IM BLICKFELD

EU-Kommissare und EU-Oberhauptkommissare

Von Detlef Fechtner, Brüssel Börsen-Zeitung, 21.3.2014 Ein nicht ganz ernst gemeinter Vorschlag für den Fall, dass noch ein Staat der Europäischen Union beitreten will und man deshalb ein neues Ressort erfinden muss, um einen Kommissarsposten...

EU-Kommissare und EU-Oberhauptkommissare

Von Detlef Fechtner, BrüsselEin nicht ganz ernst gemeinter Vorschlag für den Fall, dass noch ein Staat der Europäischen Union beitreten will und man deshalb ein neues Ressort erfinden muss, um einen Kommissarsposten anbieten zu können, lautet: Man kann ja die Aufgaben der Generaldirektion Fischerei auf zwei Kommissare aufteilen. Einen für Hochseefische, einen für Süßwasserfische.In der Tat trug die Neuordnung der Aufgaben nach der EU-Erweiterung 2007 um Rumänien und Bulgarien kuriose Züge. Der Rumäne Leonard Orban bekam damals die Zuständigkeit für “Mehrsprachigkeit” – und wurde dafür regelmäßig in Kabarettszenen und Zeitungsglossen verspottet. Rumänien pochte deshalb bei der Neuverteilung erfolgreich auf das Amt des Agrarkommissars, um für die vorherige Schmach entschädigt zu werden.Die Geschichte dokumentiert ein ernsthaftes Brüsseler Problem. In der EU der 28 braucht man – wenn man den irgendwie für alles und jedes zuständigen EU-Kommissionschef abzieht – 27 Tätigkeitsfelder. Das hat ein großes Durcheinander entstehen lassen. So sind beispielsweise sowohl Umweltkommissar, Agrarkommissar als auch Verbraucherschutzkommissar federführend für bestimmte Aspekte der Zulassung von Gen-Gemüse verantwortlich. Mindestens genauso schwer fällt die Abgrenzung zwischen Umwelt- und Klimaschutz oder Entwicklungs- und Katastrophenhilfe. Auch sind die verschiedenen Dossiers – verglichen mit anderen öffentlichen Verwaltungen – extrem unterschiedlich beansprucht. Der Industriekommissar (Antonio Tajani) legt so gut wie nie neue Gesetze vor, der Binnenmarktkommissar (Michel Barnier) hingegen am Fließband.Der Wechsel der EU-Kommissare und ihres Präsidenten in diesem Sommer provoziert deshalb jede Menge Vorschläge, wie die oberste EU-Behörde effektiver organisiert werden könnte. Der erste Teil des Ansatzes zielt auf einen Umbau des Organigramms. Politiker wie Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier, ebenso Wissenschaftler wie der Chef der Brüsseler Denkfabrik EPC, Fabian Zuleeg, plädieren dafür, EU-Kommissare zu thematischen Teams zu verbünden. Denn den Streit darüber, die Zahl der EU-Kommissare zu senken und damit einigen Mitgliedstaaten keinen “eigenen” EU-Kommissar zu gestatten, wollen sie auf keinen Fall neu provozieren. Zuleeg kann sich vielmehr vorstellen, einige EU-Kommissare federführend mit der Leitung der Arbeitsgruppen zu betrauen – und damit die Zahl der einzelnen Dossiers zu verringern. So könnte ein Quasi-Hauptkommissar einem Team vorstehen, das sich mit zentralen Voraussetzungen für Wachstum befasst: mit Industriefragen, Energiepreisen, digitaler Agenda, Forschung, Netzinvestitionen und Verkehr.Um niemanden vor den Kopf zu stoßen, wird vorgeschlagen, auf herabstufende Titel wie Junior-Kommissar zu verzichten – und diejenigen, denen man Führungsaufgaben zuweist, nicht als Oberhauptkommissar zu adeln, sondern auf das bereits erprobte System der Vizepräsidenten rückzugreifen. Tatsächlich gibt es bereits sieben Stellvertreter des Chefs. Warum gerade sie ausgewählt wurden und beispielsweise der für Verwaltungsaufgaben zuständige Slowake Maros Sefcovic oder der estnische Verkehrsfachmann Siim Kallas zu diesem erlauchten Kreis zählen, erschließt sich nicht wirklich. In einigen Vorschlägen für eine Neuordnung der EU-Kommission wird angeregt, Vizepräsidenten vor allem für die Dossiers zu benennen, die gegenüber den nationalen Regierungen eine herausgehobene Position haben sollen. Das gilt etwa für den Wettbewerbskommissar, der regelmäßig saftige Geldbußen gegen Firmen verhängt und staatliche Beihilfen angreift – und daher qua Amt häufig im Clinch mit den Hauptstädten liegt. Das gilt natürlich auch für die Hohe Beauftragte für die Außen- und Sicherheitspolitik, um ihr die koordinierende Rolle in heiklen Missionen zwischen Ukraine und Iran zu erleichtern. Dritter natürlicher Kandidat für eine exponierte Stellung ist der EU-Kommissar für Wirtschaft und Währung, da er ständig unsolide Haushaltspolitik und mangelnde Wettbewerbsfähigkeit in den Mitgliedsländern anprangern muss.Gerade seine Position könnte aber im Falle einer Neuschneidung der Ressortgrenzen, so wie sie gerade erwogen wird, geschwächt werden. Denn es gibt Überlegungen, die Direktion “Ecfin” zu zerreißen und den “Währungs”-Teil, also etwa das Euro-Krisenmanagement, mit den Aufgaben der Finanzregulierung zu verschweißen, die augenblicklich noch beim Binnenmarktkommissar liegen. Im Ergebnis gäbe es dann einen Wirtschaftskommissar, der sich auf Prognosen und auf Ratschläge an die nationalen Regierungen im “Europäischen Semester” konzentrieren würde, und einen Binnenmarktkommissar, der sich um Bürokratieabbau und Patente kümmern würde – während der eigentlich mächtige Posten bei einem Finanzkommissar läge, der Geld an spanische oder zyprische Banken bewilligt und gleichzeitig neue Liquiditäts- und Kapitalvorgaben für alle Banken austüftelt.