgen gehen aber weit über einzelne, punktuelle Streitpunkte hinaus. Zur Debatte steht nämlich die Zukunft der Globalisierung sowie eines mehr oder weniger einheitlichen globalen Handelssystems. Dessen Aussichten erscheinen ausgesprochen düster. Carla Hills, die US-Handelsbeauftragte unter Präsident George H. W. Bush war, als die WTO gegründet wurde nennt die jüngsten Entwicklungen “einen vernichtenden Schlag für die WTO”.Hills stellt fest, dass andere multilaterale Vereinbarungen zunehmend an die Stelle der globalen Organisation getreten sind. Etwa das transpazifische Freihandelsabkommen TPP, welches auch ohne die USA weiterhin Bestand hat, oder die in Vorbereitung befindliche asiatische Handelspartnerschaft RCEP. So oder so ist unwahrscheinlich, dass Trump Drohungen wahr machen wird, aus der WTO auszutreten.Ein solcher Schritt bedürfte einerseits der Zustimmung durch den Kongress. Er würde aber zugleich bedeuten, dass die USA nicht mehr in den Genuss der Meistbegünstigungsklausel kämen. Ob aber mit oder ohne die USA, die Tage der WTO als politisch potente, multilaterale Organisation dürften endgültig der Vergangenheit angehören.