IM INTERVIEW: NORBERT WALTER-BORJANS

"Ehrlichkeit muss belohnt werden"

Der NRW-Finanzminister über aggressive Steuervermeidung und die Versuche der EU, sie einzudämmen

"Ehrlichkeit muss belohnt werden"

– Die EU hat im Kampf gegen Steuerhinterziehung und aggressive Steuervermeidung in den vergangenen Monaten vieles vorgeschlagen und beschlossen. Hat sich dadurch tatsächlich etwas verändert?Schon allein, dass darüber diskutiert und verhandelt wird, ist ein Fortschritt nach Jahrzehnten des Nichtstuns. Wenn man sich aber die Kreativität derer anschaut, die in den vergangenen Jahren Umgehungsmodelle entwickelt haben, und wenn man die Beharrlichkeit sieht, mit der einzelne Staaten das für sich gewinnbringend nutzen, darf man nicht zu sehr in Euphorie verfallen. Wer nicht skeptisch bleibt, der macht einen großen Fehler.- Also sind die vielen Maßnahmen der EU nur viel Lärm um nichts?Nein. Es hat sich schon Einiges verändert. Die Rhetorik hat sich komplett geändert. Nationale Finanzpolitiker können zum Beispiel nicht mehr aktiv zu Modellen stehen, die es in der Vergangenheit Unternehmen einfacher gemacht haben, Steuern zu umgehen. Das lässt sich den Bürgern nicht mehr positiv als Steuerwettbewerb verkaufen. Denn die öffentliche Meinung hat sich geändert.- Und sehen Sie denn auch materiell Fortschritte?Es ist eine Menge passiert, was man nicht für möglich gehalten hätte. Ich denke an den automatischen Informationsaustausch über Zinseinkünfte und insbesondere die Behandlung von Stiftungen. Oder den Austausch über Steuervorbescheide von Unternehmen. Oder auch die Fortschritte auf dem Weg hin zu einer länderbezogenen Berichtspflicht von Firmen – ungeachtet dessen, dass noch ein langer steiniger Weg vor uns liegt.- Sie spielen auf den jüngsten Vorschlag der EU-Kommission für die Neufassung einer Richtlinie an, die die Offenlegung länderspezifischer Daten gegenüber Steuerbehörden vorsieht?Ja. Ich habe diese Idee schon vor langer Zeit gegen vielerlei Bedenken verteidigt. Denn wenn man Gerechtigkeit ernst nimmt, muss man in Kauf nehmen, dass das für den eigenen Staat an einzelnen Stellen auch mal ein geringeres Steueraufkommen bedeuten kann. Denn was wir in Deutschland zu Lasten von anderen Staaten, etwa von Schwellenländern, einnehmen, muss dann auch auf den Prüfstand. Wer mit Gerechtigkeit immer nur den eigenen Vorteil zu Lasten anderer versteht, hat etwas missverstanden.- Ist es denn ausreichend, dass Unternehmen nur gegenüber Behörden auf Länderbasis berichten – und nicht auch gegenüber der Öffentlichkeit?Ich glaube, dass es schon ein großer Fortschritt wäre, wenn die länderbezogene Berichtspflicht gegenüber Behörden umgesetzt würde. Dass Unternehmen ihre Wettbewerber nicht in die Karten gucken lassen wollen, ist doch absolut legitim. Die klare Zuweisung von Verantwortung liegt dann aber bei den Unternehmen und den Finanzbehörden. Wenn sie diese Verantwortung nicht wahrnehmen, dürfen sie sich nicht über Whistleblower und öffentlichen Wirbel wundern.- Aber was spricht denn gegen eine allgemeine Offenlegung?Ich halte viel von Transparenz, aber ich halte auch viel vom Steuergeheimnis. Die Frage ist doch stets, wie viele sensible Daten ein Unternehmen preisgeben muss. Und da bin ich jemand, der sagt, das muss für die Unternehmen, die im Wettbewerb stehen, zumutbar bleiben. Einer verantwortungsvollen Kontrollinstanz dürfen sie sich aber nicht entziehen. Also, so viel Transparenz wie möglich – aber unter Beachtung von Grenzen, die man respektieren muss.- Sie finden also, dass die Wirtschaft ein Argument hat, wenn sie sich bei der Ablehnung des Country-by-Country-Reporting auf die Wahrung von Geschäftsgeheimnissen beruft?In dem Punkt: ja. Es gibt sensible Daten, deren Offenlegung nicht zumutbar ist.- Wie wichtig ist Ihrer Ansicht nach, dass die EU beim Vorhaben einer gemeinsamen Bemessungsgrundlage für die Körperschaftsteuer vorankommt?Natürlich finde ich es wichtig, die Bemessungsgrundlagen so weit wie möglich anzugleichen. Denn hinter den Unterschieden verbirgt sich eine Menge versteckter Beihilfen oder auch schädliches Steuerdumping. Deshalb: Auch wenn die Erfahrungen im Lauf des bisherigen Gesetzgebungsverfahrens zeigen, dass man nicht allzu optimistisch sein darf, muss man am Ball bleiben.- Ist Deutschland ein Motor im Kampf gegen aggressive Steuervermeidung?Der wichtigste Motor war der Bewusstseinswandel in unserer Bevölkerung. Lange war ja die Praxis in Nordrhein-Westfalen, Datenträger mit Informationen über mutmaßliche Steuerhinterziehung auszuwerten, mit einem Schmuddelkind-Image belegt. Bis man gemerkt hat, dass die Menschen im Land das ganz anders sehen und unserer Steuerfahndung den Rücken gestärkt haben.- Ziehen Bund und Länder an einem Strang?Es gibt gemeinsames Handeln auf vielen Feldern. Das gilt aber vor allem für den Bundesfinanzminister, weniger für alle Teile seiner Fraktion. Das Land Nordrhein-Westfalen hat einige Änderungen für mehr Steuergerechtigkeit angestoßen – und der Bund ebenfalls. Aber zugleich ist erkennbar, dass wir Bedenkenträgern begegnen, denen es darum geht, die Verfahren in die Länge zu ziehen – aktuell zum Beispiel bei dem Versuch, Steuerhinterziehung durch manipulierte Ladenkassen das Wasser abzugraben.- Warum hat sich das Bewusstsein in der Bevölkerung gewandelt?Weil die Bürger wissen, dass es mit der Schuldenbremse nicht mehr das Ventil zusätzlicher Kreditaufnahme gibt. Das bedeutet: Was von anderen zur Seite geschafft wird, fehlt der Allgemeinheit für die Reparatur maroder Straßen, für das Bildungssystem und so weiter. Den Bürgern ist klar geworden: Der Steuerbetrüger betrügt nicht irgendwen, sondern uns.- Gibt es Indizien, dass die Unternehmen aus Sorge vor Imageschäden umsteuern?Für Firmen wie auch für Finanzpolitiker gilt: Eine Rhetorik wie früher kann man sich nicht mehr leisten. Die entscheidende Frage aber ist: Was steckt dahinter? Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass Unternehmen ihr Verhalten ändern. Das Unanständige muss unwirtschaftlich, ehrliches Verhalten muss belohnt werden. Auf dem Weg haben wir schon einiges erreicht – zum Beispiel kommt derjenige, der erst mit einer Selbstanzeige zur Steuerehrlichkeit zurückkommt, nicht mehr günstiger weg als Bürger und Bürgerinnen, die von vornherein korrekt die Steuern erklären.- Werden Sie auch in Zukunft CDs mit Informationen über Steuersünder kaufen?Wenn alle diese Ankündigungen, Vereinbarungen und Versprechen zum Datenaustausch eingehalten werden, dann brauchen wir über die Frage, ob ich noch einen Datenträger erwerben will, überhaupt nicht mehr zu reden. Denn dann sind da keine neuen Erkenntnisse drauf. Aber andersherum: Sollten dennoch neue Erkenntnisse drauf sein, dann scheint es beim Informationsaustausch irgendwo eine Lücke zu geben. Da fallen dann wohl Reden und Tun noch auseinander.- Was halten Sie von einer Deckelung des Betrags bei Barzahlungen – auch aus Gründen der Bekämpfung von Steuerhinterziehung?Nordrhein-Westfalen hat schon sehr lange eine klare Position. Ich war im vorigen Jahr mit Vertretern von Banken und Sparkassen unterwegs und habe in einem Pressegespräch erklärt, dass man sich sowohl dem Thema 500-Euro-Schein als auch dem Thema Barzahlung bei hohen Summen widmen muss. Dabei sollte aber berücksichtigt werden, dass die Verbundenheit der Deutschen mit dem Bargeld hoch ist. Man könne, so war damals mein Hinweis, nicht einfach Schwellenwerte, die anderswo gelten, übertragen. Die müssten in Deutschland schon um ein Vielfaches höher liegen. Ich habe damals beispielsweise 3 000 Euro zur Diskussion gestellt.- Wie war die Reaktion?Es gab eine Welle der Empörung – und zwar auf der Grundlage einer absolut unzutreffenden Unterstellung, ich wolle das Bargeld abschaffen. Das ist völliger Unsinn, aber die Behauptung ist wohl nötig, um einen vernünftigen Vorschlag zu diskreditieren, der den normalen Zahlungsverkehr so gut wie gar nicht berührt. Sie können ja ruhig 50 000 Euro unter dem Kopfkissen haben. Aber wenn sie etwas für 7 000 Euro kaufen, sollten Sie das Geld überweisen müssen, so wie das die ganz überwiegende Mehrheit der Ehrlichen tut, ein großer Teil derer, die ihr Geld mit Geldwäsche, Erpressung und Terrorismus überwiegend bar verschieben, aber eben nicht. Mit einer Überweisungspflicht für hohe Beträge könnten wir Steuerhinterziehung und andere Machenschaften wirksam bekämpfen. Die Reaktionen im Nachgang, die auf der falschen Wahrnehmung des Vorschlags beruhten, waren heftig.- Und wie ist nun Ihre Position in der aktuellen, von der Bundesregierung angestoßenen Debatte?Jetzt, da das von Wolfgang Schäuble aufgenommen wurde, habe ich das selbstredend positiv begleitet. Dabei bin ich offen für jede Diskussion, bei der eine bestimmte Grenze des Anstands nicht unterschritten wird.—-Das Interview führte Detlef Fechtner.