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Ein Mann mit Prinzipien

Von Andreas Hippin, London Börsen-Zeitung, 23.2.2016 Boris Johnson (51) hat all diejenigen überrascht, die glaubten, dass sich der Londoner Bürgermeister aus Karriereerwägungen so schwer damit tut, klar Position zur Zukunft Großbritanniens in...

Ein Mann mit Prinzipien

Von Andreas Hippin, LondonBoris Johnson (51) hat all diejenigen überrascht, die glaubten, dass sich der Londoner Bürgermeister aus Karriereerwägungen so schwer damit tut, klar Position zur Zukunft Großbritanniens in Europa zu beziehen. Im Mai wird sein Nachfolger gewählt, er braucht also ganz dringend einen neuen Job. Dem Rechtsaußen der Tories, der von den meisten Bewohnern der britischen Metropole einfach nur Boris genannt wird, wurden Ambitionen auf das Außenministerium nachgesagt. Aber ganz so opportunistisch ist der gebürtige New Yorker nicht. Er sprach sich am Sonntag klar für einen Austritt des Landes aus der EU aus. Premierminister David Cameron, der wie Johnson dem exklusiven Bullingdon Club der Oxforder Universität angehörte, unterrichtete er kurz vor seinem Auftritt vor der Presse per SMS.Das sei nun wirklich nicht der Weg, um nach den Bürgermeisterwahlen an einen schönen Job im Kabinett zu kommen, sagte sein Vater Stanley dem Rundfunksender BBC. “Ich kann mir keinen Schritt vorstellen, der besser dazu geeignet wäre, seine Karriere zu beenden, als das, was er gestern getan hat”, sagte Stanley Johnson am Montag.Seinem Sohn geht es ums Prinzip. Der Churchill-Biograf will nicht, dass Großbritannien in einem paneuropäischen Superstaat aufgeht. “Ich bin Europäer”, sagt er von sich. Man dürfe Europa aber nicht mit dem politischen Projekt der Europäischen Union verwechseln. “Wir beobachten einen langsamen und unsichtbaren Prozess der juristischen Kolonialisierung, bei dem die EU nahezu jeden Bereich öffentlichen Handelns infiltriert”, schreibt er in einem Gastbeitrag für den “Telegraph”. Seine Frau Marina stellte sich hinter ihn. Cameron würde es Probleme bereiten, wenn er das politische Konzept der Souveränität erklären müsste, auf das sich sein Rivale bezieht. Von Churchill und OlivenNicht dass sich Johnson mit Winston Churchill vergleichen wollte. “Ich bin es nicht wert, ihm die Schuhe auszuziehen”, sagte er schon vor Jahren in einem Interview. Er habe mit einer Kalamata-Olive mehr gemein als mit Churchill.Johnson hat Charisma. Mit seinem Drahtesel und der stets betont unordentlichen Frisur gelingt es ihm, den Eindruck zu erwecken, kein Schwätzer, sondern ein Macher zu sein, ein Zupacker. Egal ob es um Afrikaner, Muslime oder Schwule geht: Political Correctness kümmert ihn nicht, deshalb halten viele den Rechtsaußen der Tories für ehrlich und echt. Pubertäre Episoden wie das Posieren mit einem Schnellfeuergewehr in Kurdistan nimmt man ihm nicht lange übel.Damit hat die Kampagne für den Brexit einen Führer, der es versteht, für Mehrheiten zu sorgen. Am Devisenmarkt sorgte die Entscheidung Johnsons dafür, dass das Pfund um 2 % gegen den Dollar abwertete. Ihm glaubt man, was man Cameron schon lange nicht mehr abnehmen würde. Der hat zwar längst nicht das Format eines Julius Cäsar, aber ein “Et tu, Boris?” wäre durchaus vorstellbar, wenn in der Partei dereinst sein Kopf gefordert wird. Die Beziehung der beiden ist insofern ein anschauliches Beispiel dafür, was Parteifreunde von Freunden unterscheidet.Als Journalist der “Times” und des “Daily Telegraph” hatte Alexander Boris de Pfeffel Johnson, der zu den direkten Nachkommen von König Georg II. August (1683-1760) gezählt wird, Gelegenheit, seine Ausdrucksfähigkeit weiter zu schärfen. Viele seiner Gegner wünschten, sie könnten seiner Schlagfertigkeit Paroli bieten.Johnson setzte sich in London bei den Bürgermeisterwahlen im Jahr 2008 gegen den Amtsinhaber Ken Livingston (Labour) durch. Nicht immer konnte er seine Ideen durchdrücken. Sein ambitioniertes Vorhaben etwa, einen Großflughafen mitten in der Mündung der Themse zu bauen, scheiterte einst am Widerstand der von der Regierung mit der Lösung der Londoner Luftverkehrsprobleme beauftragten Kommission. Das auf 90 Mrd. Pfund geschätzte Großprojekt mit vier Start- und Landebahnen wurde seinerzeit unter dem Namen “Boris Island” bekannt. Eines ist jedoch klar: Trotz seines Votums für einen Brexit ist mit einem Ausstieg von Boris aus der Politik – einem “Bexit” gewissermaßen – nicht zu rechnen.