Eine Wirtschaft mit Ladehemmungen

Die britischen Löhne legen zwar zu, aber nicht so kräftig, um die Notenbank in Zugzwang zu bringen

Eine Wirtschaft mit Ladehemmungen

Von Andreas Hippin, LondonDer britische Geldpolitiker David Ramsden hat Anzeichen dafür ausgemacht, dass die britische Wirtschaft wieder Fahrt aufnimmt und die Phase “ungewöhnlich gedämpften” Lohnwachstums zu Ende geht. Er gehört dem neunköpfigen geldpolitischen Komitee (Monetary Policy Committee) der Bank of England an. Als der Leitzins im November um 25 Basispunkte auf 0,5 % erhöht wurde, hatte der ehemalige Chief Economic Advisor des Schatzamts dagegen votiert. Nun deutete er an, dass er die Einschätzung der MPC-Mehrheit teilt, dass die Zügel weiter angezogen werden müssen, wenn sich die Wirtschaft so entwickelt wie erwartet. Bislang hat sich die Einschätzung der Geldpolitiker, dass die Erstschätzung des Bruttoinlandsprodukts die Schwäche im Auftaktquartal überzeichnet hat, jedoch nicht bewahrheitet. Das MPC ging zuletzt davon aus, dass das Wachstum von 0,1 % auf 0,3 % revidiert werden würde. Die Zweitschätzung brachte die gewünschte Veränderung nicht. Das Statistikamt ONS wies zudem erneut darauf hin, dass sich der heftige Wintereinbruch im März zwar auf die Wirtschaftsentwicklung ausgewirkt habe, die Folgen aber begrenzt gewesen seien. Wird das BIP am Ende nicht nach oben revidiert, müsste die Konjunktur im laufenden Quartal umso stärkere Signale senden, um Ängste vor einer deutlichen Abschwächung des Wachstums zu beschwichtigen. Eine ganze Reihe von Volkswirten fürchtet, dass sich die Konjunktur stärker verlangsamt als von den Ökonomen der Notenbank vermutet. “Klare Warnung des Markts”Die Einkaufsmanagerindizes für den Monat Mai deuteten auf eine Erholung hin, lagen aber immer noch unterhalb des Durchschnitts im Schlussquartal 2017. Der Composite-Index aus Bau, verarbeitendem Gewerbe und Dienstleistungen stieg von 53,2 auf 54,5 Punkte. Ökonomen hatten lediglich mit 53,4 Punkten gerechnet. Am Markt wurde nach Veröffentlichung der Daten eine Wahrscheinlichkeit von 50 % für eine Leitzinserhöhung um 25 Basispunkte im August unterstellt. Zuvor hatte man sie noch bei 40 % gesehen. Allerdings bewegte sich die Rendite zweijähriger Staatsanleihen deutlich unter dem Niveau, auf das der Leitzins steigen würde, sollte die Notenbank den Zinsschritt tatsächlich wagen. Das sei in einer Phase steigender Zinsen höchst ungewöhnlich und “eine klare Warnung des Markts vor einer befürchteten Fehlentscheidung in der Geldpolitik”, notierte der UBS-Stratege John Wraith. Nicht nur die Laune der Einkaufsmanager stieg im Wonnemonat, auch die Kauflust der Verbraucher erholte sich deutlich, nicht zuletzt dank des Endspiels um den FA Cup und der Hochzeit von Prinz Harry und Meghan Markle. Wie aus den Daten des Kreditkartenanbieters Barclaycard hervorgeht, gaben die Verbraucher 5,1 % mehr aus als ein Jahr zuvor. Der Einzelhandelsverband BRC meldete für den Mai einen um 4,1 % höheren Umsatz. Allerdings wurde das Wachstum mit niedrigeren Margen erkauft, was sich auf die Gewinne der Firmen auswirken dürfte, die mit ihren Niederlassungen die britischen Einkaufsstraßen dominieren. Helen Dickinson, die Chefin des Einzelhandelsverbands BRC, sprach von einem “extrem schwierigen” wirtschaftlichen Umfeld. Das Trendwachstum sei im historischen Vergleich sehr niedrig.Und dann schrumpfte auch noch die Produktion des verarbeitenden Gewerbes im April um 1,4 % – so stark wie in sechs Jahren nicht. Schwaches Wachstum, Verbraucher, die jeden Penny zweimal umdrehen, ein Häusermarkt, aus dem die heiße Luft entweicht – alles spricht für ein wenig ereignisreiches Jahr, wenn man die Unruhe rund um den Ausstieg Großbritanniens einmal außer Acht lässt. Anlass zur Sorge haben die Geldpolitiker der Notenbank gleichwohl nicht, denn die Inflation nähert sich schneller ihrem Inflationsziel als von Volkswirten erwartet. Im April reduzierte sich der Preisauftrieb von 2,5 % im März auf 2,4 %. Im Januar hatte die Inflation noch bei 3 % gelegen. Der von der Notenbank angestrebte Wert liegt bei 2,0 %. Höhere Energiekosten könnten dafür sorgen, dass der Preisauftrieb erneut zunimmt. Solange die Reallöhne aber nicht kräftig steigen, dürfte sich für die Notenbank kein großer Handlungsdruck ergeben.Allerdings sollte man sich nicht allzu sehr in Sicherheit wiegen, denn Notenbankchef Mark Carney hat noch einen Joker im Ärmel: Jonathan Haskel, ein Wirtschaftsprofessor der Imperial College Business School, wird den Falken Ian McCafferty im MPC ersetzen, dessen zweite Amtszeit Ende August ausläuft. Er ist nicht nur ein Experte für das wenig verstandene Thema Produktivität, sondern auch für die Bedeutung von Investitionen in immaterielle Werte wie Forschung und Entwicklung, Software oder Finanzinnovationen für die Wirtschaftsentwicklung. Eine Neubewertung dieser Investitionen, die oft nur als Kosten betrachtet werden, könnte die Rechtfertigung für einen weiteren Zinsschritt liefern, selbst wenn sich in den herkömmlichen Konjunkturdaten keine finden lassen sollten. Bislang unterstellen die Notenbanker ein Schönwetterszenario, aber die Bank of England braucht mehr Spielraum nach unten, sollte es rund um den Brexit zu Verwerfungen kommen.