Europa treibt deutsche Finanzmarktregulierung an

Brexit-Begleitgesetze stehen unter Zeitdruck - Aus Brüssel kommen Vorgaben zu Geldwäsche und Wertpapierprospekten - Evaluierung einiger Gesetze überfällig

Europa treibt deutsche Finanzmarktregulierung an

Von Angela Wefers, Berlin Es ist auch 2019 Europa, das in der deutschen Finanzmarktgesetzgebung den Takt angibt. Ein Thema steht ganz vorn: der Brexit. Zwar dominieren die Vorgaben aus der Umsetzung von EU-Richtlinien und der Anpassung an EU-Verordnungen generell seit Jahren die Entwicklung in der nationalen Finanzmarktgesetzgebung, aber beim Brexit lässt der europäische dem nationalen Gesetzgeber mehr Raum. Die Zeit drängt. Das Ausscheiden des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union am 29. März 2019 fordert Regierung, Bundestag und Bundesrat in Berlin zum Jahresanfang besonders heraus. Kurz vor Jahresende Ein umfassendes Paket von Brexit-Begleitgesetzen hat das Bundeskabinett noch kurz vor Jahresende am 12. Dezember auf den Weg gebracht. Im neuen Jahr müssen Bundestag und Bundesrat zügig entscheiden, damit die Wirtschaft sich ausreichend gut auf den Übergang vorbereiten kann. Weil in London immer noch nicht klar ist, wohin die Reise geht – geregelter Übergang oder harte Trennung -, hat das Bundesfinanzministerium Vorsorge für beide Varianten getroffen. Vorsorge für harten Austritt Für den Fall eines harten Brexit will der Gesetzgeber die Aufsichtsbehörden ermächtigen, für Unternehmen aus der Finanzbranche mit Sitz in Großbritannien in bestimmten Fällen Übergangsregelungen zu bewilligen. Denn bei einem ungeregelten Austritt drohen Verwerfungen im Finanzmarkt. Mit einem Brexit ohne Abkommen wird das Vereinigte Königreich über Nacht zum EU-Drittstaat. Derzeit können Banken, Versicherer und andere Finanzdienstleister mit Sitz in Großbritannien ihren Geschäften in Deutschland mit dem europäischen Pass nachgehen. Dies wird ohne Neuregelung und Übergangsfrist nicht mehr möglich sein. Der Zutritt zum deutschen Markt wäre verwehrt.Für das Bestandsgeschäft ist ein stabilisierender Faktor im Markt wichtig. Die Laufzeit vieler Verträge im Finanzmarktsektor reicht über das Austrittsdatum Ende März 2019 hinaus, etwa bei Derivate-Verträgen, in denen erhebliche Volumina stecken. Der Brexit ist in der Vertragskonstruktion in der Regel nicht vorhergesehen. Kontrakte könnten womöglich nicht ad hoc verlängert oder nicht rechtzeitig auf Vertragspartner übertragen werden, die in der EU ansässig sind. Dies dürfte zu Problemen bei der Kapitalallokation führen und Absicherungsgeschäfte für die Finanz- und Realwirtschaft in Frage stellen. Für die Übergangsregelungen, die bis Ende 2020 reichen können, sind Änderungen im Kreditwesengesetz (KWG) und im Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) notwendig.Eine weitere Gesetzesänderung als Folge des Brexit ist die Lockerung des Kündigungsschutzes für hoch bezahlte Risikoträger in der Finanzbranche. Darauf hatten sich CDU, CSU und SPD bereits grundsätzlich im Koalitionsvertrag verständigt. Diese Neuregelung soll es Unternehmen der Branche erleichtern, auch hierzulande wie in London zu vergüten. Die Bezahlung ist dort hoch, weil sie eine Art Risikoprämie für den Fall der schnellen Beendigung des Arbeitsverhältnisses beinhaltet. Der deutsche Kündigungsschutz würde den Usancen in London entgegenstehen und der Finanzplatz Deutschland womöglich im Wettbewerb um Brexit-Auswanderer den Kürzeren ziehen. Gleichwohl sind die hoch bezahlten Risikoträger auch künftig nicht schutzlos, sondern so gestellt wie leitende Angestellte. Laut Gesetzentwurf gelten Risikoträger dann als hoch bezahlt, wenn sie als Grundgehalt – also ohne Bonifikationen – 2019 im Jahr 241 200 Euro und mehr verdienen. Dies ist das Dreifache der Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung. Eine weitere Grenze wird bei der Institutsgröße gezogen. Die Regelung gilt nur für bedeutende Institute; dies sind solche, die mehr als 15 Mrd. Euro Bilanzsumme haben oder der Aufsicht durch die Europäische Zentralbank unterstehen. Das Bundesfinanzministerium rechnet mit höchstens 5 000 Mitarbeitern im Finanzsektor, die unter diese Regelung fallen. Geregelt wird dies in der Institutsvergütungsverordnung, die bereits heute die Bezahlung bestimmter Gruppen vorgibt. Bestandsschutz beim Brexit Ein dritter Punkt zum Übergang nach dem Brexit betrifft Regelungen zum Bestandsschutz in Steuerfragen, aber auch für Pfandbriefbanken und Bausparkassen. Die steuerliche Regelung soll verhindern, dass stille Reserven in den Unternehmensbilanzen durch den Brexit über Nacht aufgedeckt und versteuert werden müssten, wie es in einem EU-Drittstaat nötig ist. Dies ist im Einkommensteuerrecht und im Körperschaftsteuergesetz geregelt. Für das Geschäft der Hypotheken- und Pfandbriefbanken muss im Pfandbriefgesetz sichergestellt werden, dass Grundstücke im Vereinigten Königreich Bestandteil des Deckungsstocks bleiben dürfen. Dies ist sonst nur für EU-Länder oder Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) möglich. Bei den Bausparkassen geht es darum, in Großbritannien angelegte Gelder unter Bestandsschutz zu stellen. Anlagen sind generell nur in der EU und im EWR möglich. Auch die Ansprüche von Riester-Renten werden mit dieser Novelle geschützt. Zudem wird die Anlagen-Verordnung entsprechend geändert, so dass Großbritannien einbezogen bleibt. Dies alles sorgt vor – und gilt auch, falls es nicht zu einem Austrittsabkommen mit London kommt. Auch für eine Übergangsfrist, die bis 31. Dezember 2020 reichen würde, hat die Bundesregierung mit dem Gesetzentwurf des Brexit-Übergangsgesetzes detaillierte Regelungen vorgelegt. Dieser Entwurf liegt zur Beratung in den Bundestagsausschüssen. Kleine Emissionen erleichtertAuf der Agenda für die Finanzmarktgesetzgebung im nächsten Jahr steht auch die Umsetzung von Gesetzgebung, die aus Europa kommt. Im ersten Halbjahr 2019 wird das Wertpapierprospektgesetz novelliert und an die EU-Prospektverordnung angepasst. Das Bundesfinanzministerium hatte dazu Mitte November einen Referentenentwurf vorgelegt. Die Vorgaben aus Brüssel sind vom 21. Juli 2019 an direkt anwendbar. Bereits 2018 hatte Deutschland eine Option aus der Verordnung ausgeübt und das Prospektgesetz leicht angepasst. Für kleinere Emissionen im Wege des öffentlichen Angebots bis zu 8 Mill. Euro im Jahr müssen Emittenten seitdem keinen Wertpapierprospekt mehr erstellen. Ein Wertpapierinformationsblatt reicht aus. Neu ist nun, dass diese Schwelle von 8 Mill. Euro auch für CRR-Kreditinstitute gilt und für Aktien, die bereits an einem geregelten Markt gehandelt werden. Bislang liegt der Wert bei 5 Mill. Euro. Außerdem wird bei Bezugsrechtsemissionen an bestehende Aktionäre auf die Einzelanlageschwellen für nicht qualifizierte Anleger als weitere Bedingung der Prospektausnahme verzichtet. Die Finanzaufsicht BaFin wird weiterhin für die Billigung von Prospekten zuständig sein und erhält die nötigen Befugnisse, um ihre Aufgaben nach der EU-Prospektverordnung zu wahren.Eine zweite Regelung aus Brüssel, die es umzusetzen gilt, ist die 5. EU-Geldwäscherichtlinie. Die Mitgliedstaaten sind dazu bis 10. Januar 2020 verpflichtet. Die neue Richtlinie verschärft die Vorgängerregelung und nimmt neue Entwicklungen auf, die sich etwa in der Terrorismusfinanzierung zeigen. Unter anderem gehört dazu der Handel mit Kulturgütern. Zudem zielt die Richtlinie auf die Regulierung von elektronischem Geld wie Kryptowährungen und alternativen Finanzsystemen. Darüber hinaus wird der Informationsfluss zu den Meldestellen erleichtert.Noch wenig konkrete Form für die nationale Gesetzgebung haben die jüngsten Beschlüsse zur Weiterentwicklung der europäischen Bankenunion. Es geht dabei um eine erhöhte Risikovorsorge, den Umgang mit neu aufkommenden notleidenden Krediten und Vorgaben zur Reduzierung der Altbestände an notleidenden Krediten in den Bilanzen auf eine Zielmarke von 5 %. Auch ein Zeitplan dazu steht aus. Bewertung des Status quoHierzulande hatte der Gesetzgeber sich die Evaluierung von Regelwerken selbst aufgegeben. Dies wird nun fällig oder ist schon überfällig. Beim Lebensversicherungsreformgesetz hatte das Bundesfinanzministerium im Sommer Resümee gezogen, wie die vier Jahre alte Novelle wirkt, und neue Gesetzgebung angekündigt. In Aussicht gestellt wurden die Einführung eines Provisionsdeckels, Änderungen bei der Festlegung des Höchstrechnungszinses sowie erweiterte Eingriffsmöglichkeiten der BaFin bei Ausschüttungssperren, die auf Gewinnabführungsverträge ausgedehnt werden sollen. Zudem soll es bei Sicherungsfonds wie Protektor für die Aufsicht stärkere Durchgriffsrechte geben. Ein konkreter Entwurf dazu steht noch aus.Mit dem Kleinanlegerschutzgesetz waren 2015 auch die Möglichkeiten zum Crowdfunding reguliert worden – so dass Anleger geschützt werden, diese Finanzierungsform aber nicht übermäßig gebremst wird. Die Evaluierungsergebnisse dazu waren für 2018 angekündigt, ebenso wie die für das 2015 geänderte Bausparkassengesetz. Beides ist offen. Auch für die gesamte Finanzmarktregulierung seit der Krise 2008 wartet das Parlament noch auf eine Evaluierung, die Effizienz und mögliche Doppelstrukturen unter die Lupe nimmt, aber auch Lücken aufzeigt. Das vom Bundesfinanzministerium in Auftrag gegebene Gutachten soll Anfang 2019 veröffentlicht werden.Zu guter Letzt könnte die Finanztransaktionssteuer den Gesetzgeber noch 2019 beschäftigen. Das Vorhaben will Bundesfinanzminister Olaf Scholz in Brüssel durchbringen und die Steuer in Deutschland einführen.