IM INTERVIEW: FABRIZIO PAGANI, MUZINICH

"Es zählt nicht nur das Defizit"

Früherer Regierungsberater sieht Italien als stabil an

"Es zählt nicht nur das Defizit"

– Signor Pagani, wie wichtig ist es für die Märkte, dass Italien ein Defizit von weniger als 2 % im Haushalt ausweist?Bei einem Defizit von mehr als 2 % wären die Märkte beunruhigt. Aber es zählt nicht nur das Defizit. Wichtiger ist es, das strukturelle Defizit zu stabilisieren und zu senken, wenigstens marginal. Die Märkte schauen sehr aufmerksam auf diese Zahlen. Die Regierung muss die Ausgaben weiter reduzieren und das Wachstum stärken.- Die Regierung behauptet, dass sie die Wachstumskräfte stärken will und deshalb eine Flat Tax, ein bedingungsloses Grundeinkommen und andere Maßnahmen plant.Ja, aber sie sollte daran denken, dass sie das Budget unter Kontrolle halten muss. Wenn das Defizit zu stark stiege, würde der Spread zwischen deutschen und italienischen Anleihen steigen. Italien zahlt bereits jetzt jährlich 70 Mrd. Euro Zinsen auf die Schuldenlast.- Stehen die geplanten Maßnahmen nicht im Widerspruch dazu?Es hängt davon ab, wie schnell Rom die Maßnahmen umsetzen will. Es ist klar, dass nicht alles in einem Jahr umgesetzt werden kann, sondern mittelfristig und allmählich.- Besteht nicht die Gefahr einer Rezession, wenn der Spread steigt und vielleicht externe Schocks kommen?Italien ist sehr robust. Vor allem die Industrie ist extrem stark und diversifiziert. Und der Sektor exportiert in viele Länder und Kontinente, in einem sehr ausgewogenen Verhältnis. Italien ist eines von weltweit nur fünf Ländern, das einen Handelsüberschuss von mehr als 100 Mrd. Euro ausweist.- Wie sollte die EU reagieren? Mit Härte oder flexibel?Es ist im Interesse aller, dass Italien weiter wächst, denn das Land ist sehr stark in das europäische Wirtschaftssystem integriert. Wenn Italien in eine Krise gerät, geriete auch Europa und Deutschland in eine Krise. Natürlich gibt es Regeln, die eingehalten werden müssen, aber die Europäische Union hat Bewegungsspielräume und sollte nicht nur auf 2019 schauen, sondern auch auf die Perspektiven der nächsten Jahre.- Aber es gibt Grenzen!Ja, aber ich kann Ihnen nicht sagen, wo sie sind. Ich hoffe, dass wir nicht die Einleitung eines offiziellen Verfahrens gegen Italien erleben.- In der Vergangenheit haben die Märkte aber immer auf das Defizit geschaut!Sie werden nicht nur auf das Defizit, sondern auch auf die Aussichten im Hinblick auf die Schuldenreduzierung und das Wachstum blicken. Sie haben nicht nur auf die Zahlen, sondern auch auf das Geschäftsklima, die konstitutionelle Situation sowie Dinge dieser Art im Blick.- Da hilft die Diskussion um Verstaatlichungen nicht.Ich spreche über das System, das Vertrauen braucht – nicht über Einzelfälle.- Wie beurteilen Sie denn die bisherigen Maßnahmen der Regierung?Es gibt nicht viele konkrete Maßnahmen. Ich kann nur sagen, dass es fundamental ist, glaubwürdig zu sein.- Was sind die größten Risiken?Dass der Reformprozess endet, dass wir in eine Phase politischer Instabilität und in eine Periode der Unsicherheit kommen.- Wo sollten die Prioritäten liegen?Italien leidet unter der extrem niedrigen Produktivität des öffentlichen Sektors, der sehr ineffizient ist und große Probleme hat. Um diesen Bereich zu reformieren, brauchen wir viel Geduld und viel Geduld. Und wir müssen alle Bereiche berücksichtigen, das lokale und regionale Niveau genauso wie das nationale.- Eine der Schwachstellen der letzten Jahre waren die Banken. Ist das immer noch der Fall?Nach einer sehr schwierigen Phase sind die meisten Banken jetzt sehr stabil. Sie haben ihre Exposures bei Non-Performing-Krediten in sehr kurzer Zeit erheblich reduziert. Wir haben nun einen sehr aktiven Markt zum Aufkauf solcher Kredite.- Und was ist mit dem hohen Engagement in Staatstiteln?Da gibt es kein Risiko.—-Das Interview führte Gerhard Bläske.