IM INTERVIEW: ANDREAS DOMBRET

"Es gibt weiterhin großen Handlungsbedarf"

Das Bundesbankvorstandsmitglied über die nächsten Finanzreformen, die zunehmenden Risiken der Niedrigzinspolitik und Gefahren im deutschen Finanzsystem

"Es gibt weiterhin großen Handlungsbedarf"

– Herr Dombret, alle Welt schaut derzeit gebannt in die Ukraine. Wie besorgt sind Sie als jemand, der für Finanzstabilität zuständig ist, über die Entwicklungen?Die unmittelbaren Folgen für die Finanzstabilität erscheinen heute relativ begrenzt. Die Ukraine ist nur in geringem Maße in das internationale Finanzsystem eingebunden: Ihr Beitrag zum globalen Bruttoinlandsprodukt beträgt nur rund 0,25 %. Das Exposure europäischer Banken ist überschaubar – bei deutschen Banken waren es laut jüngsten Zahlen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich rund 1 Mrd. Dollar.- Das klingt, als käme noch ein Aber.Ja, denn natürlich gibt es trotz dieser Fakten das Potenzial für negative Vertrauenseffekte an den Märkten, solange die politischen Spannungen anhalten. Und wir alle wissen spätestens seit Lehman, was für verheerende Folgen ein Vertrauensverlust an den Märkten haben kann. Das direkte Exposure europäischer Banken ist dann eher zweitrangig.- Ab wann drohen solche größeren Gefahren für die Finanzstabilität? Wenn es zu harten Wirtschaftssanktionen gegen Russland kommt, gar einem Handelskrieg?Die EU hat nun erste Sanktionen gegen Russland beschlossen, unter anderem Kontensperrungen für einige russische Bürger. Wir als Bundesbank kommen bei der Umsetzung dieser Finanzsanktionen unserer gesetzlichen Aufgabe nach und haben die in Deutschland ansässigen Banken entsprechend informiert. Über weitere Schritte werde ich nicht spekulieren. Eines aber ist klar: Dies ist eine Situation, die man sehr genau beobachten muss und die sehr viel Einfühlungsvermögen und Fingerspitzengefühl erfordert. Grundsätzlich wäre es zu begrüßen, wenn der IWF sich im Rahmen seines Mandats in der Ukraine engagieren würde.- Neben der Ukraine steht derzeit China im Fokus. Da sind die Sorge um Risiken im Schattenbanksektor und die Angst vor einer “harten Landung” der Wirtschaft. Wie schätzen Sie die Lage ein?Wir beobachten das starke Wachstum des chinesischen Schattenbanksystems sehr aufmerksam. Das macht im Übrigen auch die chinesische Zentralbank. Das Bewusstsein in China für die Risiken hat deutlich zugenommen, und das ist positiv. Zugleich sollte man aber auch bedenken, dass China weiter erheblichen finanziellen und wirtschaftspolitischen Spielraum hat, um Problemen im Schattenbankensystem entgegenzuwirken und Belastungen für das gesamte Finanzsystem aufzufangen.- Und wie steht es aus Ihrer Sicht um Chinas Wirtschaft?Wir erwarten keine harte Landung der chinesischen Wirtschaft. Es gab jüngst zwar einige schwächere Konjunkturdaten, die aber womöglich durch Sonderfaktoren geprägt waren. Deswegen sollte man sie nicht überbewerten.- Zuletzt hat China mit der Entscheidung überrascht, das Handelsband für die Landeswährung Renminbi auszuweiten. Das war erst später erwartet worden. Wie beurteilen Sie das?Auch wenn das Handelsband nicht sehr groß erscheint – diese Ausweitung ist ein begrüßenswerter Schritt in Richtung einer weiteren Flexibilisierung des chinesischen Wechselkurses. Das gilt umso mehr, als weitere grundlegende Reformen angekündigt sind: ein Pilotprojekt zur Zulassung privater Banken und die Liberalisierung der Einlagezinsen. Insgesamt sind dies wichtige Signale, dass China es ernst meint mit seiner Ankündigung, den Marktkräften eine größere Rolle in der Wirtschaft einzuräumen. Dies werte ich als eine gute Nachricht für das globale Finanzsystem und die globale Finanzstabilität.- Keine guten Nachrichten sind dagegen die Turbulenzen in den Schwellenländern.In der Tat sehen wir an den Finanzmärkten vieler Schwellenländer eine hohe Volatilität. Hintergrund sind die dynamischen Kapitalzuflüsse in diese Länder in den vergangenen Jahren, die sich nun wegen der politischen Unsicherheiten und des “Tapering” der US-Notenbank, also der Reduzierung der Anleihekäufe in den USA, teilweise umkehren. Die aktuelle Phase kann insofern auch als eine Normalisierung betrachtet werden.- Und wie schätzen Sie die Gefahren ein, die noch von der Euro-Krise für die Finanzstabilität ausgehen? Zuletzt hat sich die Krise beruhigt. Einige halten das aber für eine trügerische Ruhe.Im Euroraum sind viele Länder und ihre Banken auf einem guten Weg. Das Wichtigste ist jetzt, dass nicht nachgelassen wird. Es gilt, jeder Reformmüdigkeit zu widerstehen.- Ein anderes Risiko sind mögliche neue Übertreibungen an den Märkten. Sehen Sie angesichts der enormen Liquidität weltweit in einzelnen Segmenten bereits Exzesse ähnlich jenen vor Ausbruch der Finanzkrise 2007/2008?Es gibt zweifelsohne wieder eine ausgeprägte Suche nach Rendite – was ein schlechtes Zeichen ist und daher von Zentralbankern immer besonders intensiv beobachtet wird. In Teilen des Kreditmarktes in den USA, aber teils auch schon in Europa, sehen wir wieder Tendenzen, die wir so auch vor Ausbruch der Weltfinanzkrise gesehen haben. Stichworte sind “Covenant Lite Loans” und dergleichen mehr.- Also Unternehmenskredite mit sehr lockeren Klauseln.Ja, diese sind in den USA schon wieder auf Rekordniveaus gestiegen. Was die deutschen Banken betrifft, haben wir allerdings noch keine Anzeichen, dass die zunehmende Jagd nach Rendite zu systemischen Verwerfungen führt. Wir sehen auch hierzulande, dass Banken, aber auch Versicherer und andere Investoren, wegen des Niedrigzinsumfelds in stärkerem Maße Risiken eingehen, allerdings ohne, dass es bisher zu Übertreibungen gekommen wäre. Trotzdem müssen wir sehr wachsam bleiben – und das tun wir auch.- Der Chefvolkswirt der Bank der Notenbanken BIZ, Claudio Borio, warnt davor, dass auch die Zentralbanken Fehler der Vergangenheit wiederholen und ihre Leitzinsen angesichts niedriger Inflation zu lange zu niedrig halten – ohne die Risiken für die Finanzstabilität ausreichend zu berücksichtigen.Zunächst muss man festhalten, dass die expansive Geldpolitik in der Krise einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung geleistet hat. Genauso richtig ist aber: Mit den außergewöhnlich niedrigen Zinsen gehen Risiken und Nebenwirkungen einher, die zunehmen, je länger die Niedrigzinsphase anhält. Wenn die niedrigen Zinsen als Normalzustand empfunden werden, können von ihnen Fehlanreize ausgehen, die möglicherweise den Keim für die nächste Finanzmarktblase bilden.- Einige ziehen daraus den Schluss, dass Zentralbanken neben den Güter- auch Vermögenspreise im Blick behalten und sich falls nötig mit Zinserhöhungen gegen Übertreibungen stemmen sollten.Wenn Marktteilnehmer im Fall einer Krise erwarten, dass die Notenbank sie auffangen wird, kann sie das dazu verleiten, übermäßige Risiken einzugehen. Ich sehe die Geldpolitik natürlich dann gefordert, wenn aus Finanzmarktübertreibungen erkennbar Risiken für die Preisstabilität folgen. Aber klar ist auch: Der Leitzins ist per se ein zu stumpfes Instrument, um gegen Fehlentwicklungen in einzelnen Vermögensmärkten vorzugehen. Vermögenspreisblasen lassen sich im Sinne einer ersten Verteidigungslinie besser durch andere Instrumente adressieren, vor allem durch makroprudenzielle Instrumente.- Wie etwa die antizyklischen Kapitalpuffer?Ja, zum Beispiel. Solche Instrumente hatten wir früher nicht zur Verfügung. Sie können jetzt helfen, die Risiken aus einer anhaltenden Niedrigzinspolitik besser einzudämmen – und sie können zudem viel zielgenauer eingesetzt werden.- Aber sie sind wenig erforscht und es gibt kaum Erfahrungen. Einige Experten vergleichen das mit dem Stand des Wissens über die Geldpolitik in den 1960er Jahren.Es ist richtig, dass wir mit der makroprudenziellen Politik so gut wie keine Erfahrungen haben. Aber der institutionelle Rahmen steht: Mit den neuen Basel-Vorgaben und deren Umsetzung in Europa durch CRD IV und CRR I sind die entsprechenden Instrumente verfügbar. Das ist deutlich besser als nichts. Zudem setzen einige europäische Länder wie die Schweiz antizyklische Kapitalpuffer bereits ein. Man sollte meiner Meinung nach die Möglichkeiten der makroprudenziellen Aufsicht nicht über-, aber auch nicht unterschätzen.- Die Schweizer Nationalbank (SNB) nutzt die Puffer, um Übertreibungen am Wohnimmobilienmarkt einzudämmen. Ist sie Ihrer Meinung nach erfolgreich?Für eine abschließende Bewertung ist es noch zu früh. Eines kann man als Zwischenergebnis aber sicher festhalten, nämlich wie wichtig der rechtzeitige Einsatz solcher Instrumente ist, da sie nicht über Nacht wirken.- Könnte die SNB Vorbild für die Bundesbank sein – falls Sie zum Urteil kommen, dass doch am deutschen Immobilienmarkt als Ganzes eine Überhitzung droht?Mit den makroprudenziellen Instrumenten kann man die Risiken aus dem Niedrigzinsumfeld adressieren – natürlich auch in Deutschland. Im Moment steht dies aber nicht auf der Tagesordnung.- Nochmal zurück zur Geldpolitik: Die BIZ warnt, dass der Ausstieg aus der lockeren Geldpolitik für die Zentralbanken diesmal noch schwieriger wird als in der Vergangenheit schon, weil die Leitzinsen so lange wie nie so niedrig wie nie sind und sie zu neuen, unkonventionellen Maßnahmen gegriffen haben. Wie groß ist die Gefahr für die Finanzstabilität?Der Kurswechsel hin zu einer weniger expansiven Geldpolitik, wie ihn die USA vorgenommen haben, ist sicher mit großen Herausforderungen verbunden. Vor allem die Kommunikation ist extrem wichtig, um nicht beabsichtigte Ausschläge an den Finanzmärkten zu verhindern. Diese Herausforderungen dürfen einen aber nicht davon abhalten, zu tun, was nötig ist. Einen notwendigen Ausstieg darf man nicht aus Angst vor negativen Reaktionen der Märkte hinauszögern. Das wäre aus meiner Sicht fahrlässig.- Nach der Weltfinanzkrise haben sich die G20-Staaten 2009 geschworen, das Finanzsystem sicherer zu machen. Aber ist das wirklich gelungen?Es wurden ohne Frage wichtige Fortschritte gemacht. Die schärferen Eigenkapitalvorgaben für Banken, also Basel III, sind ein Meilenstein. Aber das ist längst nicht alles, es gibt weiterhin großen Handlungsbedarf, damit das System noch krisenfester wird.- Beim Umgang mit großen, systemrelevanten Banken – der Too-big-to-fail-Problematik – scheint es kaum Fortschritte zu geben. Viele sehen das als zentral an.Das Too-big-to-fail-Problem ist leider immer noch nicht vollständig gelöst. Wir sind zwar konzeptionell weit vorangekommen, aber die Umsetzung hält damit nicht Schritt. Was so lange nach der Lehman-Pleite eigentlich erschütternd ist.- Aber woran liegt das?Die Aufgabe ist extrem komplex. Wir haben inzwischen Regelwerke zur Identifikation und zum aufsichtlichen Umgang mit solchen Sifis, wie wir sie nennen, geschaffen. Diese Regeln werden mit Übergangsfristen umgesetzt. So gelten zum Beispiel besondere Eigenkapitalzuschläge für Sifis ab 2016. Zudem müssen wir Vorgaben für Abwicklungsregime von Sifis weiter konkretisieren. Das betrifft vor allem die für den Abwicklungsfall vorzuhaltende Verlustabsorptionsmasse – die sogenannte “Gone Concern Loss Absorbing Capacity”. Dies ist eine der Top-Prioritäten für dieses Jahr.- Wo sehen Sie weiteren akuten Handlungsbedarf?Wir müssen die Widerstandsfähigkeit der Finanzinstitute weiter stärken. Da ist viel passiert, aber wir sind noch nicht da, wo wir hinwollen. Bei der Liquidität stehen weitere Arbeiten an. Dann müssen wir die Schattenbanken regulieren und überwachen. Und wir müssen die Derivatemärkte sicherer machen, vor allem die außerbörslichen. Hierbei ist international die grenzüberschreitende Wirkung unterschiedlicher Regulierung weiter ein zentraler Konfliktpunkt.- Einige Experten sagen, es brauche für Banken deutlich höhere Eigenkapitalvorgaben.Man könnte natürlich auch ganz hohe Eigenkapitalquoten verlangen. Aber die Banken würden ihr Kreditgeschäft dann so stark zurückführen, dass es erhebliche Auswirkungen auf die wirtschaftliche Aktivität hätte. Ist es das, was wir erreichen wollen? Zumal so kurz nach einer derart schweren Krise? Dies heißt aber nicht, dass wir Basel III nicht permanent weiterentwickeln müssen.- Was bedeutet das konkret?Das heißt beispielsweise, dass künftig auch Staatsanleihen mit Eigenkapital unterlegt werden müssen. Zudem müssen wir uns intensiv um die Risikomodelle der Banken kümmern.- Sie zielen ab auf Untersuchungen der EU-Bankenaufsicht EBA, nach denen die Bewertungen der Banken bei gleichen Risiken aufgrund dieser Modelle teils stark auseinanderdriften – mit Folgen für den ermittelten Eigenkapitalbedarf?Ja, genau. Die großen Abweichungen irritieren mich und machen mich sehr nachdenklich. Sie sind so signifikant, dass die Aufseher darüber nicht einfach hinweggehen werden. Sie zeigen auch, dass die Leverage Ratio als zusätzliche Korrekturgröße gebraucht wird. Generell aber gilt: Regulierung allein kann nicht alle Probleme lösen – es braucht auch ein Umdenken der Branche.- Sehen Sie dieses Umdenken? Viele Banken haben sich ja einen Kulturwandel verordnet.Ehrlich gesagt eher eingeschränkt. Wir sehen sicher Fortschritte. Früher schien Banken alles vertretbar, was nicht verboten war. Jetzt fragen sie sich stärker, ob etwas nicht trotzdem falsch sein kann, auch wenn es nicht ausdrücklich verboten ist. Das Aufspüren von Gesetzeslücken kann ja kein nachhaltiges Geschäftsmodell sein. Aber das Umdenken geht mir noch nicht weit genug. Da muss aus einigen Banken noch mehr kommen, finde ich.- Derzeit sind viele Banken aber stark beschäftigt mit Skandalen rund um Manipulationen bei Referenzzinssätzen wie Libor oder womöglich auch am Devisenmarkt. Wie groß ist die Gefahr, dass diese das ganze Wirtschafts- und Finanzsystem in Verruf bringen?Auch wenn hieran nur wenige Banken beteiligt waren, sind die Integrität und die Glaubwürdigkeit der Finanzmärkte erschüttert. Da tun sich teilweise Abgründe auf und meine Vorstellungskraft, wo manipuliert werden kann, ist weit überschritten worden. Deswegen werden diese Probleme adressiert, etwa durch neue Marktmissbrauchsvorschriften in der EU. Aber noch einmal: Die Regulierung kann den Kulturwandel anstoßen, aber die Banken müssen ihn leben.- Aktuell beklagen viele Banken eine Überregulierung.So etwas ist schnell in den Raum gestellt und behauptet, aber konkrete Gefahren einer Überregulierung des Bankensektors sehe ich nicht. Die Regulierung hat zwei Ziele: die Stabilität des Finanzsystems und die Sicherstellung der Finanzierung der Wirtschaft. Dazu gibt es keine Alternative und es werden von staatlicher Seite auch keine Abstriche gemacht. Und wir haben die Auswirkungen stets im Blick und beteiligen die Betroffenen. Wir machen keine Regulierung aus dem Elfenbeinturm heraus.- Wie sehen Sie denn aktuell die deutschen Banken aufgestellt, mit Blick auf das anhaltende Niedrigzinsumfeld, aber auch mit Blick darauf, wie sie auf das Zinsänderungsrisiko vorbereitet sind?Lassen Sie mich dazu zunächst sagen, dass die deutschen Banken seit 2008 ihre Kernkapitalquoten im Durchschnitt kontinuierlich erhöht haben. Die zwölf großen, international tätigen Banken haben im Schlussquartal 2013 ihre Kernkapitalquoten auf 15,9 % erhöht. Gleichzeitig sank ihr Verschuldungsgrad. Das sind zwei positive Entwicklungen, auf die ich hinweisen möchte.- Und wie steht es um Sparkassen und Genossenschaftsbanken?Noch sind die Auswirkungen des Niedrigzinsumfelds auf Sparkassen und Genossenschaftsbanken nur begrenzt aus ihren Gewinn-und-Verlust-Rechnungen abzulesen. Aber natürlich erhöht sich der Druck auf ihre Ertragslage, wenn die niedrigen Zinsen anhalten. Grundsätzlich sollten sich Institute, die stark vom Zinseinkommen abhängig sind, überlegen, wie sie in Zukunft Erträge erzielen können, und ihr Geschäftsmodell überprüfen, wenn sie davon ausgehen, dass die Zinsen noch längere Zeit niedrig bleiben.- Und wie sieht es mit dem Zinsänderungsrisiko aus, wenn es also eine Wende der Zentralbanken zu einer restriktiveren Geldpolitik gibt – sind die deutschen Banken darauf ausreichend vorbereitet?Das hängt nicht zuletzt von ihrer Größe ab. Größere Institute sind relativ gut aufgestellt, kleine sind stärker herausgefordert, sich gegen das Zinsänderungsrisiko abzusichern. Ein starker Zinsanstieg stellt vor allem für Sparkassen und Genossenschaftsbanken ein Risiko dar, weil sie in nicht unerheblichem Ausmaß Fristentransformation betreiben. Aber eines sollte man zu diesem Thema auch sagen: Ein Zinsanstieg belastet die Ertragslage zwar vorübergehend, ein Niedrigzinsumfeld aber dauerhaft. Mittelfristig andauernd niedrige Zinsen sind also ein größeres Risiko für die Ertragskraft als ein Zinsanstieg.- Die Bundesbank sieht auch die deutschen Lebensversicherer wegen des Niedrigzinsumfelds zunehmend unter Druck. Nun will die Regierung den Konzernen helfen. Was halten Sie davon?Für die deutschen Lebensversicherer stellt das Niedrigzinsumfeld ein beachtliches Gefährdungspotenzial dar. Das ist – stark vereinfacht – vor allem auf die hohen Zinsgarantien für Altverträge zurückzuführen. Das Maßnahmenpaket der Bundesregierung zielt darauf, die Risikotragfähigkeit der Lebensversicherer zu stärken.- Sie halten es also für richtig? Umstritten ist vor allem die Absicht, die Vorgaben zur Beteiligung der Kunden an den sogenannten Bewertungsreserven zu ändern.Es geht aus unserer Sicht darum, einen soliden und nachhaltigen regulatorischen Rahmen zu finden, der die negativen Auswirkungen des anhaltenden Niedrigzinsumfeldes reduziert. Bewertungsreserven bestehen zunächst einmal nur auf dem Papier. Und es muss berücksichtigt werden, dass ihnen stille Lasten gegenüberstehen. Denkbar wäre also, dass künftig nur ein Teil der Bewertungsreserven ausgeschüttet würde – und zwar der Teil, der über die stillen Lasten hinausgeht. Das ist aber eine Entscheidung, die die Politik fällen muss.- Wenn Sie sagen, dass das Problem die Zinsgarantien sind – heißt das auch, dass das Geschäftsmodell auf den Prüfstand gehört?In einer Marktwirtschaft müssen Geschäftsmodelle immer wieder selbstkritisch hinterfragt werden. Das ist in allen Branchen Teil der unternehmerischen Verantwortung. Die aktuelle Lage zeigt, dass die Versicherungsbranche mit dem aktuellen Modell in einer langen Niedrigzinsphase erhebliche Probleme bekommt. Und das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass eine Mindestverzinsung garantiert wird.- In der Eurozone laufen die Vorbereitungen für die Bankenunion. Vor der Übernahme der Bankenaufsicht durch die EZB durchleuchtet sie die Banken. Viele Institute klagen über exzessive Abfragen.Zunächst einmal: Die Bankenunion ist das bedeutendste Reformprojekt auf europäischer Ebene seit der Einführung des Euro. Die einheitliche Bankenaufsicht ist wichtig, um einen unverzerrten Blick auf Banken zu ermöglichen, um notwendige Maßnahmen von nationalem Einfluss zu befreien und um das dringend nötige Vertrauen in Europas Banken zurückzubringen. Das Ziel ist diese Anstrengungen allemal wert.- Einige Banker fürchten, dass Informationen vorab durchsickern, weil sich Bilanzprüfung und Stresstest ein Jahr hinziehen, und das für Unruhe sorgen kann.Die klare Absprache ist, dass alle Ergebnisse des Comprehensive Assessments am Ende mitgeteilt werden, und ich rate allen, sich hieran zu halten. Wir sollten bis dahin jegliche Kakofonie vermeiden, die Volatilität an den Märkten verursachen könnte.- Die EZB hat stets betont, dass zu einer einheitlichen Aufsicht auch eine einheitliche Abwicklung gehört. Nun haben sich EU-Regierungen, Parlament und Kommission auf einen Kompromiss geeinigt. Wie beurteilen Sie die Einigung?Ich begrüße es sehr, dass noch vor den Europawahlen ein Kompromiss gefunden wurde und dass der einheitliche Abwicklungsmechanismus nun zeitnah kommt. Denn wie soll eine gemeinsame Bankenaufsicht ohne gemeinsamen Abwicklungsmechanismus funktionieren? In diesem Zusammenhang finde ich es richtig, dass bei der Haftung zunächst die nationale vor der europäischen Ebene steht, da die Vergemeinschaftung der Mittel des Abwicklungsfonds nur schrittweise erfolgt. Alles in allem bin ich jetzt noch zuversichtlicher, dass die Bankenunion ein Erfolg wird.Das Interview führte Mark Schrörs.