Europäische Autarkie beim Strom ist möglich
Gastbeitrag: Roman Rosslenbroich
Europäische Autarkie beim Strom ist möglich
Die Stimmung vieler klimapolitischer Akteure in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft ist im Keller – zu Recht: Wir sind nicht auf Kurs. Die in der Umsetzungspraxis der Politik angelegten Emissionspfade verfehlen die Klimaziele von Paris auf globaler Ebene ebenso wie im europäischen Maßstab. Auch die auf den ersten Blick gute Nachricht, dass Deutschland im vergangenen Jahr sein im Klimaschutzgesetz definiertes CO2-Budget einhalten konnte, kann die Laune nicht aufhellen. Denn der Expertenrat für Klimafragen hat aufgezeigt, dass dieser Erfolg vor allem an starken Produktionsrückgängen der energieintensiven Industrien und einem milden Winter lag. Aber die Schrumpfung des industriellen Kerns unserer Volkswirtschaft kann keine zukunftsweisende Strategie sein und ein infolge der Klimaerhitzung sehr mild ausgefallener Winter ist ein Symptom des Problems und nicht Teil der Lösung.
Dabei gibt es durchaus Anlass für Optimismus, wie eine von der Aquila Group bei einem Team international renommierter Wissenschaftler rund um das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) beauftragte Studie zeigt: Europa hat das Potenzial, bis zum Jahr 2030 „stromsouverän“ zu werden und zugleich die Abhängigkeit der Elektrizitätserzeugung von fossilen Ressourcen zu beenden.
Für eine schnelle Verwirklichung der vollständigen Selbstversorgung mittels erneuerbarer Energien müssten bis 2030 auf europäischer Ebene aber rund 140 Mrd. Euro pro Jahr in klimafreundliche Energielösungen investiert werden, bis 2040 wären Investitionen von 100 Mrd. Euro pro Jahr erforderlich.
Technologien alle verfügbar
Zur Einordnung: Zum Schutz der Verbraucher vor den Auswirkungen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine im Jahr 2022 bezogen auf die Strom- und Energieversorgung und den damit verbundenen Preisanstieg hat die EU rund 800 Mrd. Euro aufgewendet. Der Vergleich zeigt, wie fahrlässig es ist, dass wir immer noch bei weitem nicht alles tun, um die nachgewiesenen Potenziale für eine emissionsfreie Stromsouveränität zu heben. Die hierfür benötigten Technologien sind verfügbar und weitere Innovationen in der Pipeline. Woran also fehlt es?
Drei Punkte sind von besonderer Bedeutung: Erstens benötigt Europa einen einheitlichen Rechtsrahmen. Es vergeht zu viel Zeit bei Abstimmungsprozessen und der Überführung von guten Ideen in einen verbindlichen Rechtsrahmen, auf den sich Unternehmen wie Investoren auch mittel- und langfristig verlassen können.
Zweitens muss das für den Auf- und Umbau einer neuen globalen Infrastruktur in den kommenden Jahrzehnten zwingend erforderliche private Kapital besser als bisher aktiviert werden. Dies sehe ich im täglichen Geschäft: Die Aquila Group verfügt über mehr als 20 Jahre Erfahrung in der Finanzierung, der Entwicklung und dem Bau von Anlagen im Bereich erneuerbarer Energie und nachhaltiger Infrastruktur. Die installierte Leistung und Entwicklungskapazität unseres Portfolios liegt bei 19,8 Gigawatt. Die Schwerpunkte liegen auf Wind- und Solarstrom sowie Batteriespeichern. Was wir dabei sehen, ist, dass noch viel mehr privates Kapital aktivierbar wäre: durch kluge Anreizpolitik, ein weniger risikoaverses Agieren von Banken und Kapitalgebern sowie durch ein besseres Absichern vermeintlicher Risiken.
Infrastrukturausbau entscheidend
Zu den größten Herausforderungen gehören die zu geringen Energiespeicherquoten, das Fehlen der erforderlichen Netzinfrastruktur und die unzureichende Nutzung erneuerbarer Energiequellen. Es braucht aber keinen Solarboom, denn der ist schon da. Was es braucht, ist ein Boom beim Ausbau der Infrastrukturen, mehr Klarheit bei politischen Entscheidungen und vor allem – drittens – mehr Tempo! Mitunter gilt bereits: Es ist weniger wichtig, wie im Detail entschieden wird; es ist aber von entscheidender Bedeutung, dass überhaupt entschieden wird. Über Strompreise und gesicherte Leistung, über Infrastrukturen und Fördermechanismen.
Die Politik hat zu oft zu viele Bälle zu lange gleichzeitig in der Luft – und die daraus resultierende Unsicherheit führt in der Wirtschaft zu Attentismus und Verzagtheit. Ein positives Beispiel dafür, wie es besser geht, ist der European Long Term Investment Fund (Eltif). Die Fondsgattung soll die Möglichkeiten auch für Privatanleger verbessern, innerhalb der EU in Infrastrukturen zu investieren. Die Aquila Group hat im März 2024 ihren eigenen ersten Eltif als Impact-Fonds aufgelegt und erlebt, wie groß das Interesse ist.
Die Potenziale sind alle da
Dass die jüngst reformierte Eltif-Verordnung der Europäischen Kommission nun auch Privatanlegern mit kleineren Investmentbeträgen den Zugang zu illiquiden Anlagen über einen regulierten Investmentfonds mit Fokus auf nicht börsennotierte Werte ermöglicht, ist ein wichtiger Fortschritt. Derartige Initiativen sollten stärker vorangetrieben werden, denn sie vermitteln Zuversicht und Zukunftsfähigkeit – vielleicht auch für eine neue globale Kooperation, die Krisen überwinden und Länder wieder zusammenführen kann. Die Potenziale sind da. Wir sollten uns anstrengen, sie auch zu realisieren.