IM INTERVIEW: PETER BOFINGER

"Es ist ein Spiel mit dem Feuer"

Der Würzburger Ökonom hält die Einführung eines Regelwerks für den Umgang mit Staatsinsolvenzen für höchst gefährlich

"Es ist ein Spiel mit dem Feuer"

Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger hält die Kritik seiner Kollegen am unkonventionellen geldpolitischen Handeln der EZB für fehlgeleitet, weil auf falschen Annahmen beruhend. Und das von vielen Ökonomen begrüßte Bail-in-Verfahren der EU im Umgang mit strauchelnden Banken ist seines Erachtens höchst gefährlich, weil es das europäische Finanzsystem der absolut sicheren Aktiva beraubt, die es für den störungsfreien Betrieb braucht.- Herr Bofinger, wieder hat eine Regierung in der Eurozone alles getan, um bloß nicht das seit Jahresanfang geltende Bail-in-Verfahren einsetzen zu müssen: Unter allen Umständen will Rom verhindern, dass Aktionäre und Gläubiger herangezogen werden zur Rettung seiner strauchelnden Banken. Ist Bail-in also das falsche Konzept?Grundsätzlich geht es nie darum, einen Bail-in von Aktionären zu vermeiden. Die Aktionäre der Banca Monte dei Paschi di Siena haben in den letzten fünf Jahren 97,5 % ihres Vermögens verloren. So gesehen funktioniert der Markt durchaus konsequent: Eigentümer müssen für ein schlechtes Management ihres Unternehmens uneingeschränkt mit dem eingesetzten Kapital haften.- Und was ist mit den Gläubigern?Etwas anderes ist der Bail-in von Bankgläubigern. Hierbei handelt es sich in der Regel um sehr risikoscheue Investoren. Würde man in Italien bei einzelnen Banken jetzt einen Bail-in praktizieren, könnte das zu einem flächendeckenden Vertrauensverlust in das gesamte italienische Bankensystem führen. Woher soll ein Bankgläubiger denn wissen, ob seine Hausbank tatsächlich sicher ist?- Aber wäre das nicht gerade eine Einladung, dass sich Banken weiter unbotmäßig verhalten? Und liegt es letztlich nicht in der Verantwortung der Anleger, sich genau zu überlegen, wem sie ihr Geld geben?Bei der Komplexität der Bankgeschäfte ist der einzelne Anleger doch völlig überfordert, wenn er sich ein Bild über die Situation einer Bank machen soll. Wie im Flugverkehr sollte es das Ziel der Aufsicht sein, für eine nahezu hundertprozentige Sicherheit der Einlagen und der regulären, also nicht nachrangigen Anleihen zu sorgen. Der Wettbewerb zwischen den Banken sollte also nicht zu Lasten der Sicherheit gehen. Natürlich heißt das auch, dass die Eigenkapitalgeber der Bank und Investoren, die bewusst eine nachrangige Haftung akzeptieren, diese Sicherheit nicht in Anspruch nehmen können.- Ist das Bail-in-Konzept also grundsätzlich unsinnig? Oder ist es nur in Anbetracht der besonderen Lage in der Eurozone nicht nutzbar?Ein gutes Finanzsystem braucht absolut sichere Aktiva. Wenn Unternehmen, Pensionsfonds und Versicherungen damit rechnen müssen, dass ihre Bankeinlagen über 100 000 Euro in der Krise nicht mehr sicher sind, führt das dazu, dass sich kleinere Störungen sehr schnell zu einem Flächenbrand ausweiten können. Die Erfahrung im Oktober 2008 hat jedenfalls gezeigt, wie wichtig es war, den Bankeneinlegern mit der Erklärung von Merkel und Steinbrück eine eindeutige Garantie für die Stabilität und Sicherheit ihrer Guthaben zu geben.- Aber reden Sie da nicht letztlich öffentlichen Geldinstituten das Wort? Wenn der Staat, also der Steuerzahler, im Grunde genommen für alles garantiert, haben unter diesem Schirm ja keine privaten Institute mehr etwas zu suchen.Alles wird ja nicht garantiert. Die Eigenkapitalgeber und die Inhaber nachrangiger Anleihen würden keineswegs aus der Pflicht genommen. Aber wenn die Aufsicht staatlich ist und es dennoch zu Ausfällen der Bank kommt, die zu Verlusten bei den Bankeinlagen und den regulären Anleihen führen würden, ist es richtig, dass der Staat dann dafür haftet.- Meist muss der Staat in seiner Funktion als Krisenretter ja Rückhalt bei der Notenbank suchen – quasi in ihrer Funktion als Hausbank. Ist Staatsfinanzierung durch Notenbanken fälschlicherweise in der Eurozone verpönt?Die direkte Finanzierung des Staates durch die Notenbank sollte weiterhin ein Tabu bleiben. Ansonsten gäbe es keinerlei Anreize mehr für eine solide Haushaltspolitik.- Aber mit den Anleihekäufen gibt es die Staatsfinanzierung via Notenbanken ja schon – nur nicht direkt, sondern mittelbar.Es ist etwas anderes, wenn die Notenbank Staatsanleihen ankauft, um die langfristigen Zinsen stärker zu reduzieren, als das mit der traditionellen Leitzinspolitik der Fall ist. Selbst die Bundesbank hat aus dieser Motivation heraus im Jahr 1975 in großem Stil Anleihen aufgekauft. Und grundsätzlich blieben die Anleihekäufe der EZB – gemessen am Anleihebestand der Notenbank in Relation zur Wirtschaftsleistung – noch immer deutlich hinter dem “Quantitative Easing” der Bank of England, der Bank of Japan und der Federal Reserve zurück.- Doch bleiben offenbar noch genügend Staatsanleihen übrig, mit denen sich die Banken vollgesogen haben, was das Schicksal der Banken- und Staatssphäre zusammenschweißt. Soll man das entflechten, indem man den Instituten das Halten von Staatsanleihen einschränkt oder unattraktiv (Eigenkapitalunterlegung) macht, wie viele Ökonomen fordern?Wenn man Obergrenzen für das Halten von Anleihen eines bestimmten Landes etabliert, ist das unterer mehreren Aspekten problematisch. Zum einen würde man die deutschen Banken zwingen, die von ihnen präferierten, besonders sicheren deutschen Anleihen aufzugeben und dafür etwa die Anleihen anderer Mitgliedstaaten zu erwerben, die als weniger stabil eingeschätzt werden. Das würde den Wettbewerb zugunsten der ausländischen Anleiheemittenten verzerren.- Und zum anderen?Zum anderen könnte es im Fall einer gravierenden Rezession dazu kommen, dass Staaten ihr Deficit Spending nicht mehr über das Bankensystem finanzieren können. Es könnte sein, dass Banken nicht mehr über freies Eigenkapital für die erforderliche Kapitalhinterlegung neuer Kredite verfügen oder dass sie bereits ihr Großkreditlimit für einen bestimmten Staat erreicht haben. In einer solchen Situation gäbe es dann nur noch die Wahl zwischen einem unkontrollierten Absturz der Wirtschaft oder aber der direkten Finanzierung der Staaten durch die Notenbank, was man ja grundsätzlich vermeiden sollte.- Vielleicht ist es ja dann durchaus sinnvoll, es zum Äußersten zu treiben: einem Staatskonkurs. Halten Sie eine geordnete Insolvenz eines Euro-Staates für möglich?Man könnte sich ja einmal die Frage stellen, ob man eine geordnete Insolvenz der Vereinigten Staaten von Amerika für möglich hält. Und wenn man das für eine absurde Frage hält, ist man relativ schnell bei der Antwort, dass auch die Insolvenz zumindest eines großen Mitgliedstaates eine Undenkbarkeit ist.- Warum eigentlich?Es geht ja nicht nur um die Banken, die dann erhebliche Verluste erleiden würden, sondern auch um den ganzen Versicherungssektor, der in der aktuellen Diskussion über ein Insolvenzregime für Staaten völlig ausgeblendet wird. Mindestens ein Fünftel der ausstehenden Staatsverschuldung des Euroraums wird direkt oder indirekt von Versicherungen gehalten.- Wenn ein Staatskonkurs im Eurorahmen ausgeschlossen wird, wie wollen Sie dann sicherstellen, dass es nicht zu Fehlanreizen und gemeinschaftsschädlichem Fehlverhalten kommt, weil die Regierungen mit einem Bail-out durch finanzkräftigere Staaten oder die Notenbanken rechnen können?Auf Dauer wird man nicht umhinkönnen, die Fiskaldisziplin durch eine stärkere politische Integration zu verbessern. Das in Maastricht konzipierte Modell setzt auf eine Disziplinierung durch die Finanzmärkte und durch den Rat der Wirtschafts- und Finanzminister. Die Finanzmärkte haben sich spätestens mit dem Ausbruch der Finanzkrise als Disziplinierungsinstanz aber diskreditiert. Was qualifiziert Investoren, die in ihrem Herdentrieb Billionenbeträge in den Sand gesetzt haben eigentlich dafür, die wirtschafts- und finanzpolitischen Entscheidungen von Staaten angemessen zu beurteilen?- Die Staaten beziehungsweise Regierungen haben ja auch gemeinschaftlich versagt. Warum diskreditiert sie das nicht auch?Auch die Disziplinierung durch den Club der Finanzminister ist fragwürdig. Wer möchte schon seinen Kollegen bestrafen, zumal wenn er befürchten muss, der nächste Sanktionskandidat zu sein? Das wäre anders, wenn wir einen Europäischen Finanzminister hätten, der über den nationalen Instanzen steht und darüber hinaus durch das Europäische Parlament über eine angemessene demokratische Legitimation verfügen würde.- Was macht Sie eigentlich so sicher, dass die Euro-Regierungen sich darauf einlassen würden?Früher oder später wird man erkennen, dass das Durchwursteln mit Mario Draghis Hilfe, dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank, keine dauerhafte Lösung ist. Und man wird sich dann die Frage stellen müssen, ob man lieber ein Scheitern der Währungsunion in Kauf nimmt oder aber den Sprung nach vorn wagt und mit mehr politischer Integration eine stabilere Verfassung für den Euro etabliert.- Die Bundesbank und einige Ihrer Kollegen im Sachverständigenrat haben zuletzt an einem Konzept gearbeitet, um eine Staateninsolvenz in geordnete Bahnen zu lenken – und auf diese Weise Druck aufzubauen für ein solideres finanzpolitisches Verhalten. Halten Sie ein solches Konzept für funktionsfähig?In der jetzigen Situation laut über Staatsinsolvenzen nachzudenken, ohne sich Gedanken über die hohen noch ausstehenden Schuldenstände zu machen, ist ein Spiel mit dem Feuer. Zu diesem Ergebnis kommt übrigens auch eine sehr lesenswerte Studie des Center for Economic Policy Research (“Reinforcing the Eurozone and Protecting an Open Society”), an der mein Kollege Lars Feld mitgewirkt hat.- Was kritisieren Sie an den Vorschlägen konkret?Beim Modell der Bundesbank etwa stellt sich das spezifische Problem, dass es im Fall eines vorübergehenden Liquiditätsengpasses, der ja lediglich auf einer Marktstörung beruhen kann, zu einer automatischen Verlängerung der Restlaufzeit um drei Jahre kommen soll. Da niemand weiß, was in diesen drei Jahren geschieht, ergibt sich daraus eine unnötige Destabilisierung der Märkte.- Brauchen wir also ein neues Verständnis für die Funktionsweise einer Währungsunion, im Miteinander von Banken und Staaten sowie im Hinblick auf die Staatsverschuldung?Am wichtigsten ist es, dass wir in Deutschland erkennen, wie sehr wir von der Währungsunion profitieren. Wenn wir heute eine gute Beschäftigungssituation, eine robuste Wirtschaft und damit auch stabile Staatsfinanzen haben, hat das sehr viel mit dem Euro zu tun. Er schützt uns vor Aufwertungen gegenüber unseren Handelspartnern im Euroraum und er ist im internationalen Bereich eine Währung, die in den vergangenen Jahren nicht zu exzessiven Höhenflügen tendiert hat. Die großen Probleme, die Japan und derzeit vor allem die Schweiz mit den starken Aufwertungsphasen ihrer Währungen haben, sollten uns zu denken geben.- Und welche Folgerungen ziehen Sie daraus?Wir sollten alles tun, dass die Stabilität der Währungsunion nicht gefährdet wird. Wenn wir dabei andere Länder die Spielräume nutzen lassen, die in den Regelwerken vorhanden sind, ist das letztlich auch in unserem Interesse. Kein Land würde so sehr unter einem Zusammenbruch der Währungsunion leiden wie Deutschland.- Müssen wir unter diesen Umständen auch die Rolle der Notenbank in unserer Währungsunion überdenken quasi als Garant der Eurozone?Dafür sehe ich keinen Grund. Die EZB verhält sich in ihrer Politik nicht anders als andere große Notenbanken auch. Sie war in der Vergangenheit sogar deutlich zurückhaltender in ihren Maßnahmen. Insgesamt hat die EZB unter Draghi eine sehr gute Politik verfolgt. Es ist ihr gelungen, die extrem instabile Situation im Juli 2012 durch eine bloße Ankündigung (“Whatever it takes”) zu retten. Draghi hat im Frühsommer 2014 rechtzeitig die deflationären Tendenzen erkannt und mit seinen massiven Maßnahmen dafür gesorgt, dass es nicht zur Deflation gekommen ist.- Wobei dieser Erfolg ja kaum nachzuweisen ist. Die erhoffte Inflation stellt sich ja immer noch nicht ein.Wenn heute manche Beobachter den mangelnden Erfolg der Politik daran festmachen, dass wir keine Deflation haben, ist das genauso kurz gedacht, wie wenn man die Erfolge einer Grippeimpfung wegen des Ausbleibens der Krankheit bei den geimpften Personen in Frage stellt.- Aber haben die Nebenwirkungen der unkonventionellen Geldpolitik inzwischen nicht auch Dimensionen erreicht, dass sie die Segnungen dieser Politik in den Schatten stellen?Die EZB steht vor dem Problem, dass sie heute der einzige handlungsfähige Akteur auf der europäischen Ebene ist. Sie bräuchte also dringend Unterstützung anderer Politikbereiche. Eine breit angelegte europäische Zukunftsinitiative mit Investitionen in den Bereichen Umwelt, Bildung, Forschung und Entwicklung sowie innere und äußere Sicherheit, die über zusätzliche Kredite finanziert würde, könnte etwa für mehr Nachfrage sorgen. Das würde es übrigens auch deutlich erleichtern, das Inflationsziel von knapp 2 % zu erreichen und damit den Handlungsdruck von der EZB nehmen. Und natürlich würde man mit etwas höheren Lohnabschlüssen – ein Prozentpunkt mehr würde schon reichen – für einen stärkeren Anstieg der Lohnstückkosten im Euroraum sorgen. Das wäre der sicherlich einfachste Weg aus der Nullzinsfalle.- Inzwischen haben die Negativzinsen jedoch auch die Sparer erreicht. Die Raiffeisenbank in Gmund am Tegernsee verlangt von Einlegern, die mehr als 100 000 Euro auf dem Girokonto haben, Negativzinsen. Ist das erst der Anfang?Warum eigentlich das große Wehklagen? In der Geschichte der Bundesrepublik hat der Millionär in Gmund am Tegernsee noch nie so wenig aufgrund der Zinskonditionen verloren wie im Augenblick. Nehmen wir an, er hat ein Bankguthaben von 1 Million Euro. Bei einer Inflationsrate von 0,4 % und einem Zins von – 0,4 % verliert er real 8 000 Euro pro Jahr. Im Durchschnitt der Jahre 1949 bis 2015 betrug die Inflationsrate aber 2,4 %. Lag auch damals so viel Geld auf dem Girokonto herum und wurde mit nahe null verzinst, bedeutete das real einen jährlichen Verlust von 24 000 Euro. Damals hatte man das mehr oder weniger hingenommen, weil das Geld dafür ja auch schnell verfügbar war.—-Das Interview führte Stephan Lorz.