FINANZMINISTER BEREITEN REFORM DER EUROZONE VOR - IM INTERVIEW: CLEMENS FUEST, IFO-INSTITUT

"Entscheidend ist am Ende Marktdisziplin"

Staatsanleihen stärker in den Reformfokus rücken

"Entscheidend ist am Ende Marktdisziplin"

– Herr Professor Fuest, die Eurogruppe diskutiert in der nächsten Woche ein Reformpaket für die Eurozone. Was wären denn aus Ihrer Sicht die wichtigsten Schritte, um die Währungsunion weiter zu vertiefen beziehungsweise zu stabilisieren?Wir brauchen vor allem ein Gleichgewicht aus Reformen, die mehr Solidarität bringen, und Reformen, die die Marktdisziplin und No-Bail-out für Banken und Staaten stärken. Diese beiden Ansätze werden ja oft als Gegensätze behandelt. Tatsächlich gehören sie aber zusammen. Klar definierte, begrenzte, aber auch spürbare Solidarität in Form gegenseitiger Versicherung gegen Krisen erleichtert es, Marktdisziplin wirken zu lassen und die No-Bail-out-Regel einzuhalten.- Aber was wären denn dann sinnvolle Reformschritte?Das Wichtigste wäre erst einmal, die Staatsanleihen aus dem Bankensektor zu bringen. Das Problem können wir aktuell wieder in Italien beobachten. Banken drohen in die Knie zu gehen, weil sie in großem Umfang heimische Staatsanleihen halten. Solange das so ist, ist es eine Illusion zu glauben, man könne die No-Bail-out-Klauseln anwenden. Das bedeutet auch, dass die Disziplinierung durch die Kapitalmärkte dann nicht richtig funktioniert und falsche Anreize für die Finanz- und Wirtschaftspolitik gesetzt werden. Eine Eigenkapital-Unterlegung von Staatsanleihen sollte fällig werden, wenn Banken ihr Portfolio nicht diversifizieren. Es ist schlecht, wenn italienische Banken nur italienische Staatsanleihen kaufen und deutsche Banken nur deutsche Staatsanleihen.- Was halten Sie in diesem Zusammenhang von der europäischen Einlagenversicherung, die ja auch noch Teil der aktuellen Reformdiskussion ist?Es wäre fatal, solche Schritte einer Vergemeinschaftung anzugehen, ohne dass das Staatsanleihen-Problem gelöst ist. Abbau von faulen Krediten ist notwendig, aber nicht hinreichend. Ich bin fest davon überzeugt, dass es keine stabile Zukunft für den Euro gibt, solange die finanzielle Verbindung von Staaten und heimischen Banken so eng ist wie heute.- Sie sprachen Italien an. Ist der aktuelle Haushaltsstreit ein Zeichen, dass die Zeit nicht reif ist für eine weitere Risikoteilung oder Vergemeinschaftung?Italien legt schonungslos die Schwächen der Währungsunion offen. Wir können aus dem Fall lernen, dass es nichts bringt, Regeln aufzuschreiben und dann zu glauben, dass sich Regierungen daran auch halten, selbst wenn sie der Meinung sind, dass diese Regeln ihren fundamentalen Interessen widersprechen. Man kann demokratisch gewählte Regierungen souveräner Staaten nicht zwingen, im Bereich der Finanzpolitik etwas zu tun, was sie nicht wollen. Wir können die nationale Finanzpolitik nicht aus Brüssel steuern. Die Regeln nutzen nur, wenn sich die Regierungen auch grundsätzlich daran halten wollen.- Was folgt daraus?Wir lernen, dass eine Vergemeinschaftung der Haftung für Staatsschulden nicht der richtige Weg ist, weil dann Haftung und Kontrolle auseinanderfallen. Entscheidend ist am Ende die Marktdisziplin. Bei Ländern, die sich zu hoch verschulden, muss ganz klar sein, dass die Gläubiger haften und nicht die Steuerzahler anderer Länder. Stellen Sie sich einmal vor, wir hätten heute Euro-Bonds. Dann könnte die italienische Regierung ihre Verschuldung noch stärker ausdehnen, und der Rest der Eurozone würde für diese Schulden haften.- Lernen wir auch aus dem Fall Italien, dass es eine Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes geben sollte?Beim Stabilitäts- und Wachstumspakt besteht Reformbedarf, aber für mich ist das keine Priorität. Wir müssen verstehen, dass dieser Pakt nicht mehr als ein Koordinationsmechanismus ist, ein Austausch von Meinungen, Ideen, Vorstellungen und Erwartungen. Mehr nicht. Wenn man die Reform dieser Regeln in den Mittelpunkt stellt, kommt nur die Illusion auf, man könnte diese Regeln gegen den Willen der Mitgliedstaaten durchsetzen. Andere Reformelemente sind wichtiger für die Eurozone.- Deutschland und Frankreich haben sich schon auf ein Konstrukt für ein Eurozonen-Budget geeinigt. Was ist davon zu halten?Dieser Plan hat zwei Probleme. Es gibt keine flankierenden Maßnahmen, um ein Gleichgewicht zwischen Marktdisziplin und Solidarität zu schaffen. Und außerdem brauchen wir kein Budget, über das jährlich im Rahmen des EU-Haushalts Gelder fließen. Wir brauchen etwas völlig anderes, nämlich ein Budget, das Ländern in außergewöhnlichen Krisensituationen hilft. Man braucht eine Versicherung doch nur für den Fall eines größeren Schadens, von dem man vorher nicht weiß, ob und in welchem Land er eintritt.- Sie sprechen von einer Art Schlechtwetterfonds, wie ihn zum Beispiel auch der IWF schon für die Eurozone gefordert hat?Ja, genau. Wenn es aber in Richtung der deutsch-französischen Vorschläge gehen würde, wäre das einzig positive, dass damit das Signal gesendet würde, dass es einen Willen zur politischen Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern gibt. Aber wenn wir schon so weit sind, dass wir das Falsche tun, nur um zu zeigen, dass wir überhaupt noch etwas gemeinsam tun können, dann ist das eigentlich auch ein Alarmsignal.- Eine alternative Fiskalkapazität wäre die Schaffung einer europäischen Arbeitslosenversicherung. Was halten Sie davon?Das wäre dann eine gute Alternative, wenn sie so organisiert würde, dass sie nur bei großen Wirtschaftskrisen zum Einsatz käme. Es geht um asymmetrische Schocks. Wir brauchen keine europäische Arbeitslosenversicherung für den Normalfall.- Die Reformdebatte in der Eurogruppe dreht sich zurzeit hauptsächlich um eine Weiterentwicklung des Europäischen Stabilitätsmechanismus. Stichwort: Europäischer Währungsfonds. Sollte der ESM mehr Kompetenzen erhalten und eine wichtigere Rolle bei künftigen Krisenbewältigungen spielen?Die Eurozone braucht einen ESM. Die Analogie zum IWF ist aber nicht ganz glücklich, weil die Summen beim ESM viel größer sind. Außerdem hängt der IWF ja an den Notenbanken, und aus guten Gründen hängt der ESM nicht an der EZB, monetäre Staatsfinanzierung ist in der Eurozone verboten. Was besser werden muss, ist unter anderem die Entscheidung über die Nachhaltigkeit der Staatsfinanzen in Krisenstaaten. Das ist eine Lehre aus der Griechenland-Krise, wo die Schulden zu spät und dann nicht konsequent genug restrukturiert wurden.Das Interview führte Andreas Heitker.