IM GESPRÄCH: MARCO FORTIS

"Erstmals seit langer Zeit starten wir das neue Jahr mit einem Wachstum"

Der ökonomische Berater der Regierung Renzi kritisiert die Austeritätspolitik in Brüssel und diagnostiziert eine positive wirtschaftliche Trendwende in Italien

"Erstmals seit langer Zeit starten wir das neue Jahr mit einem Wachstum"

Von Thesy Kness-Bastaroli, MailandItaliens Regierung hat zur Wochenmitte die für 2016 geplante teilweise Abschaffung der Unternehmenssteuer Ires auf 2017 verschoben. Die damit doch nicht wegfallenden 2 Mrd. Euro an Steuergeldern können nun in mehr Sicherheit investiert werden. Der Ökonom Marco Fortis, Berater der Regierung Renzi, zeigt sich zufrieden. Vor dem Hintergrund der wachsenden Terrorismusgefahr sei es richtig, die Investitionen für mehr Sicherheit zu erhöhen, sagte er im Gespräch mit der Börsen-Zeitung – zumal diese auch in den Genuss der Flexibilitätskriterien bei der Defizitbeurteilung kommen. Auch ohne den Abbau der Ires erhalten die italienischen Unternehmer 2016 mehrere Steuervorteile durch die ihnen eingeräumten “Superabschreibungen”, die Abschaffung der “Maschinensteuer” und der landwirtschaftlichen Immobiliensteuer.Fortis kritisiert, dass Brüssel nicht nur mit der Griechenland-Krise, sondern auch mit dem Euro falsch umgegangen sei und in der Eurozone keinerlei Marketingpolitik betrieben habe. “Es gleicht einem Wahnsinn, dass durch die Austeritätspolitik der Konsum in einem Markt von über 100 Millionen Bürgern (Italien plus Spanien) gedrosselt wurde.” Laut Fortis ist es der Kommission in Brüssel inzwischen durchaus bewusst, dass der “Fiscal Compact”, der Europäische Fiskalvertrag, ein veraltetes und nicht adäquates Instrument sei, das überarbeitet werden müsse.Auf die Frage, ob die äußerst vorsichtige Reaktion der zuständigen EU-Kommission auf Italiens Stabilitätsgesetz 2016 mit einer auf Frühjahr 2016 aufgeschobenen Beurteilung nicht Anlass zu Sorgen gebe, meinte der Wirtschaftsprofessor: “Ich sehe keinerlei Vorsicht. Der Aufschub auf die Frühjahrsmonate ist pure Formalität.” Es sei einzig wichtig, dass der Neuverschuldungstrend im Sinken sei, ob es sich jetzt um eine oder zwei Dezimalstellen mehr oder weniger handele, sei nicht relevant. Nach den jüngsten Prognosen des Wirtschaftsforschungsinstitutes Prometeia wird Italiens Wirtschaft 2016 mit 1,2 % sogar stärker wachsen als die in Deutschland (1,1 %). Warten auf die InvestitionenWichtigster Wachstumsmotor ist der Inlandskonsum. Die Investitionen liegen noch weitgehend brach. Aber 2016 werden laut Fortis auch die Investitionen durch die eingeräumten Steuererleichterungen kräftiger zulegen. In der verarbeitenden Industrie habe sich bereits seit dem dritten Quartal eine Investitionsbelebung – etwa in der Maschinen- und Pharmaindustrie – gezeigt. Für 2016 zeigt sich der Wirtschaftswissenschaftler zuversichtlich: “Erstmals seit langer Zeit starten wir das neue Jahr mit einem Wachstum.” Im Oktober habe sich auch das Vertrauensklima laut ESI (Economic Sentiment Indicator) gegenüber dem Vorjahr mit 11,3 Punkten erhöht, mehr als in jedem anderen EU-Land.Italien ist nach Griechenland der meistverschuldete Staat in der Eurozone. Derzeit machen die Schulden 133 % des BIP aus. Doch für den Berater der Regierung Renzi ist dies kein Problem. Denn nur ein Drittel der Schulden entfalle auf das Ausland. Italien weise weniger Auslandsschulden als andere EU-Länder auf; zugleich werde die Neuverschuldung unter der 3-Prozent-Grenze gehalten. Auch weise Italien seit Jahren einen Überschuss in der Primärbilanz auf.Für Fortis bildet die Vielzahl der Familienunternehmen das Rückgrat der italienischen Wirtschaft. “Vier oder fünf zusätzliche Multis würden zwar nicht schaden”, räumte er ein. Doch hätten sich die mittelständischen Unternehmen während der Krise vielfach umstrukturiert und modernisiert. Bestes Zeichen für die Vitalität der verarbeitenden Industrie sei ihre Außenhandelsbilanz. Der Überschuss habe sich im ersten Halbjahr 2015 gegenüber dem Vorjahr verdoppelt.Nicht zur erhofften Konsolidierung geführt hat die von der Regierung erlassene Reform bei den Volksbanken. “Die Volksbanken müssen erst ihre Bilanzen in Ordnung bringen, sich in Aktiengesellschaften wandeln und zum Teil an der Börse notieren, bevor es zu entsprechenden Fusionen kommt. Zumindest hat die Reform die Volksbanken veranlasst, ihre Strategien zu ändern, um sich den EZB-Vorgaben anzupassen.” Fortis verwies aber auf die positiven Auswirkungen der Arbeitsmarktreform mit 240 000 neuen, unbefristeten Arbeitsverträgen. Renzis eiserner WilleDie Steuererleichterungen für niedrige Einkommensschichten, der Bonus von 80 Euro monatlich, haben den privaten Verbrauch belebt. Als wichtigste Reform für die Zukunft sieht er den Umbau der öffentlichen Verwaltung an. Dafür benötige es politische Stabilität. “Ich erwarte mir nach dem Referendum über die Verfassungsreform und nach der endgültigen Verabschiedung der Wahlrechtsreform im Herbst 2016 mehr Stabilität.” Auf die Frage, was der Unterschied zwischen der Regierung Renzi und seinen Vorgängern sei (Fortis war auch Wirtschaftsberater der Regierungen Prodi, Berlusconi und Monti), meinte er: “Regierungschef Renzi besitzt Führungsqualitäten. Und den eisernen Willen, das Land zu reformieren.”