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Es ist Zeit für monetäre Staatsfinanzierung - nach klaren Regeln!

Börsen-Zeitung, 4.9.2020 Schon vor der Covid-19-Pandemie waren die Inflationsziele der großen Notenbanken illusorisch. Mit dem wirtschaftlichen Einbruch infolge der Pandemie ist die Erfüllung ihres Mandats völlig außer Reichweite geraten - zumindest...

Es ist Zeit für monetäre Staatsfinanzierung - nach klaren Regeln!

Schon vor der Covid-19-Pandemie waren die Inflationsziele der großen Notenbanken illusorisch. Mit dem wirtschaftlichen Einbruch infolge der Pandemie ist die Erfüllung ihres Mandats völlig außer Reichweite geraten – zumindest mit ihren bestehenden Möglichkeiten. Und auch die Spielräume der Regierungen, die Wirtschaft in Schwung zu bringen und mithin der Inflation moderaten Schwung zu geben, sind nach den bereits beschlossenen Fiskalpaketen begrenzt. Es ist an der Zeit, neue Wege zu gehen.Das strukturelle Kernproblem der Zentralbanken und Regierungen ist die säkulare Stagnation. Sie ist nicht neu, wird aber durch die Pandemie verschärft. Damit dürfte nun auch der sogenannte natürliche Realzins (R*) erstmals in den negativen Bereich gedrückt werden. R* markiert den Zinssatz, mit dem die Geldpolitik weder expansiv noch restriktiv wäre. Um einen stimulierenden Effekt zu haben, müsste der Leitzins unterhalb von R* liegen – was jedoch bei ohnehin niedrigen oder negativen Zinsen mehr schaden als nützen würde, weil die Aufnahme von Schulden, die Bildung von Preisblasen, die Ungleichverteilung von Vermögen und die Entstehung von Zombie-Unternehmen weiter angeheizt würde. Die konventionelle Geldpolitik ist also ausgereizt.Man muss aber anerkennen, dass die Politik der Zentralbanken sich weiterentwickelt hat. Das schließt neben dem intensiven Einsatz der quantitativen Lockerung auch das Verhältnis zu den Regierungen mit ein. Denn anders als während der globalen Finanzkrise, als die Zentralbanken der einzige verbliebene Spieler am Tisch zu sein schienen, haben die Regierungen in der Pandemie mit einer aggressiven fiskalischen Expansion nachgelegt. Sie haben unter spürbarer Ermunterung der Notenbanken entschlossen gehandelt, um den Abschwung zu bremsen und eine Abwärtsspirale zu verhindern. Das war sicherlich richtig.Zugleich sind durch das – vorsichtig formuliert – “Nebeneinander” von unkonventioneller Geldpolitik und fiskalischer Expansion die Grenzen zwischen Geld- und Fiskalpolitik immer weiter verschwommen. Insbesondere in Deutschland wird von einigen Beobachtern schon seit Längerem das unterstellt, was bislang verboten ist: verdeckte monetäre Staatsfinanzierung. Alle in einem DilemmaDie bestehenden Unklarheiten bringen alle Akteure in ein Dilemma: Die Märkte hoffen auf eine Zusammenarbeit von Geldpolitik und Haushaltspolitik, können sich aber darauf nicht verlassen. Kritiker fürchten die verdeckte Staatsfinanzierung, weil sie wegen ihres verdeckten Charakters keinen überprüfbaren Regeln folgt und somit die Unabhängigkeit der Notenbank gefährdet. Anstatt der Unklarheit Raum zu geben, sollte man den Schritt hin zu einer klar benannten monetären Staatsfinanzierung wagen.Dabei sollte man die Bedenken der Kritiker ernst nehmen und sicherstellen, dass die Unabhängigkeit der Zentralbanken gewahrt bleibt. Denn das Hauptrisiko einer expliziten Zusammenarbeit zwischen Zentralbank und Regierung besteht darin, dass die Geldpolitik dem Finanzierungsbedarf der Regierung untergeordnet wird – die sogenannte fiskalische Dominanz. Das ist hoch gefährlich, da die Infragestellung der Unabhängigkeit das Vertrauen in die Zentralbanken zur Eindämmung der Inflation untergräbt.Eine explizite monetäre Staatsfinanzierung müsste also verbindlichen und klaren Regeln folgen, die Gefahr einer fiskalischen Dominanz reflektieren und der Erhaltung der Unabhängigkeit der Zentralbank Priorität einräumen, falls es in der Zukunft irgendwann doch einmal zu größerem Inflationsdruck kommt.Wie ließe sich das umsetzen? Für die Aufgabe der monetären Staatsfinanzierung müssten die politischen Entscheidungsträger eine eigene Einrichtung schaffen, die bei der jeweiligen Notenbank angesiedelt ist. Die Zentralbank hätte die vollständige Kontrolle bei der Entscheidung über die Größe, den Zeitpunkt und die Dauer der jeweiligen Operationen. Außerdem müssten alle Entscheidungen geknüpft sein an die Verfolgung des Mandats der Zentralbank. Auch eine klar definierte Exit-Strategie müsste es für jede Operation geben. Die jeweiligen Regierungen würden weiterhin bestimmen, wie das Geld ausgegeben wird. Zwar würde es sich um eine permanente Einrichtung handeln, aber sie würde nur dann aktiviert, wenn die Möglichkeiten der Geldpolitik erschöpft sind und die Zentralbank ihre Ziele weit verfehlt.Dies ist heute der Fall. Regierungen und Zentralbanken sind in ihrer heutigen Aufstellung und im Angesicht eines tiefgreifenden Konjunktureinbruchs an die Grenzen ihrer Möglichkeiten gestoßen. Wie begrenzt der Spielraum für die Regierungen ist, würde sich dramatisch offenbaren, wenn die wirtschaftliche Erholung deutlich an Dynamik verliert. Im Falle einer zweiten Welle der Pandemie oder einer Eskalation geopolitischer Konflikte kann es schnell dazu kommen. Unabhängigkeit gewahrtDerweil stehen die Zentralbanken mit dem Rücken zur Wand, weil der natürliche Realzins ins negative Terrain marschiert und damit die Möglichkeiten der konventionellen Geldpolitik limitiert, während eine Ausweitung der unkonventionellen Geldpolitik in Richtung echter Staatsfinanzierung aktuell nicht möglich ist.Schafft man hingegen den Rahmen für eine regelgeleitete und transparente monetäre Staatsfinanzierung, dann könnten die Notenbanken den Anstieg der Renditen der Staatsanleihen wirkungsvoll begrenzen und den Regierungen bei der Stützung der Wirtschaft in argen Krisensituationen zur Seite stehen. Zugleich würden die Inflationserwartungen steigen, was die Zentralbanken auch dem Ziel der Preisstabilität näherbrächte, ohne dass sie dabei ihre geldpolitische Unabhängigkeit verraten würden. Robert Subbaraman ist Head of Global Macro Research von Nomura. In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.——-Von Robert SubbaramanEs muss vermieden werden, dass die Geldpolitik dem Finanzierungsbedarf der Regierung untergeordnet wird. Dies wäre hoch gefährlich.——