Ende mit Schrecken oder Schrecken ohne Ende
Von Andreas Hippin, LondonDer britische Premierminister Boris Johnson ist mit dem Versprechen angetreten, den Brexit über die Bühne zu bringen – “Get Brexit Done”. Am späten Freitagabend wird der britische Austritt aus der EU wirksam. Das wäre erledigt, nun ist Zeit für andere Themen: HS2 etwa, die umstrittene Hochgeschwindigkeitsbahnstrecke, die eines Tages London mit Manchester und Leeds verbinden soll. Das Projekt, mit Abstand das teuerste der Regierung, geht auf den ehemaligen Schatzkanzler George Osborne zurück, der damals noch von einem “Northern Powerhouse” träumte. Osborne beeindruckte der japanische Shinkansen. Theresa May wagte es nicht, den Traum zu beenden. Der Apparat arbeitet also weiter daran.Johnson verdankt seinen Wahlsieg Wählern aus englischen Armutsregionen, die durch die Strecke näher an die britische Metropole heranrücken würden. Er liebt zudem Großprojekte. Zuletzt brachte er eine Brücke von Nordirland nach Schottland ins Spiel, für die es realistisch betrachtet keinerlei Bedarf gibt.Der für den Brexit zuständige Staatssekretär Stephen Barclay sagte in einer BBC-Talkshow bereits, sein “Bauchgefühl” bedeute ihm, dass HS2 grünes Licht bekommen werde. Wenig später gab Justiziminister Robert Buckland in einer anderen Sendung zu verstehen, die Regierung sei bereit, den Sprung ins kalte Wasser zu riskieren. Kalt ist es vor allem deshalb, weil die Kosten, wie bei öffentlichen Großprojekten üblich, völlig aus dem Ruder laufen. Der erste Abschnitt von London bis Birmingham sollte ursprünglich 34 Mrd. Pfund kosten. Mittlerweile werden die Kosten auf bis zu 108 Mrd. Pfund geschätzt – je nach dem, wen man fragt. Einer unabhängigen Schätzung zufolge könnten für jedes investierte Pfund nur 60 Pence zurückkommen. Das “Go” wäre eine Lizenz zur Geldvernichtung. Müsste ab Birmingham am Ausbau gespart werden, träfe das genau die Regionen, deren Wähler Johnson den Einzug in die Downing Street ermöglicht haben. Ihnen würde zugemutet, auch weiterhin nur zweiter Klasse zu fahren. Vernünftiger wäre ein Ende mit Schrecken. Das eingesparte Geld ließe sich für den Ausbau dringend benötigter Ost-West-Verbindungen im Norden verwenden.Der ehemalige japanische Premier Tanaka Kakuei bestand darauf, seine Heimatregion Niigata an das Hochgeschwindigkeitsnetz des ostasiatischen Inselreichs anzuschließen, und bürdete der Staatsbahn dafür Kosten in absurder Höhe auf. Tanaka entschied das immerhin selbst. Johnson läuft dagegen Gefahr, in ein aberwitziges Projekt hineingedrängt zu werden, an dem sich alle Beteiligten gesundstoßen werden, nur er nicht.——Die Entscheidung der britischen Regierung zum Bahnprojekt HS2 steht kurz bevor.——