EBRD senkt Wachstumsprognose für die Türkei

Osteuropabank richtet Blick nach Südosten - Libanon bald fünftes Förderland aus Nahost und Nordafrika

EBRD senkt Wachstumsprognose für die Türkei

hip London – Die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) hat ihre Schätzungen für das Wirtschaftswachstum in der Türkei gesenkt. Für das laufende Jahr rechnen die Volkswirte des auch Osteuropabank genannten Instituts nur noch mit einem Plus von 2,6 %. Im November hatten sie noch 3,0 % auf der Rechnung. Für 2018 haben sie wieder ein Wachstum von 3,0 % angesetzt. Die Prognosen wurden auf der Jahrestagung der Bank vorgestellt, die erstmals im östlichen Mittelmeer stattfand: in Nikosia, der seit der türkischen Invasion 1974 geteilten Hauptstadt Zyperns.”Zypern ist ein wichtiges Tor zur neuesten Region, in der die EBRD tätig ist, und die wir SEMED nennen”, sagte der Präsident der Bank, Suma Chakrabarti. Mit der “südlichen und östlichen Mittelmeerregion”, für die das Kürzel steht, sind der Nahe Osten und Nordafrika gemeint. “Dass wir heute hier sind, unterstreicht unser enthusiastisches Engagement für diesen dynamischen und vielfältigen Teil der Welt.” Das vor 26 Jahren gegründete Institut sollte ursprünglich die ehemals kommunistisch regierten Staaten des Ostblocks beim Aufbau von Marktwirtschaften und Mehrparteiensystemen unterstützen. Sie hat ihren Tätigkeitsbereich in den vergangenen Jahren stark ausgeweitet. Seit 2009 wurden insgesamt 9,2 Mrd. Euro in 221 Projekte in der Türkei investiert. Business as usualDie Förderbank betreibt dort seit dem gescheiterten Putschversuch von Teilen des Militärs im Sommer vergangenen Jahres Business as usual. Die Mobilisierung der Straße gegen Andersdenkende durch Präsident Recep Tayyip Erdogan, die politischen Säuberungen, Massenverhaftungen und die drohende Wiedereinführung der Todesstrafe spielen dabei keine Rolle. Unter den Empfängern von EBRD-Krediten in der Türkei finden sich bekannte Namen wie der Nutzfahrzeughersteller Ford Otosan. Die Bank arbeitet seit sieben Jahren mit der Tochter des US-Konzerns zusammen.Im vergangenen Jahr hat sich das Wachstum in dem vorderasiatischen Land mehr als halbiert – von 6,1 % auf 2,9 %. Eine Erhöhung des Mindestlohns um 30 % im Januar 2016 habe zwar zu einem Anstieg des privaten Verbrauchs geführt. Das Wachstum habe jedoch unter einem scharfen Rückgang der Tourismuseinnahmen, Sanktionen Russlands und “geopolitischen Spannungen” im Nahen Osten gelitten – gemeint ist wohl der seit Jahren im Nachbarland Syrien tobende Bürgerkrieg. Der Putschversuch habe zu schwächerem Konsum und geringeren Investitionen geführt, was auch die Lira geschwächt habe. Nun drücke die Herunterstufung des Länderratings auf Ramsch auf die Stimmung der Investoren.Auch in den von der EBRD bearbeiteten Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas überschätzten die Ökonomen die Wachstumsdynamik. Den Angaben auf der Website zufolge wurden dort bislang 4,7 Mrd. Euro investiert: in Ägypten (2,3 Mrd. Euro, 44 Projekte), Jordanien (0,9 Mrd. Euro, 30 Projekte), Marokko (1,2 Mrd. Euro, 30 Projekte) und Tunesien (0,3 Mrd. Euro, 24 Projekte). Der Libanon dürfte bald als fünftes Förderland hinzukommen. Vertreter des tief gespaltenen Landes, das einst als “Schweiz des Nahen Ostens” galt, nahmen an der Jahrestagung bereits teil. Für das laufende Jahr rechnen die Volkswirte der Bank in der Region nur noch mit 3,7 % Wachstum. Im November hatten sie noch 4,0 % angesetzt. Sie führen die Verlangsamung des Wachstums auf 3,4 % im vergangenen Jahr auf die hohe Inflation in Ägypten, rückläufige Tourismuseinnahmen in Jordanien, eine schwache Ernte in Marokko und die Verzögerung von Reformen in Tunesien zurück. Im kommenden Jahr soll es dann wieder bei 4 % liegen, weil sich die landwirtschaftliche Produktion stabilisiere und Ägypten an Wettbewerbsfähigkeit gewinne. Der Krieg gegen den Islamischen Staat wird mit keinem Wort erwähnt.