ANSICHTSSACHE

Eigentümer sind die besseren Aufsichtsräte

Börsen-Zeitung, 5.4.2013 "An allem Unfug, der passiert, sind nicht etwa nur die schuld, die ihn tun, sondern auch die, die ihn nicht verhindern." Dies hat uns Erich Kästner gelehrt. Und so wundert es nicht, dass bei Managementversagen und...

Eigentümer sind die besseren Aufsichtsräte

“An allem Unfug, der passiert, sind nicht etwa nur die schuld, die ihn tun, sondern auch die, die ihn nicht verhindern.” Dies hat uns Erich Kästner gelehrt. Und so wundert es nicht, dass bei Managementversagen und Unternehmenskrisen zunehmend die Aufsichtsräte in den Fokus geraten. Hier ist der Ruf nach besserer Qualifikation einerseits und mehr Verantwortung und damit auch höherer Haftung andererseits zunehmend lauter.Offenbar zu Recht: Aufsichtsräte haben die jüngsten Krisen nicht verhindert; sie in manchen Fällen sogar fahrlässig begünstigt. Gerade weil die Anforderungen zunehmend komplexer werden, ist unser Wirtschaftssystem auf professionelle und engagierte Aufsichtsräte angewiesen. Was es nicht braucht, sind “Abnickrunden”, deren Mitglieder ihren Posten als schmückendes Ehrenamt ohne gelebte Verantwortung empfinden.Heute scheinen sich die Aufsichtsräte ihrer Verantwortung weitgehend bewusst zu sein und bereit, ihr gerecht zu werden. Ein Indiz dafür: Die Frequenz und die Länge der Sitzungen von Aufsichtsräten und ihrer Gremien haben deutlich zugenommen. Dennoch leidet die Arbeit in vielen Fällen weiterhin – und die Gründe sind pathologisch. Passivität, mangelnde Diskussionskultur und erratisches Wechseln zwischen unterschiedlichen Abstraktionsebenen führen letztlich zu einer mangelhaften Durchdringung der jeweiligen Beschlussvorlage. Insofern ist die Professionalisierung der Aufsichtsratsarbeit nach wie vor wichtig. Schade allerdings, dass dabei bislang fast nur an organisatorischen, regulatorischen und sanktionierenden Stellschrauben gedreht wird.So schreibt das BilMoG seit einiger Zeit – zu Recht – einen “Financial Expert” im Aufsichtsrat vor. Allerdings greift die Annahme, dieser allein könne wirtschaftliche Fehlentwicklungen im Unternehmen stoppen, zu kurz. Mindestens ebenso wichtig ist das tiefgreifende Verständnis des Geschäftsmodells, des Wettbewerbs und des regulativen Umfelds. Nur so lassen sich die unternehmerischen Risiken zutreffend einschätzen. “Cooling-off” sinnvollAuch ein “Cooling-off” für Vorstände ist grundsätzlich sinnvoll. Denn das Verbot, vor einer Frist von zwei Jahren vom Management- ins Kontrollgremium zu wechseln, stärkt die Unabhängigkeit der Aufsichtsräte. Gleichzeitig kann es aber auch zum spürbaren Kompetenzverlust auf der Anteilseignerseite führen. Ohnehin ist fraglich, ob eine heterogene Zusammensetzung allein dem Gremium “die zur ordnungsgemäßen Wahrnehmung der Aufgaben erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und fachlichen Erfahrungen” verschafft. Ein Mix aus CEO-Erfahrung, Bilanzierungskenntnissen, internationaler Herkunft und Frauenquote ergibt eben noch keinen funktionierenden Aufsichtsrat. Stattdessen muss zuallererst Klarheit über die Aufgaben eines Aufsichtsrats herrschen. Natürlich soll das Gremium den Vorstand kontrollieren. Der Aufsichtsrat ist aber auch daran zu messen, ob er in der Lage ist, das Management mit Rat (und Tat) zu begleiten. Sicherlich ein Unterfangen, das sich nicht per Dekret verordnen lässt. Woran fehlt es also?Fokus: Auf der Arbeitnehmerseite befinden sich Mitarbeiter oder zumindest Vertreter einer Gewerkschaft, die sich die Interessen der Belegschaft auf die Fahne geschrieben haben. In ihrem Sinne argumentieren sie ebenso konsistent wie nachvollziehbar. Ein solches gemeinsames Selbstverständnis fehlt den Repräsentanten der Anteilseigner.Verständnis: Vertreter der Anteilseigner haben oft nur eine oberflächliche Außensicht auf das Unternehmen, während die Arbeitnehmervertreter detailliert über Unternehmensabläufe, Produkte, Arbeitsplatzsorgen informiert sind. Ihr Rat scheint damit oft legitimierter und wertschaffender als der der Kapitalseite.Verbundenheit: Viele Aufsichtsräte besitzen – obwohl sie die Interessen der Anteilseigner vertreten sollen – überhaupt keine Anteile am Unternehmen. Eindringtiefe und Stringenz der Argumente in der Diskussion lassen daher oft zu wünschen übrig. Es fehlt schlicht an Betroffenheit – und so werden strategische Entscheidungen, Dividendenbeschlüsse oder die Besetzung von Vorstandsposten unter Umständen mit leichter Hand “durchgewinkt”.Gute Unternehmensführung braucht einen Aufsichtsrat, der die Stakeholder-Interessen bündelt – und zwar so, dass die Geschäftsleitung echte Hilfestellung bei der Abwägung unternehmerischer Alternativen erhält. Nur so ist nachhaltige Wertschaffung möglich. Die Langfristigkeit dieser Entscheidungen verlangt jedoch, dass auch der Aufsichtsrat eine Perspektive jenseits tagesaktueller opportunistischer Erwägungen einnimmt. Anteilseignervertreter ohne Anteile sind nur eingeschränkt legitimiert. Denn Eigentümer denken schon aus eigenem Interesse in größeren, ganzheitlichen Zusammenhängen, anstatt kurzfristige Kurssteigerungen zu forcieren.Zu beobachten ist dies in Familienunternehmen. Die persönliche Verbundenheit mit dem vom Vorstand gemanagten Produktivvermögen erzeugt gleichgerichtete unternehmerische Ziele, eine hohe inhaltliche Qualität der Diskussionen und eine persönliche Betroffenheit bei allen relevanten Entscheidungen. Vor diesem Hintergrund ausgeübte Aufsicht ist Garant für eine Ernsthaftigkeit der Unternehmensführung, wie sie in Publikumsgesellschaften nicht immer festzustellen ist.Erstaunlicherweise sieht jedoch keiner der gegenwärtigen Regulierungsansätze zur Verbesserung der Corporate Governance vor, die Eigentümerperspektive zu stärken. Dabei gibt es dafür erprobte Wege. Zum Beispiel die (teilweise) Entlohnung von Aufsichtsräten mit Unternehmensanteilen, die für die Dauer des Mandats gesperrt sind. Diese Lösung wird im Ausland erfolgreich eingesetzt, um auf Seite der Anteilseignervertreter einen Perspektivwechsel zu erzeugen. Warum sollte das nicht auch in Deutschland möglich sein? So kann mit Sicherheit nicht jeder Unfug verhindert werden. Aber der Anfang wäre gemacht.—-Stephan Gemkow ist Vorstandsvorsitzender von Haniel. In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.——–Von Stephan Gemkow ——-Die fehlende Betroffenheit der Aufsichtsräte führt dazu, dass Entscheidungen vielfach mit leichter Hand “durchgewinkt” werden.