GASTBEITRAG

Ein Bürgerfonds für die europäischen Klimaziele

Börsen-Zeitung, 6.10.2020 Banken in der Eurozone hielten im Juli 2020 Kundeneinlagen in Höhe von über 14 Bill. Euro in ihren Bilanzen. Dieser Betrag übersteigt das jährliche Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Eurozone und entspricht 35 000 Euro pro...

Ein Bürgerfonds für die europäischen Klimaziele

Banken in der Eurozone hielten im Juli 2020 Kundeneinlagen in Höhe von über 14 Bill. Euro in ihren Bilanzen. Dieser Betrag übersteigt das jährliche Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Eurozone und entspricht 35 000 Euro pro Einwohner. Tendenz steigend. Die Banken tun sich schwer, diese Depositenflut gewinnbringend zu verwerten. Häufig sehen sie keine andere Möglichkeit, als Kundendepositen ihrerseits beim Eurosystem einzulegen. Die zum Teil negativ verzinsten Bankeinlagen bei der Europäischen Zentralbank (EZB) in Höhe von 2,65 Bill. Euro im Juli 2020 sprechen hierzu eine deutliche Sprache. Ein knappes Drittel hiervon entfällt allein auf deutsche Banken. Anfang des Jahres lag der entsprechende Wert “nur” bei 1,63 Bill. Euro.Mit anderen Worten: Eine gewaltige Summe von Bankeinlagen liegt ökonomisch brach. Sie erzielen für die Sparer nicht nur keine Rendite (zunehmend wird sogar ein “Verwahrungsentgelt” erhoben), sie erreichen darüber hinaus auch nicht die Realwirtschaft. Darüber hinaus belastet die Einlagenflut in einigen Fällen die Profitabilität des angeschlagenen europäischen Bankensektors. Diese unproduktiven Einlagen könnten im Sinne des Europäischen Green Deal in den Dienst der Transformation der Wirtschaft gestellt werden.Zum Vergleich: Die EU schätzt, dass zur Erreichung der Pariser Klimaziele bis 2030 jährlich 180 Mrd. Euro an Investitionen getätigt werden müssten. Davon sind wir heute noch weit entfernt. Die Europäische Kommission plant derzeit, die CO2-Emissionen in der Europäischen Union bis 2030 um 55 % gegenüber 1990 zurückzuführen (von bislang “nur” 40 %). Schlummernde Mittel Um diese ambitionierte Zielsetzung Realität werden zu lassen, bedarf es eines beispiellosen Investitionsschubs. Die öffentlichen Haushalte, ohnehin durch die Coronakrise gebeutelt, werden nur einen Teil der hierfür notwendigen Finanzierungsmittel bereitstellen können. Wie gezeigt schlummern die zur Finanzierung notwendigen Ersparnisse zu einem erheblichen Teil ertrag- und nutzlos in den Bankbilanzen. Diese Mittel müssen gehoben werden.Es braucht kreative Lösungsansätze. Beispielsweise könnte europaweit ein Transformations-Bürgerfonds aufgelegt werden, der ausschließlich nach zugrunde gelegten rigorosen Nachhaltigkeitsprinzipien investiert. Durch die anstehende flächendeckende Einführung der EU-Taxonomie wird hierfür eine wichtige operative Grundlage geschaffen.Für jeden Bürger könnte eine staatliche Kapitalgarantie von bis zu 100 000 Euro ausgesprochen werden, analog zur Praxis in den europäischen Einlagesicherungssystemen. Bürgerinnen und Bürger verlören also bis zu dieser Grenze keinen Cent, selbst wenn sich die zugrunde liegenden Projekte als verlustträchtig herausstellen sollten. Werden hingegen Gewinne erwirtschaftet, sollten diese steuerfrei ausgeschüttet werden, vergleichbar zum Muni-Anleihenmarkt in den USA. Weitere SteuereinnahmenUm Anreize zu bieten, Ersparnisse von unproduktiven Spareinlagen abzuziehen und in einen transformativen EU-Bürgerfonds umzuschichten, können die Mitgliedsstaaten weiterhin eine garantierte Minimalverzinsung bis hin zur 100 000-Euro-Grenze offerieren. Ein diesbezüglicher detaillierter Vorschlag wurde bereits vom Bundesdeutschen Arbeitskreis für Umweltbewusstes Management (B.A.U.M. e. V.) vorgelegt. Dessen exemplarische Berechnungen verdeutlichen, dass eine solche staatlich garantierte Garantieverzinsung ohne nennenswerte Opfer für die öffentliche Hand möglich ist. Je nach Design können die zusätzlichen Steuereinnahmen im Zuge der transformativen Investitionsoffensive sogar zu zusätzlichen Steuereinnahmen führen, durch welche die Zinsgarantie gedeckt würde.Über Riester-Renten etwa hat der Staat seit jeher versucht, die Vermögensbildung der Bevölkerung zu fördern, und er hat zu diesem Zweck auch viel Geld in die Hand genommen. Allerdings haben solche Initiativen bislang die in sie gesteckten Erwartungen nicht zu erfüllen vermocht. Allein die Riester-Rente lässt sich der Bund pro Jahr knapp 4 Mrd. Euro kosten. Bei einer Zinsgarantie von 2 % könnten damit bis zu 200 Mrd. Euro an Investitionen durch den Transformations-Bürgerfonds angeschoben werden.Der Transformations-Bürgerfonds hätte nicht nur den Vorteil, dass explizit Mittel für den neuen Markenkern der europäischen Politik (Green Deal) mobilisiert würden. Er würde Bürgerinnen und Bürger auch zu direkten “Stakeholdern” der sozial-ökologischen Transformation machen. Das hilft dabei, den notwendigen “Mind-shift” voranzubringen. Idealerweise würde ein solches Instrument auf der Ebene der EU aufgesetzt, nicht der Nationalstaaten. Denn damit würde der Bezug zur gesamteuropäischen Transformationsherausforderung verdeutlicht und die Bindung der Bevölkerung an die EU gestärkt. Ein stärkeres Band mit der EU, und sei es auch nur den mit Brüssel assoziierten Investitionserträgen geschuldet, wird dazu beitragen, antieuropäischen und populistischen Strömungen den Wind aus den Segeln zu nehmen, die allzu häufig die Notwendigkeit einer sozial-ökologischen Transformation insgesamt in Frage stellen. Aktionärskultur fördernZugleich können solche steuerlich geförderten Mechanismen dazu beitragen, die unterentwickelte Investment- und Aktionärskultur zu befördern. Aktiensparen ist hierzulande überwiegend noch immer eine Domäne vergleichsweise wohlhabender Bevölkerungsschichten. Nicht erst seit dem viel diskutierten Buch von Thomas Piketty (“Das Kapital im 21. Jahrhundert”) ist offenkundig, dass die höheren Erträge von Kapital gegenüber Sicht- und Termineinlagen, aber auch gegenüber dem Faktor Arbeit ein wirkungsmächtiger Treiber der wachsenden Vermögensungleichheiten sind. Gerade in Deutschland sind die Vermögensungleichheiten im internationalen Vergleich besonders ausgeprägt. Nach Daten des Global Wealth Report der Schweizer Großbank Credit Suisse weisen unter den Industrienationen nur die Vereinigten Staaten eine noch ausgeprägtere Vermögenskonzentration als Deutschland auf.Verteilungsgerechtigkeit sowie Umwelt- und Klimaschutz ließen sich durch einen solchen Fonds in symbiotischer Weise in Einklang bringen. Der Handlungsbedarf ist groß. Was bislang fehlte, waren innovative Strategien und der Wille zur Umsetzung. Seit dem Ausbruch der Coronakrise werden in hoher Schlagzahl Initiativen umgesetzt, die bis vor kurzem politisch undenkbar gewesen wären. Die Zeit ist deshalb reif, den hehren Zielen des Green Deal eine robuste finanzielle Grundlage zur Seite zu stellen. Maximilian Gege, Vorsitzender Bundesdeutscher Arbeitskreis für Umweltbewusstes Management (B.A.U.M.) e.V. und Moritz Kraemer, Mitglied der Initiative Neues Wirtschaftswunder für eine sozialökologische Transformation