EZB-RAHMENWERK AUF DEM PRÜFSTAND

Eine Frage der Messung

Debatte über Einbeziehung selbst genutzten Wohneigentums in die Inflation

Eine Frage der Messung

Von Mark Schrörs, FrankfurtBei der EZB-Strategieüberprüfung wird es nicht nur darum gehen, welches Inflationsziel die Europäische Zentralbank (EZB) anstrebt und mit welchen Mitteln sie dieses Ziel zu erreichen gedenkt – es geht auch darum, wie die Inflation überhaupt gemessen wird. Aktuell erfährt das Thema sogar besondere Aufmerksamkeit – vor allem die mögliche Einbeziehung selbst genutzten Wohneigentums in den Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI). Der tatsächliche Effekt wäre aber wohl begrenzt, und schnelle Änderungen scheinen unwahrscheinlich.Zuletzt hatten sich mit EZB-Direktoriumsmitglied Yves Mersch, EZB-Chefvolkswirt Philip Lane und Bundesbankpräsident Jens Weidmann drei ranghohe Euro-Hüter dafür ausgesprochen, selbst genutztes Wohneigentum zu berücksichtigen (vgl. BZ vom 4. Februar). “Das selbst genutzte Wohneigentum fehlt im Warenkorb des HVPI. Dabei ist unstrittig, dass er diese Komponente eigentlich erfassen sollte”, sagte Weidmann. Die Gründe für das Fehlen seien eher technischer und methodischer Natur. “Für mich wäre aber der eine oder andere Abstrich bei der Methodik hinnehmbar, wenn wir dafür der Lebenswirklichkeit der Menschen näher kämen”, sagte Weidmann.Tatsächlich gibt es seit Jahren Kritik daran, dass der HVPI als Zielgröße der EZB die Entwicklung selbst genutzten Wohneigentums nicht berücksichtigt. Nach EZB-Schätzungen läge die Inflation von aktuell 1,4 % bei einer Einbeziehung rund 0,2 bis 0,3 Prozentpunkte höher. Die EU-Kommission und das Statistikamt Eurostat hatten aber zuletzt 2018 entschieden, die Kalkulation nicht zu verändern. Geringer Effekt und komplexViele Analysen kommen indes ohnehin zu dem Schluss, dass langfristig der Effekt auf die Inflationsrate eher gering sein dürfte. Die Experten von Morgan Stanley rechnen in einer aktuellen Untersuchung zum Beispiel vor, dass die Rate über den Zyklus hinweg nur 0,04 Prozentpunkte höher liegen würde. Tatsächlich könnte zu anderen Zeiten als im aktuellen Immobilienboom die Einbeziehung die Inflationsrate auch drücken. Auch die ING erwartet im Durchschnitt keine großen Effekte.Die Commerzbank führt in einer aktuellen Untersuchung zudem zwei Argumente gegen eine Einbeziehung von Hauspreisen an: die späte Verfügbarkeit von Daten und methodische Probleme. So lägen aktuell für die Häuserpreise nur Zahlen bis zum dritten Quartal 2019 vor. Bei einer Einbeziehung könnten die Inflationszahlen deshalb nur mit beträchtlicher zeitlicher Verzögerung veröffentlicht werden, oder aber sie würden stark revisionsanfällig.Zudem sei zu berücksichtigen, dass ein Haushalt beim Kauf einer Immobilie nicht nur einen Platz zum Leben erwerbe, sondern auch in einen Vermögensgegenstand investiere. Im HVPI sollte aber allenfalls der Erwerb des Wohnrechts erfasst werden. Tatsächlich hatte Lane zuletzt betont, dass ein Hauskauf mehr als der Erwerb des Wohnrechts sei. Die bessere Lösung wäre laut Commerzbank ein höheres Gewicht für Mieten, was aber an der Inflation wenig ändern würde.In der Tat hatten EU-Kommission und Eurostat 2018 die Einbeziehung selbst genutzten Wohneigentums auch deshalb verworfen, weil das als technisch komplex und kontrovers gilt. Eine schnelle Lösung dürfte es daher auch jetzt kaum geben. Vielmehr könnte der EZB daran gelegen sein, dass Eurostat die Probleme bei der Erfassung der Kosten für das Wohnen längerfristig behebt.