IM BLICKFELD

Erhitzte Gemüter wegen Stuttgart 21

Von Gerhard Bläske, Stuttgart Börsen-Zeitung, 22.11.2012 Die Einfahrt in den Stuttgarter Hauptbahnhof bietet ein erbärmliches Bild. Vor sich hinrottende Bahnsteige, ein notdürftig geflicktes Bahnhofsdach und abgerissene Seitenflügel des...

Erhitzte Gemüter wegen Stuttgart 21

Von Gerhard Bläske, Stuttgart Die Einfahrt in den Stuttgarter Hauptbahnhof bietet ein erbärmliches Bild. Vor sich hinrottende Bahnsteige, ein notdürftig geflicktes Bahnhofsdach und abgerissene Seitenflügel des Hauptgebäudes sind alles andere als eine Visitenkarte für die dynamische Metropole einesder wirtschaftlichen Herzstücke Europas. Dreimal entgleisten in den letzten Monaten bereits Züge. Es kam wochenlang zu stundenlangen Verspätungen und Umleitungen, weil mehrere Gleise nicht zur Verfügung standen. Besserung ist so schnell nicht in Sicht. Der neue Tiefbahnhof Stuttgart 21 ist noch in weiter Ferne. Die grün-rote Landesregierung ist tief zerstritten, was zu weiteren Verzögerungen bei dem Projekt führt.Die Ergebnisse der Volksabstimmung, die grünes Licht für Stuttgart 21 gegeben hatte, sind zwar nicht in Frage gestellt, obwohl mit dem grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann und demnächst dem ebenfalls grünen Stuttgarter Oberbürgermeister Fritz Kuhn zwei Bahnhofsgegner im Ländle regieren. Die Uneinigkeit zwischen den Koalitionspartnern Grüne und SPD in der Landesregierung verzögert das Projekt jedoch immer weiter.Aktueller Grund ist die Diskussion über eine bessere Anbindung des Flughafenbahnhofs an den geplanten Tiefbahnhof in Stuttgart. Im Rahmen des sogenannte Filderdialogs sollten vor allem auf Wunsch der Grünen die Bürger besser in die Diskussion einbezogen werden. Nach intensiven Gesprächen einigten sich die Projektpartner – im Wesentlichen Bahn, Land und Stadt – darauf, neben der Flughafenanbindung auch eine Variante zu prüfen, die ein engeres Zusammenrücken des Fernbahnhofs am Airport mit der S-Bahn und eine bessere Verzahnung mit dem Innenstadtbahnhof vorsieht. Nach Berechnungen der Bahn kostet diese Variante aber 224 Mill. Euro mehr. Weitere 30 Mill. Euro für eine zweigleisige ICE-Anbindung kämen hinzu. Da auch für einen verbesserten Brandschutz bzw. weitere Maßnahmen zusätzliche Kosten anfallen, lässt sich der ursprüngliche Kostendeckel von 4,52 Mrd. Euro nicht mehr einhalten. Streit um MehrkostenLandesregierung und Bahn streiten darüber, wer die Mehrkosten für die bessere Anbindung des Flughafenbahnhofs übernehmen soll. Während die Grünen der Auffassung sind, die Bahn müsse zahlen, sehen die Koalitionspartner und die Opposition die Notwendigkeit einer Beteiligung auch von Land und Stadt bzw. Flughafen. Die Fertigstellung des Projekts verzögert sich durch die Diskussion weiter. Edgar Neumann, Sprecher des baden-württembergischen Verkehrsministeriums, teilt auf Anfrage mit, die Bahn habe ihre Machbarkeitsstudie erst im Oktober vorgelegt. Das Papier werde nun unter Beteiligung externer Gutachter intensiv geprüft. Lange Zeit sei auch die Bahn davon ausgegangen, dass die neue Variante günstiger komme als die alte. Im Übrigen müsse man auch noch einmal sehen, inwieweit die Alternativvariante verkehrstechnisch tatsächlich besser sei. Regierung blockiertHandelte es sich lediglich um einen Gegensatz zwischen Landesregierung und Bahn, wäre es vermutlich leichter, eine Lösung zu finden. Das Problem ist aber, dass die Regierungskoalition selbst uneins ist. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag, Edith Sitzmann, ist dagegen, den Kostendeckel anzuheben, und will die Zusatzkosten für die bessere Anbindung des Flughafens der Bahn aufbürden. Verkehrsminister Winfried Hermann lehnt eine höhere Beteiligung des Landes, das etwa 1 Mrd. Euro zu dem Projekt beiträgt, ebenfalls ab. Dagegen schlug SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel vor, die Zusatzkosten in einen Extratopf zu verlagern. Die Mehrkosten für eine bessere Anbindung könne man nicht einfach bei der Bahn ablagern, die mit 1,75 Mrd. Euro bereits nach den jetzigen Plänen den größten Teil des Vorhabens finanziert. Die SPD-Abgeordnete Rosa Grünstein drohte sogar damit, dass die SPD notfalls mit der Opposition aus CDU und FDP stimmt. Diese quittierte die Äußerungen mit Häme und zeigte sich offen für ein solches Bündnis. Ministerpräsident Kretschmann, der zunächst Gesprächsbereitschaft bekundet hatte, beendete die für seine Regierung unrühmliche Diskussion mit der Bemerkung, “vorerst” gelte der Kostendeckel.Wie es nun weitergeht, ist noch völlig unklar. Entscheidend ist nun, dass sich die Landesregierung selbst eine Meinung bildet, ob sie grundsätzlich dazu bereit ist, sich an den Mehrkosten für eine gegenüber der Ursprungsplanung verbesserte Variante zu beteiligen. Die Bahn will und kann maximal bis Ende Januar warten. Spätestens dann muss eine endgültige Entscheidung fallen, sagt Stuttgart-21-Sprecher Wolfgang Dietrich. Ohne eine Einigung über die Finanzierung der im Filderdialog gewünschten Variante will die Bahn das alte Projekt wie zunächst geplant durchziehen – ohne Zusatzkosten für Land, Flughafen oder Stadt. Bei der Bahn vertritt man die Auffassung, eine bessere Ausstattung koste nun mal mehr Geld und die dafür nötigen Mehrkosten könne man nicht einfach ihr aufbürden. Wie stark sich die Verzögerungen auf den Fertigstellungstermin auswirken werden – bisher soll der Tiefbahnhof in Stuttgart 2020 fertig sein -, ist noch nicht absehbar. Dietrich geht von “Verzögerungen” aus, sieht sich aber nicht in der Lage, konkreter zu werden.Weitere Zusatzkosten etwa für einen verbesserten Brandschutz, der wegen einer Verschärfung der Brandschutzvorschriften notwendig ist, fallen im Vergleich kaum ins Gewicht – ebenso wenig wie die Probleme beim Grundwassermanagement.Die Landesregierung, die schon bei der Vorlage des Budgets für 2013 nicht gerade ein vorteilhaftes Bild abgegeben hat, bekleckert sich einmal mehr nicht eben mit Ruhm. Die Opposition jedoch, die sich nach dem unrühmlichen Abgang von Ex-Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) und der Diskussion um die Umstände des Erwerbs einer Beteiligung am Energiekonzern EnBW in einer Art Schockstarre befindet, kann aus der Schwäche und Zerstrittenheit der Landesregierung bisher keinen Profit schlagen und ist mehr mit sich selbst als mit einer echten Oppositionsarbeit beschäftigt. Die Zeit wird knappDie Finanzierung möglicher Mehrkosten wäre in der Sache gar nicht so problematisch. Über die zehn Jahre Bauzeit hinweg ergeben sich pro Jahr Zusatzkosten von etwa 24 Mill. Euro, die sich auch noch auf die verschiedenen Projektpartner verteilen. Das sollte eine verbesserte Anbindung des Flughafens, von der der Airport, die Stadt und das Land über Jahrzehnte profitieren, im Zweifelsfall schon wert sein. Doch bevor man in Verhandlungen eintritt, muss man sich in Stuttgart auf eine gemeinsame Position einigen. Die Zeit wird langsam knapp.