Ein Sparkommissar will Rom in der Spur halten
Von Gerhard Bläske, MailandEr war gerade dabei, einen Gastbeitrag für die Turiner Zeitung “La Stampa” zu schreiben, als ihn am Sonntag um 21 Uhr ein Anruf von Staatspräsident Sergio Mattarella ereilte. Die Frage aus dem römischen Quirinalspalast lautete: “Sind Sie bereit, den Posten des Regierungschefs zu übernehmen?” Carlo Cottarelli sagte sofort zu. Er nahm den Frühzug aus Mailand und dann ein Taxi zum Sitz des italienischen Staatspräsidenten auf dem “Colle” – dem Hügel.Nun hat Cottarelli den undankbaren Auftrag, als neuer Regierungschef eine Kabinettsliste zusammenzustellen und verloren gegangenes Vertrauen in Italien wiederherzustellen. Eigentlich eine unlösbare Aufgabe. Denn Cottarelli hat keine Mehrheit. Nicht einmal Berlusconis Forza Italia, die eher gemäßigte Positionen vertritt, will ihn unterstützen. Die rechtsnationale Lega und die populistische Movimento 5 Stelle (M5S) kündigten energischen Widerstand an. Sie wollen möglichst schnell Neuwahlen. Cottarelli bekundete zwar seine Bereitschaft, dem Land bis 2019 zu dienen und etwa den Haushalt und eine glaubwürdige mittelfristige Finanzplanung auf den Weg zu bringen. Aber die meisten Beobachter sehen ihn nur bis Anfang September oder bis höchstens Oktober an der Spitze der Regierung stehen.Ähnlich wie Mario Monti, der 2011 Premierminister wurde, kommt der neue Regierungschef eher aus der Wissenschaft. Er hat ein sehr internationales Profil. Der anerkannte Ökonom begann seine Karriere bei der Banca d’Italia und war dann kurze Zeit für den Energiekonzern Eni tätig. Danach arbeitete er 25 Jahre lang in führenden Positionen für den Internationalen Währungsfonds in Washington, ist also eher angelsächsisch geprägt. Der verheiratete Vater von zwei erwachsenen Kindern kehrte erst kürzlich nach Italien zurück, wo er ein Institut zur Bewertung der Staatsausgaben gründete. Damit kennt sich Cottarelli, der in Siena und an der London School of Economics studiert hat, aus. Schließlich wurde er 2013 von der Linksregierung unter Enrico Letta als “Sparkommissar” damit beauftragt, Einsparpotenziale im Haushalt ausfindig zu machen. Er wurde durchaus fündig. Um mehr als 32 Mrd. Euro könne man die Ausgaben reduzieren, befand Cottarelli seinerzeit. Umgesetzt wurde aber so gut wie keiner seiner Vorschläge. Lettas Nachfolger Matteo Renzi hatte andere Pläne. In den letzten Jahren wurde der Ökonom jedoch immer wieder als potenzieller Minister gehandelt. Cottarelli, der aus der norditalienischen Geigenbauerstadt Cremona stammt, bezeichnet sich selbst als Keynesianer. In Krisenzeiten könne man durchaus das Defizit steigen lassen. In guten Zeiten wie jetzt müsse man aber die Ausgaben reduzieren, findet er. Cottarelli hat erklärt, er fühle sich sehr geehrt, mit der Regierungsbildung beauftragt worden zu sein. Er wolle alles tun, um die Spannungen an den Finanzmärkten zu reduzieren und die Finanzen unter Kontrolle zu halten. Darüber hinaus gab er – anders als die geplante Regierung aus Lega und Movimento 5 Stelle (M5S) – ein klares Bekenntnis zum Euro ab.Die ersten Reaktionen an den Finanzmärkten waren nicht gerade ermutigend. Doch davon lässt sich der 64-Jährige sicher nicht entmutigen. Er weiß aber selbst, dass er eine schwierige Mission hat, die kaum zu erfüllen ist.