EZB VOR WEGWEISENDER SITZUNG

Eine Frage der Symmetrie

EZB-Rat diskutiert über das 2-Prozent-Inflationsziel - Weidmann hat Vorbehalte - Folgen für Geldpolitik

Eine Frage der Symmetrie

Von Mark Schrörs, FrankfurtDiskussionen über das Mandat und das Inflationsziel der Europäischen Zentralbank (EZB) sind nicht neu. Gleichwohl hat die Debatte in den vergangenen Wochen und Monaten eine ganz neue Qualität erreicht, weil offenkundig auch in der EZB Redebedarf besteht – und weil der EZB-Rat bei der bislang letzten Sitzung Mitte Juli seine Kommunikation geändert und explizit auf die Symmetrie des 2-Prozent-Inflationsziels abgezielt hat. Die Debatte hat dabei auch große Folgen für die EZB-Geldpolitik. Fixierung auf “nahe 2 %”Zunächst einmal: Die EU-Verträge setzen der EZB lediglich als oberste Aufgabe die Sicherung der Preisstabilität. 1998 definierte der EZB-Rat selbst einen mittelfristigen Anstieg des harmonisierten Verbraucherpreisindex HVPI von “unter 2 %” als Preisstabilität. 2003 stellte er nach einer umfassenden Überprüfung klar, dass er eine Preissteigerungsrate von “unter, aber nahe 2 %” anstrebe. Seitdem wird diese Formulierung de facto als neue Definition von Preisstabilität verstanden, und es gibt eine extreme Fixierung auf “nahe 2 %”.Eben diesen knapp 2 % läuft die EZB nun aber seit geraumer Zeit hinterher. Mit Ausnahme weniger Monate liegt die Teuerung im Euroraum seit Anfang 2013 unterhalb von 2 %. Zugleich sind die Inflationserwartungen deutlich gesunken – vor allem die marktbasierten Erwartungen, aber auch die umfragebasierten, wenn auch weniger stark. In der EZB wächst nun die Sorge, dass es Zweifel an der Fähigkeit der EZB gibt, das 2-Prozent-Ziel zu erreichen. EZB-Ratsmitglied Olli Rehn hat diese Sorge Anfang Juli im Interview der Börsen-Zeitung so offen und klar ausgesprochen wie wohl kein Euro-Notenbanker vor ihm (vgl. BZ vom 5. Juli). Er forderte, der EZB-Rat müsse in seiner Politik und in seiner Kommunikation deshalb ganz klar sein.Geldpolitisch dürfte der EZB-Rat am Donnerstag erneut zur Tat schreiten (siehe Text oben und nebenstehende Texte). Kommunikativ hat der Rat bereits im Juli reagiert und erstmals im Eingangsstatement die Symmetrie des Inflationsziels erwähnt. Der EZB-Rat sei entschlossen, “im Einklang mit seiner Verpflichtung auf die Symmetrie des Inflationsziels zu handeln”, hieß es. Konkret soll das heißen, dass der Rat eine zu niedrige Teuerung genauso wenig tolerieren werde wie eine zu hohe Inflation.In Notenbankkreisen wird argumentiert, dass das nur eine Klarstellung dessen sei, wie die EZB sich auch in der Vergangenheit schon verhalten habe. Mancher Beobachter sieht das aber sehr wohl als Strategieschwenk und als Vorbereitung für eine noch viel länger sehr expansive Politik. Tatsächlich dürfte mancher Euro-Notenbanker der Auffassung sein, dass es nach Jahren mit Inflationsraten unterhalb des 2-Prozent-Ziels auch eine längere Phase mit Werten oberhalb von 2 % braucht.In den USA steuert die US-Notenbank Fed aktuell auf ein durchschnittliches Inflationsziel (“Average Inflation Targeting”) zu. Dabei würde sie nicht wie aktuell jedes Jahr aufs Neue 2 % Inflation anvisieren – egal was zuvor passiert ist. Stattdessen würde sie über einen bestimmten Zeitraum im Durchschnitt 2 % anstreben und Zielverfehlungen in einem Jahr in künftigen Jahren möglichst ausgleichen. EZB-Präsident Mario Draghi hatte im Juni in Sintra gesagt: “Unsere mittelfristige Ausrichtung impliziert, dass die Inflation in beide Richtungen von unserem Ziel abweichen kann, solange sich der Inflationspfad im mittelfristigen politischen Horizont wieder zu diesem Schwerpunkt hin annähert.” Lagarde will StrategiedebatteIm EZB-Rat dürfte das aber noch Diskussionen geben. Bundesbankchef Jens Weidmann etwa äußerte jüngst Vorbehalte gegenüber der neuen Kommunikation. “In Verbindung mit unserer Definition von Preisstabilität ist die bisherige Zielformulierung aus meiner Sicht nicht symmetrisch angelegt”, sagte er mit Blick auf die “unter 2 %”. Ähnlich äußerte sich EZB-Direktoriumsmitglied Sabine Lautenschläger. “In der aktuellen Situation würde diese Neuinterpretation des Ziels vor allem den Druck zum geldpolitischen Handeln weiter erhöhen”, sagte Weidmann.Die Debatte über das Ziel dürfte also weitergehen und der Auftakt für eine grundlegendere Strategiediskussion sein. Die designierte EZB-Chefin Christine Lagarde, die Draghi Anfang November ablösen wird, hat schon zu verstehen gegeben, dass sie das 16 Jahre nach der letzten Überprüfung definitiv für angezeigt hält.