LEITARTIKEL

Eine Frage des Vertrauens

Das muss man erst einmal hinkriegen: Da veröffentlicht die Europäische Zentralbank (EZB) neue Richtlinien für ihre sechs Direktoriumsmitglieder im Umgang mit öffentlichen Auftritten und nicht-öffentlichen Treffen, die im Wesentlichen nur schwarz auf...

Eine Frage des Vertrauens

Das muss man erst einmal hinkriegen: Da veröffentlicht die Europäische Zentralbank (EZB) neue Richtlinien für ihre sechs Direktoriumsmitglieder im Umgang mit öffentlichen Auftritten und nicht-öffentlichen Treffen, die im Wesentlichen nur schwarz auf weiß festhalten, was entweder längst gelebte Praxis ist (wie das Ziel, wichtige Reden zeitgleich im Internet zu veröffentlichen) oder seit jeher eine Selbstverständlichkeit sein sollte (wie die Vorgabe, bei bilateralen Gesprächen keine marktsensiblen Informationen auszuplaudern) – und dennoch heißt es nachher fast allerorten: Die EZB verschärft ihre Regeln! Den EZB-Granden kommt das natürlich zupass nach der schweren Kommunikationspanne um Benoît Coeuré Mitte Mai. Chapeau!Tatsächlich aber sind die Themen Ethik und Transparenz bei der EZB natürlich viel zu wichtig, um ihnen mit Ironie zu begegnen. Als Hüterin des Euro steht die EZB in einer besonderen, nicht hoch genug anzusetzenden Verantwortung, ihre Integrität zu wahren und Rechenschaft abzulegen. Das macht den Vorfall um Coeuré, der bei einem Dinner mit Hedgefonds- und Bankmanagern über Details zum Anleihekaufprogramm (Quantitative Easing, QE) sprach, die erst zwölf Stunden später öffentlich wurden, zu solch einem Fiasko. Einige Kritiker rückten das gar in die Nähe von Insiderhandel. Auch wenn das dann doch zu starker Tobak ist und auch anderen Notenbanken, allen voran der Fed, Pannen unterlaufen: Die EZB hat die Pflicht und Schuldigkeit, alles Menschenmögliche zu tun, um so etwas zu vermeiden. Vertrauen ist der Anker der Geldpolitik.Das heißt aber nicht, dass sich die Euro-Hüter nicht mit Marktteilnehmern und Bankern treffen dürfen. Im Gegenteil: Zentralbanker müssen ihre Politik erklären – das kann auch deren Effektivität erhöhen. Zugleich müssen sie verstehen, wie sich die schnelllebigen Finanzmärkte und das nicht minder rasante Bankgeschäft entwickeln – nur dann können sie ihre Politik zielgerichtet gestalten. Bei all dem müssen die Notenbanker aber zwingend Distanz wahren. Sie dürfen sich nicht gemein machen und schon gar nicht einzelne Marktteilnehmer bevorzugen. Allein ein solcher Verdacht ist verheerend. Die Zentralbanken müssen den Menschen dienen – nicht den Banken oder Finanzmärkten. Das alles gilt für die EZB umso mehr, als sie auch zur Bankenaufseherin aufgestiegen ist.Was nun die Transparenz betrifft, kann und darf sich die EZB dem allgemeinen Trend zu mehr Transparenz nicht entziehen. Die Bürger verlangen ob der enorm gestiegenen Macht der EZB zu Recht mehr Klarheit, wo welche Interessen im Spiel sind. Tatsächlich hat sich bereits einiges getan. Positiv sticht die Veröffentlichung der Sitzungsprotokolle der geldpolitischen Treffen des EZB-Rats hervor. Überhaupt nicht mit Ruhm bekleckert hat sich die EZB dagegen im Sommer beim Thema ELA-Notkredite für Griechenlands Banken – auch wenn ELA primär eine Sache der nationalen Zentralbanken ist. Da wäre sehr viel mehr Transparenz angezeigt gewesen.Insofern lässt sich zweifellos überlegen, noch transparenter zu werden. Ein Schritt wäre, wenn die EZB auch mitteilen würden, wer im Rat wie abgestimmt hat. Im besten Fall hätte das sogar eine disziplinierende Wirkung auf die Ratsmitglieder. Was dagegen andere Ansätze wie die Veröffentlichung von Terminkalendern betrifft, gilt es sehr genau abzuwägen, ob der Nutzen die Kosten überwiegt. Transparenz darf nicht zum Selbstzweck werden. Überhaupt sollte sich niemand der Illusion völliger Transparenz hingeben. Es wird immer Mittel und Wege geben für informelle Kontakte. Letztlich müssen diese auch möglich sein. Mit einer durch und durch “gläsernen” Zentralbank wäre am Ende wohl kaum jemandem gedient.Entscheidend ist letztlich, dass es auch ein gewisses Maß an Vertrauen gegenüber einer Institution wie der EZB geben muss. Vertrauen, dass die Institution es ernst meint mit ihrem Mandat und ihrem Ziel – und Vertrauen in die Amtsträger, dass die sich höchsten ethischen Standards verpflichtet fühlen. Genau daran hapert es aber aktuell: Das Ansehen der EZB in der EU-Bevölkerung ist in den vergangenen Jahren drastisch gesunken, wie die Eurobarometer-Umfragen belegen. Das ist eine alarmierende Entwicklung. Das wirft aber auch ein Schlaglicht auf das eigentliche Problem, aus dem sich auch viel der Kritik an der EZB speist – das Grundübel des Euro-Krisenmanagements: Die EZB musste immer wieder in die Bresche springen, weil die Politik nicht fähig oder willens war zu handeln. Sie ist quasi zur Allzweckwaffe mutiert. Sie hat sich damit immer weiter von ihrer Kernaufgabe entfernt und in die Grauzone zur Politik bewegt. Sie muss sich endlich aus dieser Rolle des Dauer-Ausputzers verabschieden – das wäre viel wichtiger als alle neuen Richtlinien und Transparenzoffensiven.——–Von Mark SchrörsDie EZB will transparenter werden – auch um Ansehen zurückzugewinnen. Das ist gut und richtig, hat aber Grenzen. Noch wichtiger wäre es, dass sie die Rolle des Ausputzers der Politik aufgibt.——-