Ende der Langeweile
Was als reizlosester Wahlkampf der britischen Geschichte begann, hat sich nun doch noch zu einem dramatischen Duell zwischen dem britischen Premierminister David Cameron und seinem Herausforderer Ed Miliband entwickelt. Für Nervenkitzel sorgen dabei nicht die rednerischen Qualitäten der beiden Spitzenkandidaten, die beide über herzlich wenig Charisma verfügen, sondern die Frage, mit welcher Partei sie nach der landesweiten Wahl am 7. Mai koalieren werden, um eine Regierung zu bilden.Thema Nummer 1 war lange Zeit das von Cameron versprochene Referendum über die EU-Mitgliedschaft. Die Furcht vor einem Ausstieg ist allerdings wesentlich zurückgegangen, seitdem klar ist, dass es den Torys allein nicht zur Macht reichen wird. Und bislang zeichnet sich bis auf die Anti-Brüssel-Partei Ukip kein Partner ab, der eine Volksabstimmung unterstützen würde. Den Liberaldemokraten, mit denen Cameron derzeit koaliert, droht der Abstieg in die Bedeutungslosigkeit. Die Tories werden aller Voraussicht nach auf Parteien wie die nordirischen Unionisten zurückgreifen müssen, um sich eine Mehrheit zu sichern. Das Thema ist aus den Schlagzeilen verschwunden. Ganz ausgestanden ist es dennoch nicht, denn wer weiß, vielleicht holt der ehemalige Rohstoffhändler Nigel Farage mit seiner Nostalgiepartei ja mehr Sitze als gedacht.Richtig Angst hat man in der City dagegen mittlerweile vor einer Labour-Minderheitsregierung, die von der Scottish National Party (SNP) unter Führung von Nicola Sturgeon toleriert würde. Nur ein bisschen mehr Regulierung und etwas höhere Steuern könnten viele Banken- und Unternehmensvertreter verschmerzen, wenn ihnen dafür die mit einer Volksabstimmung über die Zukunft Großbritanniens in der EU verbundene Zitterpartie erspart bliebe. Labour ist schließlich eine wirtschaftsfreundliche Partei. Unter keinem Premierminister sind die Wohnimmobilienpreise so stark gestiegen wie unter Tony Blair. Nach dem Zweiten Weltkrieg ließ kein Schatzkanzler die Banken so freizügig schalten und walten wie Alistair Darling. Nach einem Wahlsieg von Labour würde sein früherer Mitarbeiter Ed Balls das Amt übernehmen. Es zeichnet sich aber bereits ab, dass Milibands Partei in ihrer einstigen Hochburg Schottland nahezu alle Mandate an die Nationalisten verlieren wird und damit zumindest einen Koalitionspartner braucht, um in Westminster die Führung zu übernehmen.Die Schotten fühlen sich den Idealen der Arbeiterbewegung mehr verpflichtet als die Partei, die behauptet, in deren Tradition zu stehen. Verschaffen sie sich Zugang zur Macht, werden die Einschnitte ins Sozialsystem weit weniger tief ausfallen als unter Labour. Banken und Unternehmen drohen mehr Regulierung und höhere Steuern. Sturgeon tritt nicht zufällig gerne im roten Kleid auf. Seitdem sich Alex Salmond aus der Führung der schottischen Unabhängigkeitsbewegung zurückgezogen hat, ist klar, dass in seinem Schatten eine große politische Führerin herangereift ist. Während Cameron den unkontrollierten Kontakt mit der Öffentlichkeit und seinem Herausforderer vermeidet, und Miliband auf den ehemaligen Obama-Berater David Axelrod setzt, stellt sich Sturgeon auf die Straße und spricht auf unzähligen Wahlversammlungen. Ihr ist es zu verdanken, dass sich die Mitgliederzahl der SNP seit der Niederlage beim Unabhängigkeitsreferendum im September vervierfacht hat. Selbst ihre Twitter-Mitteilungen wirken authentischer als das, was Milibands Technokraten und Camerons Marketing-Team dort verlautbaren lassen.Nach derzeitigem Stand der Dinge wird Labour auf die SNP angewiesen sein. Eine Koalition mit ihr von vornherein auszuschließen war taktisch unklug. Natürlich kann Miliband auch versuchen, ein Mehrparteienbündnis zu schmieden – in Frage kämen etwa die Grünen, die in Großbritannien eine verschwindend geringe Rolle spielen, die walisische Unabhängigkeitsbewegung Plaid Cymru oder auch die Liberaldemokraten, die sich zuletzt bemühten, Distanz zu den Konservativen zu demonstrieren. Stabiler würde eine Labour-geführte Regierung dadurch allerdings nicht.Das größte Risiko aber, das die Wahlen bergen, sind langwierige Koalitionsverhandlungen, aus denen doch keine tragfähige Mehrheit hervorgeht. Sollte dann eine weitere Wahl erforderlich sein, wäre das Thema Brexit schnell wieder auf dem Tisch. Zumindest über Langeweile könnte sich dann niemand mehr beklagen.——–Von Andreas HippinWas als langweiligster Wahlkampf der britischen Geschichte begann, ist zu einem dramatischen Duell geworden. Entschieden wird es in Schottland.——-