Eine Frage des Geldes
Der Impuls ist menschlich, ergo: verständlich. Russland soll für den von ihm angezettelten Krieg in der Ukraine zahlen und den anstehenden Wiederaufbau des Landes mitfinanzieren. Warum also nicht gleich das Auslandsvermögen der russischen Zentralbank, das der Westen eingefroren hat, kurzerhand beschlagnahmen und für einen Wiederaufbaufonds nutzen? Von 300 Mrd. Dollar ist da die Rede. Verständlich heißt aber nicht immer auch klug: Ein solcher Schritt bringt nicht nur erhebliche rechtliche Fallstricke mit sich. Er birgt auch enorme Risiken für das globale Finanzsystem. Die sollte man zumindest nicht leichtfertig eingehen.
Das Einfrieren der russischen Devisenreserven im Ausland ist die vielleicht schärfste Sanktion im Bereich des Finanzsektors – schärfer noch als der (Teil-)Ausschluss russischer Banken aus dem Zahlungsinformationsnetzwerk Swift. Mit einem Schlag war Russland – zur Überraschung aller – seines wichtigsten Instruments beraubt, um am Devisenmarkt den Rubel zu stützen. Ein Novum in der Finanzgeschichte und der Zentralbankenkooperation, das politisch gerechtfertigt und noch verhältnismäßig erschien – das aber Risiken birgt. Eine Beschlagnahmung der Gelder würde diese um ein Vielfaches potenzieren.
Mehr noch als bei einer Enteignung russischer Oligarchen lauern bei einer Beschlagnahmung der Devisenreserven viele juristische Probleme. Viele Experten sehen jedenfalls weder im Europa- noch im Völkerrecht eine Rechtsgrundlage für einen solchen Schritt. Die Souveränität der Staaten ist ein Grundpfeiler des Völkerrechts – und letztlich handelt es sich um Staatsvermögen Russlands. Nicht zufällig betont US-Finanzministerin Janet Yellen, dass eine Beschlagnahmung in den USA derzeit nicht legal sei. Darüber dürfen die Befürworter nicht hinweggehen. Russlands Präsident Wladimir Putin dürfte eine solche Eskalation des Wirtschafts- und Finanzkriegs auch nicht unbeantwortet lassen. Und so schwer es aktuell vorstellbar erscheint: Nach dem Krieg ist irgendwann auch wieder eine (wirtschaftliche) Zusammenarbeit nötig.
Noch wichtiger: Eine solche De-facto-Enteignung dürfte die Bestrebungen von Ländern wie Russland oder China, ein alternatives Finanzsystem zur bestehenden globalen Finanzarchitektur aufzubauen, deutlich vorantreiben. Damit erhöhte sich die Anfälligkeit des Finanzsystems für Krisen erheblich. Zudem würde die Fragmentierung der Weltwirtschaft in geopolitische Blöcke forciert – mit der Folge hoher ökonomischer (Anpassungs-)Kosten. Daran kann auf Dauer niemandem wirklich gelegen sein.