VON DER IWF-FRÜHJAHRSTAGUNG - IM GESPRÄCH: ANDREAS DOMBRET

"Ein Brexit wäre ein großes Risiko"

Der Bundesbankvorstand warnt vor Folgen eines EU-Ausstiegs Großbritanniens - Finanzplatz London betroffen - Sorgen vor neuem "Lehman-Moment" überzogen

"Ein Brexit wäre ein großes Risiko"

Am Wochenende haben sich die inzwischen 189 IWF-Mitglieder in Washington getroffen, um über die Lage der Weltwirtschaft, das globale Finanzsystem und die Zukunft des Fonds selbst zu beraten. Danach sprach Bundesbankvorstand Andreas Dombret mit der Börsen-Zeitung über einige zentrale Themen der Treffen.Von Mark Schrörs, zzt. Washington Bundesbankvorstandsmitglied Andreas Dombret hat vor enormen Gefahren bei einem möglichen Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union (Brexit) gewarnt – für Großbritannien und Europa, aber auch weltweit. “Ein Austritt Großbritanniens aus der EU wäre ein großes Risiko”, sagte Dombret der Börsen-Zeitung nach der IWF-Frühjahrstagung am Wochenende in Washington: “Natürlich hätte das auch massive Auswirkungen für andere EU-Länder – und damit wegen des Gewichts Europas auch für die Welt und für die Weltwirtschaft.” Dombret hofft sehr darauf, dass sich die Briten für den Verbleib entscheiden: “Ein Brexit wäre äußerst bedauerlich.”Die Aussagen Dombrets zeigen die wachsende Besorgnis der politischen, wirtschaftlichen und finanziellen Elite über einen drohenden Brexit. Bei dem Treffen in Washington hatte der Internationale Währungsfonds (IWF) erklärt, ein Ausstieg sei eine reale Option und dieser könne “erheblichen regionalen und globalen Schaden” anrichten. Auch die G 20-Staaten hatten nach ihren Beratungen in der US-Kapitale die Sorge geäußert, dass der “Schock” eines Austritts die weltwirtschaftliche Lage weiter verschlechtern könne (vgl. BZ vom 16. April). Briten gespaltenDie Briten entscheiden am 23. Juni, ob sie in der EU bleiben wollen oder austreten. Die Frage spaltet das Volk und ein Votum gegen die EU scheint keineswegs mehr ausgeschlossen. Ein möglicher Brexit dürfte auch Thema bei dem Besuch von US-Präsident Barack Obama Ende der Woche in Großbritannien sein. Vor dem Besuch hatten Obama-Vertraute klar gemacht, dass die USA einen Verbleib in der EU befürworten.Dombret warnte nun, die Folgen eines Brexits seien letztlich unkalkulierbar: “Niemand kann genau vorhersagen, was dann passieren würde.” Ein Ausstieg hätte aber “sicher vor allem weitreichende Folgen für Großbritannien selbst”, sagte er. Im Blick hat der Notenbanker, der im Bundesbankvorstand nicht nur für IWF-Fragen, sondern vor allem auch für die Bankenaufsicht zuständig ist, auch mögliche Konsequenzen für das Finanzzentrum London. “Ein Austritt Großbritanniens bliebe nicht ohne Folgen für den Finanzplatz London”, sagte er und nannte ein Beispiel: “Im Euroraum ist es schon immer kritisch gesehen worden, dass ein derart starker Handel im Euro und mit Euro-Papieren außerhalb der Währungsunion stattfindet. Wenn London auch nicht mehr Teil der EU wäre, wäre das noch problematischer.”Vor wenigen Tagen hatte auch Deutsche-Bank-Chef John Cryan gesagt, London werde bei einem Brexit seine starke Position als wichtigster Standort für den Handel mit europäischen Staatsanleihen und Währungen, verlieren. Die Frage eines Brexit und der Folgen für London spielt auch hinein in die Debatte über den geplanten Zusammenschluss der Deutschen Börse und der London Stock Exchange (LSE). Deutsche-Börse-Chef Casten Kengeter allerdings betont stets, ein Brexit würde die Fusion nicht zu Fall bringen.Dombret sieht aber auch über Großbritannien hinaus erhebliche Konsequenzen – für Europa und auch weltweit. Grund seien etwa die enormen Handelsverflechtungen zwischen der Insel und dem europäischen Festland. Bundesbankpräsident Jens Weidmann hatte zudem unlängst in einem Interview gesagt, bereits die Unsicherheit über den Ausgang des Referendums verstärke die Investitionszurückhaltung der Unternehmen. Da Europa eine große Rolle für die Weltwirtschaft spiele, drohten bei einem Brexit auch globale Auswirkungen, sagte Dombret.In der Bundesbank gibt es auch Überlegungen, dass ein Brexit die Stimmung gegen mehr Integration in Europa verstärken könnte. Weidmann hatte dazu gesagt, in einer globalisierten Welt sei die richtige Antwort auf Herausforderungen nicht Fragmentierung. Vielmehr seien gemeinsame Lösungen nötig – auch wenn das nicht heißen müsse, alles zu zentralisieren. “Großbritannien profitiert von Europa, und Europa profitiert von Großbritannien”, sagte nun Dombret: “Nicht zuletzt Deutschland würde bei einem Brexit einen wichtigen Partner und Verbündeten verlieren.” Deswegen fügte er auch hinzu: “Ich hoffe sehr, dass Großbritannien in der EU bleibt.”Dombret deutete aber indirekt an, dass die Finanzaufseher Druck auf Banken und andere Finanzinstitute machen werden, damit sich diese für alle Eventualitäten wappen: “Gehen Sie fest davon aus, dass wir als Aufseher unserer Verantwortung gerecht werden, damit es am 24. Juni keine böse Überraschungen gibt.” Nach Einschätzung einiger Experten sind solche Vorbereitungen indes noch nicht ausreichend gediehen.Wenngleich es Risiken wie den Brexit oder auch das mäßige weltwirtschaftliche Wachstum gebe, trat Dombret aber entschieden Einschätzungen entgegen, die Welt stehe vor einer neuen globalen Finanzkrise. “Wir erleben aktuell ganz sicher keinen neuen Lehman-Moment”, sagte er mit Blick auf die Pleite der US-Investmentbank im Jahr 2008: “Wir stehen nicht vor einer neuen Mega-Finanzkrise.” Den vor der Tagung vorgelegten IWF-Finanzstabilitätsbericht mit den darin enthaltenen Warnungen hatten einige Beobachter in diese Richtung interpretiert. Blick geht gen ChinaDombret sagte, der Bericht des IWF sei sicher auch vor dem Hintergrund der extremen Volatilität an den Finanzmärkten im Februar entstanden. “Die hat damals viele überrascht und verunsichert.” Er betonte aber, die Lage an den Märkten habe sich seitdem “deutlich beruhigt”: “Niemand kann sagen, was in sechs oder sieben Jahren ist. China beispielsweise erlebt gerade einen beispiellosen Transformationsprozess. Aber Warnungen vor einer neuen Mega-Finanzkrise sind übertrieben: Da sind wir ganz sicher nicht.”Auch Investorenlegende George Soros hat Parallelen zu 2008 und Lehman gezogen. Dombret hält davon nichts: 2008 habe die Lehman-Krise die gesamte Finanzindustrie mit nach unten gerissen und das habe die Realwirtschaft in die Rezession gestürzt. “Heute ist die Situation eine andere: Die Realwirtschaft schwächelt und die Finanzindustrie hat in der Phase hoher Volatilität überreagiert”, sagte er. Die Weltwirtschaft sei zwar “in keiner glorreichen Verfassung”. Es gebe aber “keinesfalls eine harte Landung der Weltwirtschaft”. “Für alarmistische Stimmung gibt es keinen Grund”, sagte Dombret.Der Notenbanker räumte ein, dass es Probleme und Risiken gebe: das schwache Wachstum und die geringen Investitionen, die hohe Verschuldung. “Es ist aber auch eine Illusion zu glauben, dass man nur wieder genug Geld ins Schaufenster stellen muss, etwa über den IWF, und dann sind alle Probleme gelöst”, sagte er.Dombret begrüßte es, dass sich der IWF-Lenkungsausschuss IMFC am Wochenende in Washington hinter die deutsche Position gestellt habe, dass es keinen besonderen akuten Handlungsbedarf am globalen finanziellen Sicherheitsnetz zur Krisenprävention und -bekämpfung gebe. Darunter werden etwa die Ressourcen des IWF, regionale Sicherheitsmechanismen wie der Euro-Rettungsfonds ESM, Swaplinien zwischen den Zentralbanken und die nationalen Währungsreserven verstanden. “Das globale finanzielle Sicherheitsnetz bietet heute mehr Schutz als jemals zuvor”, sagte Dombret.Vor der Tagung hatte IWF-Chefin Christine Handlungsbedarf angemeldet. Der Fonds hält beispielsweise eine stärkere globale Kooperation der regionalen Instrumente für nötig und sähe sich offenbar gerne in der Rolle des Koordinators. Dahinter scheint aber auch eine Debatte über die Ressourcenausstattung und den Einfluss des Fonds bei der internationalen Krisenabwehr zu stecken.”Das globale finanzielle Sicherheitsnetz besteht aus unterschiedlichen Bestandteilen. Die kann man nicht alle in einen Topf werfen und fordern, dass nun alle kooperieren sollen und unter ein gemeinsames Dach, unter Führung des IWF gestellt werden”, sagte Dombret dazu. Mit Blick auf die Ressourcenausstattung des Fonds verwies er darauf, dass diese allein mit Blick auf die regulären Quoten und multilateralen, sogenannten Neuen Kreditvereinbarungen (NKV) recht komfortabel sei – auch im historischen Vergleich. Debatte über IWF-Mittel”Was die temporären bilateralen Kreditlinien von 2012 betrifft, muss der IWF mit den Kreditgebern darüber reden, wie es weitergeht: Werden sie erneuert? Werden sie eventuell teilweise oder ganz in die NKV überführt?”, betonte Dombret. Im Oktober läuft eine solche Kreditlinie der Bundesbank aus dem Jahr 2012 in Höhe von 41,5 Mrd. Euro aus. “Als Bundesbank gehen wir zunächst einmal davon aus, dass bilaterale Kreditzusagen, die unter besonderen Umständen für einen bestimmten Zeitraum vereinbart sind, dann auch auslaufen. Dann muss man schauen, was passiert.”Anders als bei den anderen Instrumenten hat Deutschland bei bilateralen Kreditlinien kaum Einfluss darauf, wie der IWF die Mittel konkret einsetzt. Das läuft dem Prinzip zuwider, dass die Bundesbank auch in der Eurozone stets hochhält: dass Haftung und Kontrolle in einer Hand liegen müssen. Zudem gibt es aber seit langem auch eine Diskussion, inwieweit nicht nur die Zentralbanken, sondern auch der IWF einen Ausstieg aus dem Krisenmodus finden muss. Der IWF dringt darauf, die aktuellen Mittel nicht zu reduzieren.”Wir sind manchmal kritische, aber immer verlässliche Partner des IWF, gerade auch in Krisenzeiten. Aber Krisenlösungen sind keine Dauerlösungen. Wenn die Krise dann vorbei ist, muss man schauen, welche andere Lösungen es gibt”, sagt Dombret: “Für uns ist zudem klar, dass wir den IWF als quotenbasierte Institution wollen – damit Haftung und Kontrolle in Einklang stehen.”