LEITARTIKEL

Entpolitisieren

Die Entscheidung ist gefallen: Spaniens Wirtschaftsminister Luis de Guindos wird neuer Vizepräsident der Europäischen Zentralbank (EZB). Das finale Wort haben zwar die Staats- und Regierungschefs Mitte März und es wird vor allem aus dem EU-Parlament...

Entpolitisieren

Die Entscheidung ist gefallen: Spaniens Wirtschaftsminister Luis de Guindos wird neuer Vizepräsident der Europäischen Zentralbank (EZB). Das finale Wort haben zwar die Staats- und Regierungschefs Mitte März und es wird vor allem aus dem EU-Parlament sicher noch den einen oder anderen Querschuss geben – wohl allein schon deshalb, weil de Guindos speziell vielen Linken als Sinnbild der verhassten Austeritätspolitik gilt. Es müsste aber schon mit dem Teufel zugehen, wenn sich die Regierungschefs nicht dem Votum ihrer Finanzminister anschließen.Für Bundesbankpräsident Jens Weidmann steigen damit die Chancen, Ende 2019 Nachfolger von EZB-Präsident Mario Draghi zu werden – nicht mehr, aber eben auch nicht weniger: Natürlich gibt es auch mit einem Spanier als Vize keine Garantie, dass ein Nordeuropäer EZB-Chef wird und schon gar nicht, dass das Weidmann sein wird. Andererseits aber spricht die feinziselierte EZB-Arithmetik mit Nord und Süd, Klein und Groß, “Taube” und “Falke” sehr wohl genau dafür. Erst recht, wenn nun auch noch Frankreich nach dem 2019 frei werdenden Amt des Kommissionspräsidenten greift, wäre Deutschland bei der EZB am Zug. Dann darf es auch nicht gleich wieder um den politischen “Preis” für Berlin gehen. Frankreich oder Italien haben auch keinen Preis für “ihren” Präsidenten bezahlt. So sehr viele eine Hegemonialmacht Deutschland fürchten, so sehr muss Berlin darauf pochen, nicht schlechter gestellt zu werden.Ganz ohne Frage wäre Weidmann ein respektabler EZB-Präsident. Im EZB-Rat können ihm fachlich nur wenige das Wasser reichen und auch international ist er ein respektierter Geldpolitiker. Er könnte zudem genau der richtige Mann zur richtigen Zeit sein: Der Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik der Krisenjahre muss behutsam angegangen werden – und Weidmann könnte dem besondere Glaubwürdigkeit verleihen, gerade in Deutschland. Fakt ist aber auch, dass Weidmann sicher ein unbequemer(er) EZB-Präsident wäre. Zwar würde auch er sich anpassen müssen und auch können – das Amt des EZB-Präsidenten und die Verantwortung prägen. Ganz sicher aber würde Weidmann die Politik stärker in die Pflicht nehmen. Das wäre aber auch absolut richtig. Wer das als Problem bezeichnet, zementiert nur die Rolle der EZB als Dauerausputzer handlungsunwilliger Staaten. Auch Berlin, das sich gerne hinter der EZB versteckt hat, muss sich da ehrlich machen.Das Verhältnis zwischen der EZB und der Politik führt direkt zu de Guindos. Dass er vom Ministeramt unmittelbar ins EZB-Direktorium wechselt, ist ein Novum und schürt zu Recht Sorgen um die Unabhängigkeit. Allerdings standen viele Notenbanker einst im Staatsdienst – inklusive aller drei EZB-Präsidenten. Zudem lässt sich bei dem einen oder anderen Zentralbanker mindestens hinterfragen, wie unabhängig er sich wirklich geriert – oder ob er oder sie nicht doch primär die Interessen seiner Regierung im Hinterkopf hat. Entscheidend ist letztlich, wie sehr die Unabhängigkeit als Notenbanker gelebt wird. Der ebenso macht- wie selbstbewusste de Guindos muss nun beweisen, dass seine Versprechen, für die Unabhängigkeit der EZB zu kämpfen, nicht nur leere Worten sind.Problematisch ist de Guindos mangelnde geldpolitische Expertise. Nun tummeln sich im EZB-Rat nicht nur monetäre oder ökonomische Überflieger. Der Kreis derjenigen, die die Diskussion entscheidend befruchten, ist nach allem, was man hört, überschaubar. Aber dem Direktorium kommt eine besondere Rolle zu, weil es die Sitzungen des EZB-Rats vorbereitet und beeinflusst. Für das EZB-Direktorium wäre es folglich noch sehr viel fataler als schon für den Bundesbankvorstand, wenn immer mehr Nicht-Geldpolitiker und Nicht-Ökonomen ohne geldpolitische Erfahrung vertreten wären. Der Qualität der Entscheidungen wäre das nicht zuträglich. Das gilt es mit allen Mitteln zu verhindern. Dass die EZB und die Posten in der Notenbank auch für Politiker immer interessanter werden, hat viel damit zu tun, dass sie in der Krise zunehmend in die politische Sphäre vorgedrungen ist und gezeigt hat, über welche mächtigen Instrumente sie verfügt. Zwar ist es illusorisch zu glauben, die Zentralbanker könnten das Rad zurückdrehen zu einer Zeit, in der sie als Technokraten im Hintergrund allein auf die Preisstabilität fixiert waren – und zumindest in Sachen Transparenz wäre das auch nicht wünschenswert. Die Politisierung der EZB aber ist eine Gefahr für das Euro-Projekt – und sie droht mit immer mehr Politikern an der Spitze verfestigt zu werden. Nötig wäre genau das Gegenteil: Die EZB muss wieder entpolitisiert werden.—–Von Mark SchrörsDer Spanier de Guindos wird neuer EZB-Vize. Für Weidmann steigen so die Chancen auf den Chefposten. Für die Notenbank aber birgt das Votum Risiken.