Euro-Wirtschaft hält hohe Taktzahl

Im ersten Quartal stärker gewachsen als die USA - Debatte über EZB-Kurs kommt in Schwung

Euro-Wirtschaft hält hohe Taktzahl

Die Wirtschaft im Euroraum ist gut ins Jahr 2017 gestartet. Das BIP hat im ersten Quartal im Vorjahresvergleich um 1,7 % zugelegt. Die Wachstumsprognose der EZB für das laufende Jahr von 1,8 % könnte sich insofern als zu niedrig erweisen. Die Stimmen für einen zügigen Ausstieg aus der ultraexpansiven Geldpolitik werden immer lauter.lz/ms Frankfurt – Die politische Verunsicherung durch den Brexit, die Wahlen in Frankreich und die neue US-Politik unter Präsident Donald Trump hat die Eurowirtschaft nicht aus dem Tritt bringen können. Die Wirtschaft im Währungsraum ist im ersten Quartal nach Angaben des europäischen Statistikamts um 0,5 % zum Vorquartal gewachsen. Die Jahresrate liegt bei 1,7 %. Das haben die meisten Konjunkturbeobachter zwar so erwartet, wollten der guten Lage aber nicht so recht trauen, wie immer wieder in den Kommentaren herauszulesen war.Thomas Gitzel, Chefökonom der Liechtensteiner VP-Bank-Gruppe, schreibt denn auch: “Es ist doch erstaunlich, wie stark sich die Eurozone zeigt.” Lange Zeit habe die Währungsunion als “kranker Mann” gegolten. Davon könne derzeit keine Rede mehr sein. Inzwischen wachse der Währungsraum sogar stärker als die US-Wirtschaft. Letztere legte nach vorläufigen Daten im ersten Quartal nur noch mit einer auf das Jahr hochgerechneten Rate von 0,7 % zu. Das entspricht auf Quartalsbasis weniger als der Hälfte des Euro-Wachstums.Auch die weiteren Aussichten für den Währungsraum sind vielversprechend. Die Stimmung in der Wirtschaft ist so gut wie seit sechs Jahren nicht mehr. Indexwerte aus der Einkaufsmanagerbefragung jenseits der 56 Zähler (vgl. BZ vom 3. Mai) gingen nach Erkenntnissen von Christoph Weil von der Commerzbank stets mit einem Wachstum von 0,75 % pro Quartal einher. In diesem Fall würde das Wachstum im Jahresdurchschnitt 2017 die von der EZB erwarteten 1,8 % womöglich noch übertreffen, meint er.Fachleute sehen die Konjunktur im Währungsraum nicht zuletzt durch die Niedrigzinspolitik der EZB angefacht. Allerdings haben Länder wie Spanien oder Portugal auch tiefgreifende Veränderungen etwa auf den nationalen Arbeitsmärkten vorgenommen und damit ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit erhöht. Griechenland hinkt der Entwicklung jedoch nach wie vor hinterher.Als wichtiger Meilenstein für die wirtschaftliche Entwicklung gilt der Ausgang der Präsidentschaftswahl in Frankreich. Sollte die Front-National-Chefin Marine Le Pen gewinnen, sehen Volkswirte die Gefahr wirtschaftlicher Verwerfungen. Ein Wahlsieg des unabhängigen Kandidaten Emmanuel Macron wird von Fachleuten indes positiv bewertet. Dann würden die Chancen auf Reformen steigen und das Wachstum der Eurozone könnte sich verstetigen, erwartet Gitzel.Michael Heise, Chefvolkswirt der Allianz, mahnt unter diesen Umständen einen Kurswechsel der EZB an: “Das BIP wächst weiter leicht über Potenzial, die Kapazitätsauslastung ist seit längerem überdurchschnittlich, die Besserung am Arbeitsmarkt hält an, ein zaghafter Lohnauftrieb zeichnet sich ab – alles in allem gibt es genug Anlass, mehr Vertrauen in die EWU-Wirtschaftsentwicklung zu setzen. Die EZB sollte in ihrer Kommunikation baldigst umschalten.” Notenbank im FokusIn Deutschland forderte zuletzt Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) einen Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik, und auch Bundesbankpräsident Jens Weidmann hält die Debatte über einen Einstieg in den Ausstieg für legitim. EZB-Präsident Mario Draghi und die Mehrheit im EZB-Rat will davon aber bislang nichts wissen, obwohl die besseren Stimmungsindikatoren darauf hindeuten, dass das Wachstum im zweiten Quartal vielleicht sogar noch etwas stärker wird und sich damit die aktuelle EZB-Wachstumsschätzung von 1,8 % als zu vorsichtig (siehe Grafik) erweisen könnte. In jedem Fall müssten die neuen Daten aber auch bei den Skeptikern im EZB-Rat das Vertrauen in den Aufschwung stärken. Das könnte dann den Weg bereiten, um den Ausstieg ins Visier zu nehmen.Bei der nächsten Zinssitzung im Juni könnte der EZB-Rat zu der Einschätzung kommen, dass die Aufwärts- und Abwärtsrisiken für das Wachstum “ausgewogen” sind und nicht mehr die Abwärtsrisiken dominieren. Das gilt vielen Beobachtern als eine Voraussetzung dafür, dass die EZB ihre explizite Bereitschaft, falls nötig sowohl die Zinsen zu senken als auch die Wertpapierkäufe wieder hochzufahren (“Easing bias”), fallen lässt. Das wiederum ist ein nötiger Schritt, um eine Normalisierung zu beginnen.Nach der Zinssitzung vom vergangenen Donnerstag hatte Draghi allerdings stark den Unterschied von Wachstums- und Inflationsausblick hervorgehoben und betont, dass für den “Easing bias” der Inflationsausblick entscheidend sei (vgl. BZ vom 28. April). Das lässt sich auch so interpretieren, dass die EZB den “Easing bias” nicht gleich aufgeben muss, nur weil sie die Wachstumsrisiken als neutral bewertet. An der Einschätzung des Inflationsausblicks hat sich bei der EZB zuletzt nichts geändert. Dort sind sie zwar weiter überzeugt, dass mit einem anziehenden Wachstum auch die Inflation nachhaltig steigen sollte – nicht zuletzt über steigende Löhne. Doch könnte das dieses Mal ein wenig länger dauern als in früheren Zyklen.