Ein Hauch von Science Fiction bei der Bundesbank

Von Stefan Reccius, Frankfurt Börsen-Zeitung, 12.12.2020 "Stillstand passt nicht in eine sich ständig verändernde Welt", tönt eine Frauenstimme, beschwörend untermauert von einem Stakkato wummernder Bässe. Das Auge des Betrachters fliegt über die...

Ein Hauch von Science Fiction bei der Bundesbank

Von Stefan Reccius, Frankfurt”Stillstand passt nicht in eine sich ständig verändernde Welt”, tönt eine Frauenstimme, beschwörend untermauert von einem Stakkato wummernder Bässe. Das Auge des Betrachters fliegt über die Bankentürme in eine futuristisch anmutende Bürowelt. Ein Mann und eine Frau Ende zwanzig stecken die Köpfe über einem Tablet-Computer zusammen. Die Bässe wummern immer noch, Beteiligte sprechen Botschaften in die Kamera, in einem Anklang von Spiritualität ist von einem “Ort der Inspiration und Lernkultur” die Rede, und: “Neue Einflüsse von außen erfordern neue Stärken von innen”. Abspann. Kultur des ExperimentierensDie Bundesbank hat dick aufgetragen, als sie am Freitag zu einem virtuellen Rundgang durch das neue Innovationszentrum einlädt, das muss auch Bundesbank-Vorstand Joachim Wuermeling einräumen. Aber es ist ja auch nicht weniger als eine Revolution des Geld- und Zentralbankwesens, von dem dieser Ort im zehnten Stockwerk des Trianon-Hochhauses im Bankenviertel kündet: In einem Innovationszentrum will sich die altehrwürdige Bundesbank ins digitale Zeitalter aufmachen.Es geht, natürlich, um Grundlagenforschung für einen digitalen Euro, über dessen Einführung der EZB-Rat in einigen Monaten entscheiden will. Aber es geht um mehr. Wie hatte Wuermeling im Imagefilm durch die nervtötend weiter wummernden Bässe gesagt? Im “Innowerk” wolle man mittels künstlicher Intelligenz Risiken im Finanzsystem aufspüren, die Prozesse bei der Bankenaufsicht beschleunigen, das Bezahlsystem modernisieren.Der für Digitalisierung und Innovation zuständige Wuermeling denkt jedenfalls schon in Superlativen: Entstehen soll “der vielleicht virtuellste Ort in Frankfurt”. Das lasse sich die Bundesbank einen “niedrigen einstelligen Millionenbetrag” kosten. Auf 1 300 Quadratmetern Bürofläche stehen ab dem Frühjahr 67 Arbeitsplätze zur Verfügung, wobei die Bezeichnungen Bürofläche und Arbeitsplätze in diesem Fall so passend wirken wie Scheine und Münzen in Zeiten von Bitcoin, Blockchain und kontaktlosem Bezahlen.Mobiliar, das sich durch den Raum bewegen lässt, Wände, die Mitarbeiter beschriften können, riesige Monitore, die Videokonferenzen zum Kinoerlebnis machen: Hier weht ein Hauch von Science Fiction. “Hybrid und kreativ” soll es zugehen, eine “Kultur des Experimentierens” entstehen. Im Innowerk tüfteln bald Zentralbanker aus aller Welt und Dateningenieure gemeinsam am Finanzwesen der Zukunft, samt Einsatz und Erproben von Blockchain, Kryptografie und automatisierten Robotern, künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen.Für Wuermeling sind die Vorteile jeden Euro wert: Moderne Technologien könnten die Bundesbank in die Lage versetzen, Daten automatisch bei Banken einzusammeln, statt sich diese mühsam liefern zu lassen. “Das würde die Finanzstabilität einen Riesenschritt voranbringen, weil wir den Dingen nicht mehr monatelang hinterherlaufen”, schwärmte Wuermeling. Befürchtungen, die neuen Möglichkeiten könnten die Wächter über Währung und Finanzstabilität verführen, sich künftig gleich mit in die Cockpits der Bankentürme zu setzen, trat Wuermeling entgegen: “Das wollen wir nicht. Die Verantwortung für die Leitung einer Geschäftsbank liegt weiterhin vollumfänglich bei den Vorständen”, beteuerte er. Arbeit an digitalem EuroDas Herzstück des mit der Banque de France ins Leben gerufenen Zentrums ist der “Digital Innovation Space”, eine Art kleiner Kinosaal mit Sesselreihen und großformatigen Bildschirmen an allen Seitenwänden. Auch einen “Event Space” für bis zu 65 Besucher wird es geben, wo Zentralbanker netzwerken und Start-up-Unternehmer pitchen können, also ihre Ideen präsentieren – in etwa wie in der TV-Sendung “Die Höhle der Löwen”, nur dass hier Joachim Wuermeling überzeugt werden will und nicht Carsten Maschmeyer. Damit öffnete die Bundesbank sich auch für Fintechs: “Wir wollen von ihnen lernen und mit ihnen zusammenarbeiten”, sagte Karmela Holtgreve, Leiterin der Stabsstelle Digitalisierung. Zu den Auserwählten zählt das Start-up Neusinger, ein Spezialist für künstliche Intelligenz und Datenarchitektur in der Cloud. Die Frankfurter sollen helfen, die Datenschätze des Bundesbank zu heben.So sehr die Bundesbank im Innowerk auf das Tempo drückt: Die Einführung eines digitalen Euro, so der EZB-Rat dies beschließt, im Zeitraffer wird es nicht geben. Das sei wohl nicht unter vier Jahren zu machen, sagte Wuermelings Bundesbank-Kollege Dirk Schrade unlängst. Wuermeling sagte, man werde zu einem “Teil des Rückgrats der weltweiten Digitalisierung des Zentralbankwesens”. Selbstbewusst nimmt er für die Bundesbanker in Anspruch: “Wenn wir eines Tages einen digitalen Euro bekommen, dann wurden einige blitzgescheite Gedanken dafür an diesem Ort entwickelt.”——Mit einem Innovationszentrum brechen die Währungshüter in das digitale Zeitalter auf.——